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Wie wir von einem statischen und trennenden zu einem dynamischen und verbindenden Mindset kommen

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Spätestens in der Schule beginnt der Einstieg in ein statisches und trennendes Denken:

  • Was kann ich, was andere nicht können?
  • Worin bin ich besser?
  • Womit kann ich mich von anderen abgrenzen?
  • Wofür bekomme ich von den Lehrer*innen Lob und Anerkennung?
  • Was darf ich auf keinen Fall tun?

Dabei hat dieses Denken durchaus nachvollziehbare Hintergründe. In kleinen Gruppen wie Familien oder Freundeskreisen werden Menschen stärker als Individuen wahrgenommen. Je größer die Gruppe ist, desto wichtiger werden Abgrenzungen durch Geschlecht, Eigenschaften, Fähigkeiten oder Meinungen. Schließlich muss ich mich im Kampf um Aufmerksamkeit bzw. um Kontakte, Beziehungen oder sogar Aufträge sichtbar machen und positionieren, um nicht unterzugehen.

Damit einher gehen jedoch zwei Effekte, die ein Miteinander erschweren:

  1. Sofort ins Auge fällt die Abgrenzung von anderen.
  2. Genauso dramatisch ist jedoch eine statische Denkweise des Könnens anstatt einer dynamischen Sichtweise des Entwickelns. Unsere persönliche Entwicklung wiederum ist sehr stark von anderen abhängig, mit denen wir zusammen arbeiten, die unsere Kompetenzen ergänzen und von denen wir etwas lernen können.

Die Psychologin Carol Dweck prägte zur Unterscheidung dieser beiden Mindsets die Begriffe Wachstums- versus Leistungs-Mindset. Beide Denkweisen haben Vor- und Nachteile:

  • Das Leistungsmindset vermittelt uns Sicherheit, indem wir uns darauf berufen, was wir können oder nicht können. Es hindert uns jedoch daran, Neues zu wagen, bei dem wir uns unserer Kompetenzen noch nicht sicher sein können.
  • Das Wachstumsmindset hiflt uns dabei, uns weiter zu entwickeln im Sinne eines lebenslangen Lernens. Es kann jedoch zu einer Rastlosigkeit bis zum Burnout führen.

Diese Erkenntnisse sind bereits relativ alt. Die Forschungen von Dweck gehen bis in die 70er Jahre zurück und finden sich in einer komplexeren Form in der Psychologie als Attribuierungstheorie wieder. Dabei wird jedoch die Komponente der Bindung weitgehend ausgespart. Denn Bindung bedeutet letztlich sich aufeinander zu beziehen und voneinander zu lernen. Damit hängt Bindung direkt mit persönlichem Wachstum zusammen. Selbst wenn ich „nur“ ein Buch lese oder mir ein Info-Video auf Youtube ansehe, gehe ich damit eine lose Verbindung mit anderen Menschen, Autor*innen oder Hersteller*innen des Videos ein. In Seminaren wird es noch deutlicher: Baue ich als Trainer zu Beginn eine gute Bindung zu meinen Seminarteilnehmer*innen auf und fördere insbesondere die Beziehungen untereinander, fördert das nicht nur den Austausch, sondern macht ein gemeinsames Lernen insgesamt möglich.

Ich bin nach all den Jahren jedesmal aufs Neue erstaunt, wie schnell und einfach es im Grunde geht, eine Gruppe von Menschen (meistens etwa 12 Personen) innerhalb kürzester Zeit zusammenzubringen. Spätestens nach dem ersten gemeinsamen Mittagessen ergeben sich Netzwerke, auf deren Basis sich beinahe jede*r auch mit seinen Schwächen zeigen kann. In externen freilich mehr als in Inhouse-Seminaren. Doch auch hier ergibt sich oft in meinen Seminaren eine Offenheit, die ein Wachstums-Mindset und damit ein Voneinander-Lernen erst ermöglicht.

Dieser Aufbau einer psychologischen Sicherheit auf der Beziehungsebene kann über ganz unterschiedliche Ansätze stattfinden:

  • Erwartungen austauschen und sich später auf die Erwartungen der Teilnehmer*innen beziehen,
  • die Teilnehmer*innen beim Namen nennen,
  • Smalltalk in der Pause,
  • der Einsatz von Humor und Selbstironie,
  • den Austausch in Kleingruppen fördern,
  • mehr Fragen stellen als einheitliche Lösungen bieten,
  • zum öffentlichen, gemeinsamen Nachdenken anregen,
  • gemeinsam etwas unternehmen (Mittagessen, Abendspaziergang),
  • niemanden mit seinen Ansichten separieren oder bloß stellen, usw.

