Lässt sich die Eskalation eines Konflikts vorhersagen?

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Je höher die sprachliche Komplexität, desto unwahrscheinlicher eine Eskalation

Die Psychologen Peter Suedfeld und Philip Tetlock untersuchten in den 70er Jahren die Kommunikation in internationalen Konflikten und erstellten daraufhin einen Index zur Errechnung der Wahrscheinlichkeit von Eskalationen. Ist die sprachliche Komplexität hoch, verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation. Ist sie niedrig, ist die Eskalationsgefahr hoch. Im 1. Weltkrieg war die sprachliche Komplexität gering. In der Kubakrise 1962 hingegen war sie hoch.

Merkmale für eine komplexe Sprache

Nach Suedfeld und Tetlock geht eine unterkomplexe und damit eskalierende Sprache von feststehenden Tatsachen aus. Typische Sprachwendungen lauten:

  • zweifellos
  • zweifelsfrei
  • immer
  • nie
  • eindeutig
  • absolut
  • einzig
  • aufgeben
  • kapitulieren

Es geht also darum, wie eindeutig ein Schuldiger an einem Konflikt ausgemacht wird, der als einziger schuldig ist, alleinig und absolut zur Rechenschaft gezogen werden muss, damit er nie wieder rückfällig wird. Ausnahmen gibt es keine. Deshalb sollte der Schuldige komplett aufgegeben und kapitulieren.

Eine eskalierende Sprache folgt also einem Schwarz-Weiß-Denken.

Eine komplexe Sprache wiederum zeichnet sich durch die Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes aus. Typisch dafür ist eine abschwächende, kontextbezogene und oft auch prozesshafte Sprache:

  • vielleicht
  • eventuell
  • verhältnismäßig
  • relativ
  • unter Umständen
  • nachgeben
  • reduzieren
  • weniger
  • mehr
  • aufeinander zugehen

Hier geht es darum, dass jemand unter bestimmten Umständen verhältnismäßig mehr schuldig ist und damit verpflichtet werden soll, relativ mehr als sein Gegenüber nachzugeben, um seinem Konfliktpartner entgegen zu kommen.

Die Methode von Suedfeld und Tetlock war simpel: Sie untersuchten die Sprache, die einem internationalen Konflikt vorausging. Als Historiker wussten sie bereits, welche Konflikte eskaliert waren und konnten so prüfen, ob sie mit ihren Vermutungen richtig lagen. Im 1. Weltkrieg kamen sie auf einen Sprachkomplexitätsgrad der beteiligten Konfliktpartner von durchschnittlich 2. Auch im Koreakrieg lag der sprachliche Komplexitätsgrad unter 2. In der zweiten Marokko-Krise von 1911 hingegen – einem Konflikt, der friedlich endete – kommunizierten die gleichen Konfliktparteien mit einem Komplexitätsgrad von durchschnittlich 4,5. Und in der Kubakrise lag der Komplexitätsgrad sowohl bei den USA also auch bei der Sowjetunion bei 4,7.

Warum uns eine komplexe Sprache schwer fällt

Dass uns gerade in Konflikten die Nutzung einer komplexen Sprache schwer fällt, ist naheliegend. Wer sich angegriffen fühlt, befindet sich im „Fight or Flight“-Modus: angreifen oder klein bei geben. Beides spricht nicht gerade für eine differenzierte Sichtweise. Umso wichtiger ist es, sich die Auswirkungen der eigenen Sprache bewusst zu machen, um Konflikt-Eskalationen zu verhindern.

Literatur

Gregor Hasler – Resilienz: Der Wir-Faktor, S. 153ff