Die Gemeinsamkeit all dieser Ansätze ist das Augenmerk auf das Verbindende. Es geht eben nicht darum, was ich weiß oder jemand anderes kann, sondern was dieses Wissen oder Können für andere bedeutet. Es geht auch nicht darum über etwas zu lachen, sondern gemeinsam über etwas zu lachen und sich gemeinsam über anderes zu ärgern. Insofern gibt es keine NoGos, wie die Neurowissenschaften manchmal nahe legen, wenn es bspw. um den Begriff des Problems geht, der bitteschön durch Herausforderung oder Chance ersetzt werden sollte. Auch wenn der Begriff der Herausforderung positivere Assoziationen in uns weckt, kann der Problem-Begriff ebenso verbindend wirken und gleichzeitig wertschätzend signalisieren, wie schwer eine Situation für Mitarbeiter*innen aktuell aussieht.

In diesem Sinne beginnt die Förderung von Verbindungen in Gruppen mit unserer Sprache:

  • Was können wir gemeinsam erreichen?
  • Was können wir voneinander lernen?
  • Was kann jede*r zum Gelingen eines Erfolgs beitragen?
  • Was haben wir bereits zusammen erreicht?
  • Wie können wir uns in unseren Kompetenzen ergänzen?
  • Wie können wir uns gegenseitig unterstützen?
  • Welche Erfahrungen verbinden uns?

Es geht hier nicht darum, dass immer alles harmonisch ablaufen sollte. Auch um den richtigen Weg streiten verbindet, sofern es ein gemeinsames Ziel gibt, das unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichen Sichtweisen auf unterschiedliche Art und Weisen erreichen wollen. Dennoch bleibt das verbindende Ziel, das dabei hilft, die unterschiedlichen Sichtweisen und Kompetenzen als Ergänzung und nicht als Trennung wahrzunehmen.

Mit der Quantenphysik die Welt retten

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Everything, everywhere, all at once

Viele von uns waren in Filmen wie „Everything everywhere all at once“. Was als spaßige oder spleenige Actionkomödie angelegt ist, hat jedoch einen ernsten Hintergrund: Erkenntnisse aus der Quantenphysik besagen, dass auf einer subatomaren Ebene alles jederzeit stattfindet. Das wiederum ist für uns schwer vorstellbar. Wer sich jedoch intensiver mit dem Thema beschäftigt, merkt einerseits, dass es komplett logisch ist, dass alles jederzeit stattfindet und andererseits, dass wir immer noch durch und durch von der klassischen Aufklärung des Sezierens einzelner Phänomene geprägt sind, die keineswegs jederzeit alles sein können. Was also ist dran an der Quantenphysik?

Beginnen wir mit dem Gedankenexperiment um Schrödingers Katze, das der ein oder die andere vermutlich schon einmal in der Schule gehört, für eine verücktes Idee gehalten und daraufhin wieder vergessen hat – so wie ich: In einer Kiste befinden sich eine Katze, ein radioaktives Präparat, ein Detektor für die beim Zerfall erzeugte Strahlung und ein tödliches Gift, das bei Ansprechen des Detektors freigesetzt wird. Die Kiste ist allerdings so verschlossen, dass wir nicht wissen können, ab wann die Katze tot ist. Erst wenn die Kiste geöffnet wird, erkennen wir, ob sie schon tot oder noch lebendig ist. Daraus lassen sich zweierlei Erkenntnisse ziehen:1

  1. Solange die Kiste nicht geöffnet wird, könnte die Katze sowohl tot als auch lebendig sein.
  2. Erst in dem Moment des Öffnens lässt sich der Zustand der Katze feststellen, wodurch die Rolle des Beobachters auf irgendeine Weise wichtig erscheint.

In Folge wurden in den letzten Jahrzehnten eine Menge Studien durchgeführt, die alle zu ähnlichen Erkenntnissen führen: Subatomare Teilchen (bspw. ein Quarks) lassen sich erst eindeutig bestimmen, wenn sie „festgehalten“ und beobachtet werden. Bis dahin schwirren sie durch den Raum und könnten auch etwas anderes sein (bspw. ein Anti-Quarks).

Teilchen und Schattenteilchen

Gleichzeitig wurde deutlich, dass es letztlich keine tatsächlichen Elementarteilchen gibt, weil jedes Teilchen immer im Verbund mit einem anderen Teilchen (Quarks und Anti-Quarks, Protonen und Elektronen) auftritt. Die Quantenphysik spricht tatsächlich davon, dass jedes Teilchen einen Schatten hat. C. G. Jung, der Urheber der sogenannten Schattenanteile, hätte sich darüber vermutlich gefreut. Die Suche nach dem einen Elementarteilchen war bislang erfolglos. Das wiederum wusste der gesunde Menschenverstand bereits vorher. Frieden wird schließlich erst zu Frieden durch die Existenz von Krieg. Plus ist ohne Minus nicht denkbar. Freude lässt sich erst genießen durch die potentielle Möglichkeit von Trauer. Wir wüssten nicht einmal, wie wir miteinander sprechen sollten, wenn es den jeweils anderen Gegenpol nicht gäbe. Dann wäre letztlich alles neutral: Wir wären nicht gut oder schlecht gelaunt, sondern neutral. Genau das passiert auch, wenn sich Materie und Antimaterie treffen. Am Ende steht das Nicht, das sich dann logischerweise selbst mit den feinsten Messgeräten nicht mehr messen lässt.

In unseren Alltag übertragen bedeutet dies, dass nicht nur auf der subatomaren Ebene jederzeit alles möglich ist, solange niemand hinsieht und sich erst durch die Beobachtung durch eine Bewertung ein wahrnehmbarer Zustand manifestiert. Beobachten wir aus der Ferne ein Paar, das sich lautstark unterhält, könnte es ein Streit sein oder eine lebhafte, aber von Liebe durchdrungene Unterhaltung. Die beiden könnten sich schon lange kennen oder gerade eben erst begegnet sein. Erst wenn wir näher hingehen, erkennen wir, um was für eine Unterhaltung es sich handelt. Dann jedoch verändern wir bereits das Setting durch unsere subjektive Beobachtung, wodurch sich die Situation nicht mehr zu 100% objektiv erfassen lässt. Wir selbst nehmen wahr, was wir wahrnehmen wollen. Und das Paar wird sich der Beobachtung bewusst und lässt sich dadurch in einen bestimmten Zustand (Konflikt, lebhafte Auseinandersetzung, Liebesspiel, etc.) materiell „einfrieren“, obwohl zuvor evtl. verschiedene Zustände möglich waren.

Ein ähnliches Phänomen spielt sich in Organisationen ab, wenn ein Mitarbeiter, der an vielen Veränderungen herum nörgelt aus der einen Perspektive als anstrengend, aus einer anderen jedoch – er hat ja auch häufig recht mit seiner Kritik, auch wenn es niemand hören will – als wertvoller Kritiker wahrgenommen wird. Erst durch die Beobachtung bzw. Bewertung des Mitarbeiters wird sein Verhalten in Stein gemeißelt und zieht manifeste Folgen nach sich.

Frage ich in meinen Seminaren in die Runde, wer mit wem am meisten Probleme hat, zeigt sich beinahe immer: Der eine mag keine Nörgler, die nächste keine Besserwisser und der dritte kann nicht mit Jammerern. Hierbei handelt es sich vermutlich um einen persönlichen Schattenanteil (oder die ganz persönliche Anti-Materie), die mich erst zu einem ganzen Menschen macht. Konkret heißt das: Fragen Sie sich, was ein Nörgler, Besserwisser, Jammerer, etc. beziehungstechnisch mit Ihnen macht und was Sie daraus lernen können.

Warum mir der Umgang mit leidenden Menschen schwer fällt

Eine Anekdote am Rande: Mir persönlich fällt der Umgang mit leidenden Charakteren schwer. Der Grund ist in meiner Kindheit zu finden. Meine Mutter hatte früher starke Migräne-Attacken, worauf wir in der Familie Rücksicht nehmen mussten. Ich durfte nicht laut sein, keine Freunde mitbringen und wir unternahmen selten Ausflüge. Dadurch lernte ich, meine Befindlichkeiten zurückzunehmen und niemandem zur Last zu fallen, wodurch sich jedoch Wut aufstaut, die irgendwann einmal raus muss oder krank macht. Oberflächlich betrachtet könnte ich nun sagen: Jammern macht mich wütend. Dabei bestand die eigentliche Unzufriedenheit darin, mein eigenes Bedürfnis anderen in einem gesunden Maß zur Last zu fallen, nicht auszuleben. Ich tat mich jahrelang schwer, fremde Hilfe anzunehmen. Erst durch die Integration meiner Anti-Materie (dem ungeliebten Jammern) habe ich die Möglichkeit, ein vollkommenerer und zufriedenerer Mensch zu werden.

Das Mindset der klassischen Aufklärung

Unser menschlicher Geist hängt leider noch am Mindset der klassischen Aufklärung. Die klassischen Naturwissenschaften gingen davon aus, dass jeder Körper für sich selbst besteht und untersucht werden kann. Diese Sezierung von Gesamtzusammenhängen führte einerseits zu vielen Erkenntnissen, verstellte jedoch andererseits den Blick darauf, was Systeme zusammen hält.

Unterstützt wird das Ganze durch den Kapitalismus:

  • Mein Haus, mein Auto, mein Pferd, mein Raumschiff.
  • Unterm Strich zähl’ ich.

Ebenso spielt der Heldenmythos dieser Denkweise in die Karten. Als könnten ein paar Marvelfiguren die gesamte Welt retten. Mit Schwarmintelligenz tun sich die Menschen seit jeher schwer. Kein Wunder, dass mein Buch zu diesem Thema letztes Jahr aufgrund zu schwacher Verkaufszahlen eingestampft wurde.

Wir brauchen ein neues Mindset

Die Quantenphysik legt uns nahe, uns von diesem Denken zu verabschieden, indem wir akzeptieren, dass wir alle – und insbesondere Gegenpole – miteinander verbunden sind. Die Welt um uns herum entstand nicht durch Elementarteilchen, sondern durch das Zusammenspiel von Materie und Antimaterie, von Teilchen und Schattenteilchen. Insofern werden auch wir nicht angetrieben von einzelnen (abgegrenzten) Menschen, sondern erst durch das Zusammenspiel in einem Team.

Diese Denkweise könnte weitreichende Konsequenzen haben:

  • Anstatt in Bewerbungsgesprächen zu fragen, welche Kompetenzen jemand mitbringt, bietet sich die Frage an, was jemand bieten kann, um ein Team zu ergänzen.
  • Anstatt Veränderungen gegen Widerstände durchzuboxen, wäre es sinnvoller, kritische Meinungen sozusagen als natürliche Anti-Materie zu akzeptieren und zu integrieren.
  • Anstatt in Konflikten davon auszugehen, dass nur meine Meinung richtig ist, wäre es wichtig, sich damit anzufreunden, dass auch mein Gegenüber recht hat.

Wer sich bereits mit systemischem Denken und Mediationen auseinander setzte, erkennt hier wenig Neues. Neu ist jedoch die Erkenntnis, dass all das kein bloßes pädagogisches Schönwetter-Wunschdenken ist, sondern tief verwurzelt ist in der DNA unserer Welt.

Sollte diese Denkweise eines schönen Tages in der Gesellschaft angekommen sein, würden die Menschen vielleicht endlich verstehen, dass sie nur gemeinsam die Welt retten können, anstatt gegeneinander in Konkurrenz zu treten.

Literatur:

Lynne Haggard – The Bond. Die Wissenschaft der Verbundenheit

Hüther und Spannbauer – Verbundenheit

1https://de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6dingers_Katze

Netzwerken in einer hybriden Welt, Teil 5 (von 5)

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Meine Empfehlungen zum Thema Netzwerken

1. Netzwerken muss Spaß machen

Wann macht Netzwerken am meisten Spaß? Wenn es keine offiziellen Netzwerktreffen sind. Ich vergesse regelmäßig, am Ende meiner Seminare darauf hinzuweisen, dass ich auch auf Linkedin unterwegs bin und regelmäßig Blog-Artikel schreibe. Das fühlt sich für mich als Anti-Vertriebler immer ein wenig schmierig an. Wenn ich jedoch selbst Seminare besuche – und sei es ein Kurs zum Thema Stimmbildung oder Schauspiel – unterhält man sich automatisch in der Mittagspause über dies und das. Und plötzlich macht netzwerken Spaß und fühlt sich ganz natürlich an.

2. Denken Sie langfristig

Manchmal braucht es Jahre, bis ein loser zu einem fruchtbaren Kontakt wird. Das funktioniert jedoch nicht mit Druck, sondern nur durch ein ehrliches Geben meinerseits und einem großen Vertrauen in die Zukunft. Aus manchen Kontakten wird freilich nie etwas, während sich andere zum Jackpot entwickeln. Vorher wissen kann das niemand.

3. Seien Sie ordentlich

Ich gebe zu, dass sich hier meine größte Netzwerkschwachstelle befindet. Als kreativer Chaot ist das jedoch nicht ungewöhnlich. Hätte ich von Anfang an sauber alle Kontakte gesammelt und kategorisiert, wüsste ich heute schneller, wen ich bei welcher Frage über welches Medium „anfunken“ könnte. Also lasse ich mich von meinen Linked-in-Adressen inspirieren, wenn ich einen Auftrag zu vergeben habe oder einen Rat brauche. Das ist zwar mega-spontan, kann jedoch dazu führen, dass ich es ganz lasse, wenn ich gerade keine Zeit habe und daher suboptimal.

Daher mein Tipp: Beginnen Sie heute damit, Ordnung in Ihre Kontakte zu bringen, indem Sie sie in verschiedene Kategorien einteilen, um im Fall der Fälle schnell darauf zugreifen zu können.

Dieser Artikel wurde in leicht veränderter aus dem eBook „Wie kompetent muss ich sein?“ (externer Link) entnommen.

Netzwerken in einer hybriden Welt, Teil 4 (von 5)

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Empathie als zentrale Netzwerkkompetenz

Laut Wikipedia bezeichnet Empathie die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken und Motive einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden. Damit einher geht die Fähigkeit angemessen auf die Gefühle anderer Menschen einzugehen, beispielsweise nachzufragen, wie eine Situation gerade empfunden wird und ob eine Unterstützung erwünscht ist.

Warum machen uns Online-Meetings müder als Treffen in Präsenz? Ich kenne keine Studie dazu, vermute jedoch, dass es an der Schwierigkeit des Einfühlens liegt. Sehe ich mein Gegenüber nur verzögert auf einem kleinen Bildschirm, muss ich in meinem Gehirn ergänzen, ob es in den nächsten Sekunden etwas sagen möchte oder nicht. War da nicht ein Zucken? Oder doch nicht? Kein Wunder, dass online kaum ein flüssiges Gespräch in Gang kommt.

Bereits in einer direkten Kommunikation können wir uns zwar in andere Menschen über unsere Spiegelneuronen und die Deutung der Körpersprache im Normalfall gut einfühlen. Wir können jedoch das, was unser Gegenüber in Gänze ausmacht, seine sogenannte Qualia, kaum in Wort fassen. Dies gestaltet sich auf Distanz nochmals schwieriger.

In einer Welt, in der andere Menschen als Konkurrenten gesehen werden, Schwächen verpönt sind und Emotionen allenfalls oberflächlich gezeigt werden, steht es ohnehin schlecht um unsere Empathie. Einfühlungsvermögen benötigt nicht nur Offenheit, sondern auch Zeit.

Da unser Gehirn jedoch nicht wahrnehmen kann ohne zu bewerten und Unsicherheiten kaum aushält, sind wir beständig am ergänzen, was in unserem Gegenüber gerade vor sich geht. Was für die Kommunikation in Online-Meetings gilt, gilt für eine Kommunikation auf Distanz und damit auch in Netzwerken noch verstärkt. Bekommen wir lange Zeit keine Rückmeldung auf eine Anfrage, muss ich die Situation und damit meine Gesprächspartner*innen irgendwie einordnen. Und dies erfolgt nicht unbedingt optimistisch und wohlwollend:

  • Mein*e Netzwerkpartner*in interessiert sich nicht für mich oder ist ein*e Idiot*in und selbst schuld, wenn er oder sie sich nicht meldet.
  • Oder: Ich bin vermutlich nicht wichtig genug.

Stattdessen wäre es sinnvoller, nachzufragen, was wirklich in Kolleg*innen oder Netzwerkkontakten vorgeht, wenn keine Rückmeldung erfolgt. Meist steht dahinter keine böse Absicht, sondern Zeitdruck. Zuerst hat mein Gegenüber noch keine Antwort. Dann kommt etwas dazwischen. Und dann ist es vielleicht nicht mehr aktuell. Das alles sollen keine Ausreden sein, warum sich jemand nicht meldet, sondern lediglich Erklärungen, die logisch nachvollziehbar sind.

Ein zentraler Aspekt der Empathie ist daher die Unterscheidung zwischen Verstehen und Verständnis. Wenn ich mein Gegenüber verstehe, kann ich einen Perspektivwechsel vornehmen und mich damit in sein Denken und Fühlen, seine Ziele und die Logik seiner Handlungen hinein versetzen. Ein Verständnis für seine Handlungen muss ich nicht haben. Das Verstehen einer Person basiert auf einer individuellen Einfühlung. Das Verständnis verbindet dieses mit einer persönlichen Bewertung. Ich verstehe, dass du dich nicht meldest, finde es aber dennoch blöd. Deshalb ist die gängige Diffamierung des Putin-Verstehers unlogisch. Ein Reporter muss Putin verstehen, um über ihn zu berichten. Verständnis für das Agieren des russischen Präsidenten muss er nicht haben.

Um überhaupt zu einem Verstehen zu kommen braucht es als erstes die Achtsamkeit, unsere Wahrnehmung von schnellen Bewertungen zu trennen. Dass ich keine Rückmeldung bekomme kann viele Gründe haben. Erst im zweiten Schritt geht es darum, sich empathisch-wertschätzend zu begegnen, um gerade über die digitale Ferne die Bindung zu erhalten oder aufzubauen. Dazu kann ich mich zum einen in mein Gegenüber hineinversetzen und darüber nachdenken, was er oder sie gerade braucht. Wenn ich beispielsweise zu einem Termin noch nicht zusagen kann, schicke ich zumindest eine Rückmeldung über den Prozess meiner Entscheidungsfindung: Ich muss zuerst dies und das mit Person X abklären und melde mich dann wieder in so und so viel Tagen.

Zum anderen kann ich empathisch nachfragen, wenn ich auf eine Antwort warte. Fragen wirken enorm wertschätzend. Gleichzeitig erfahren Sie bestenfalls, warum jemand sich nicht meldet. Mögliche Fragetechniken lauten:

  • Hypothesenfragen: „Ich vermute, dass bei dir gerade ganz andere Sachen dringender sind. Ist das so?“
  • LösungsorientierteFragen: „Wie wollen wir uns in Zukunft absprechen?“, „Wie könnte es besser funktionieren?“ oder: „Ist es passend für uns zu mailen oder brauchen wir ein anderes Kommunikationsmedium?“
  • Genauern: „Was genau ist bei dir gerade los?“ oder „Was genau meinst du mit: Es ist gerade schwierig?“

Dieser Artikel wurde in leicht veränderter aus dem eBook „Wie kompetent muss ich sein?“ (externer Link) entnommen.

Netzwerken in einer hybriden Welt, Teil 2 (von 5)

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Auf die Größe kommt es an

Schon die Römer wussten: Hundert ist eine gute Anzahl an Personen, um noch angemessen geführt zu werden, daher der Name Centurio. Spannend auch, dass unser Begriff des Zentrums hier seinen Ursprung hat.

In meinen Großgruppenmoderationen habe ich es in der Regel mit etwa 50 Personen zu tun, die sich alle mehr oder weniger gut kennen. Diese Gruppengröße ist ideal für Veranstaltungen. Eine Gruppengröße von 100 würde auch funktionieren. Das Netzwerken in der Pause wird jedoch schwieriger. Die Teilnehmer*innen können sich dann nicht mehr mit jedem wenigstens kurz unterhalten und müssen daher eine Auswahl treffen.

In der virtuellen Welt haben viele Menschen 1000 Kontakte oder mehr. So viele Kontakte kann ich logischerweise nicht mehr persönlich kennen. Daher sollte man konsequenterweise seine Kontakte in nahe und periphere unterteilen. Es kann durchaus sinnvoll sein, viele Kontakte zu haben. Wenn ich einen Blog-Artikel teile, ist es eine Frage der Masse, ob sich daraus eine spannende Diskussion ergibt. Sobald es jedoch persönlicher wird, sind zu große Netzwerke hinderlich. Hier ist es nach wie vor sinnvoller, sein Umfeld gezielt zu kontaktieren, beispielsweise über einen Email-Verteiler.

Was das angeht ist meine Frau eine wahre Netzwerk-Meisterin. Anfang Dezember erfuhr ich, dass mein Bienen-Strategie-Buch aufgrund mangelnder Verkaufszahlen zu Klopapier verarbeitet wird. Also nahm ich noch 200 Stück ab, während meine Frau die Bienenbuch-Rettungsaktion – Abnahmepreis gleich Weitergabepreis – durch mehrere Email-Verteiler jagte. Wobei sie für jeden Verteiler einen leicht veränderten Text nutzte. Der größte Verteiler ist unser Kunst-mit-Hut-Verteiler. Wir veranstalten seit über 20 Jahren einmal im Jahr ein großes Fest in unserem Garten. Und jede Person mit einer Nein-sage-Schwäche, der wir begegnen, landet früher oder später in diesem „Spinnennetz“.

Innerhalb von zwei Wochen wechselten beinahe alle 200 Bücher den Besitzer. Damit hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Das macht meinen Abschied von der Print-Version – die Ebook-Version gibt es nach wie vor – ein wenig leichter.

Bei den angemailten Personen handelte es sich nicht um Menschen, zu denen ich und meine Frau eine intensive Beziehung haben. Bei über 500 Personen wäre das auch nicht möglich. Dennoch gibt es bei allen Menschen in diesem Netzwerk irgendeine Verbindung zu uns. Mal handelte es sich um eine Person, mit der ich vor vielen Jahren in einem Improvisationskurs war, die ich seitdem jedoch nicht mehr gesehen habe. Mal handelte es sich – ehrlich gesagt – um, Menschen von denen wir gar nicht mehr wissen, woher wir sie kennen. Sie kennen jedoch uns, nicht zuletzt durch unser legendäres Gartenfest. Dass 200 Bücher innerhalb so kurzer Zeit gerettet werden konnten, hat folglich einen 20-jährigen Vorlauf. Das bedeutet für Sie: Fangen Sie heute damit an, in Ihr Netzwerk zu investieren, um dessen Früchte Jahrzehnte später ernten zu können.

Von Influencern, Engagierten und Informanten

Damit in einer größeren Organisation mehrere 50er oder 100er-Einheiten miteinander verbunden sind, gibt es idealerweise bestimmte Gruppenmitglieder mit einer Vermittlerfunktion. Oberflächlich betrachtet handelt es sich dabei um die Bereichs-, Abteilungs- und Teamleitungen. Unter der Oberfläche gibt es jedoch eine ganze Menge mehr Möglichkeiten, Teilnetzwerke miteinander zu verbinden:

  • Influencer*innen und das Macht-Prinzip: Frei nach dem Pareto-Prinzip verfügen 20% aller Gruppenmitglieder über 80% der Kontakte. Oft handelt es dabei um diejenigen, die auch in anderen Gruppen aktiv sind. Und über Informationen zu verfügen, die andere nicht haben, bedeutet Macht zu haben.
  • Engagierte und das soziale Prinzip: Jenseits dieses Prinzips gibt es Mitglieder in einer Gruppe, die zusätzlich Verbindungen zu anderen Gruppen haben, aufgrund privater Beziehungen, Gremientätigkeiten oder Projekten, und daher als Knotenpunkte agieren. Dabei kann es sich auch um Mitglieder einer Gruppe handeln, die eine bestimmte Tätigkeit außerhalb ihrer eigentlichen Gruppe ausüben. Wer sich beispielsweise im betrieblichen Gesundheitsmanagement oder als Betriebsrat engagiert, könnte in vielerlei Hinsicht Ansprechpartner*in im Unternehmen sein.
  • Informanten und das Wissens-Prinzip: Informanten sind Mitglieder, die Informationen von außen in die Gruppe hineintragen, entweder weil sie über bestimmte Informationen beispielsweise verfügen, beispielsweise aus einer Weiterbildung oder von einer Messe, oder weil bestimmte Informationen an sie herangetragen werden. Natürlich ergeben sich hier Überlappungen zu Influencer*innen. Der Grundgedanke hier ist jedoch nicht andere Gruppenmitglieder zu beeinflussen, sondern lediglich Wissen zu vermitteln.

Dieser Artikel wurde in leicht veränderter Form aus dem eBook „Wie kompetent muss ich sein?“ (externer Link) entnommen.