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Warum über Generationen zu sprechen heikel ist

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Das Bedürfnis, über Generationen zu sprechen erscheint größer denn je. Während nicht nur in meinen Seminaren regelmäßig auf die Generation Z geschimpft wird, weil diese (anscheinend) nicht mehr so viel arbeiten will wie ihre Vorgänger-Generationen und damit den Industriestandort Deutschland zu gefährden scheint, wird auf der anderen Seite den „Boomern“ vorgeworfen, die Umwelt zerstört zu haben. Immerhin hat dann jede Seite ein klares Ziel für den eigenen Frust. Ist es nicht super, wenn ich weiß, dass jemand schuld ist – wahlweise an der Unterbesetzung in meinem Team oder an der Umweltverschmutzung?

Tatsächlich ist es nichts neues, dass jüngere Generationen Dinge anders sehen und machen. Das galt bereits bei den alten Griechen. Neu ist der Austausch über die digitalen Medien, auf denen sich Ältere und Jüngere treffen. Hinzu kommt nach einer langen Phase der Sorglosigkeit eine krisengebeutelte Zeit. Der Druck im Kessel ist hoch und gleichzeitig wird lautstark über die jeweilige Gegenseite lamentiert.

Nur: Bringt uns das weiter? Und: Stimmt die Generationenfrage überhaupt?

Strömungen statt Generationen

Streng genommen müssten wir nicht von Generationen sprechen, sondern von einflussreichen Strömungen innerhalb einer Generation. Ja, junge Generationen sehen vieles anders. Das gilt jedoch nur für einen kleinen Teil einer Generation. Meine Eltern waren keine Hippies, obwohl es zeitlich gepasst hätte. Sie hörten nicht Jimi Hendrix, sondern tanzten auf James Last. Und meine eigenen Kinder waren auf keiner einzigen Fridays-for-Future-Demo. Wir leben hier zwar seit Jahr und Tag ökologisch verträglich, fliegen nicht, waren noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff, sind passionierte Camper, Papa fährt am liebsten mit der Bahn, wir ernähren uns flexi-bio und trennen unseren Müll nach bestem Wissen und Gewissen. Wir sind jedoch keine Öko-Aktivisten. Und: Meine Kinder gingen auf eine Realschule. Fridays-for-Future ist Thema für Gymnasiast*innen.

Und haben die Vorgängergenerationen tatsächlich den Klimawandel befeuert? Die Industrie mit Sicherheit. Aber was war mit den Umwelt-Bewegungen seit den 70-er Jahren, aus denen die Grünen hervor gingen?

Ähnlich wie in jedem Konflikt, überschätzen sich die Parteien auch in diesem hochstilisierten Generationen-Konflikt: „Ich gut – Du schlecht“ lautet die Devise. Auf Generationen übertragen heißt das:

  • Wir halten den Laden am Laufen und ihr seid faul.
  • Oder: Wir retten die Welt, die ihr zerstört habt.

Dabei wird leider der eigene positive Anteil überschätzt und der eigene negative Anteil unterschätzt:

  • Teile älterer Generationen gingen oft zu sorglos mit sich und der Umwelt um. Manche beuteten sich über Jahrzehnte hinweg in der Arbeit selbst aus, um sich und der Familie ein Eigenheim zu leisten. Hier machen viele jüngere Menschen nicht mehr mit. Warum auch, wenn sie in Großstädten leben, es Carsharing gibt und sie sich ein Haus ohnehin nicht mehr leisten können oder wollen.
  • Gleichzeitig nutzen jüngere Generationen digitale Möglichkeiten sorgloser als Generationen zuvor. Wer sich jedoch den Strom- und Wasserverbrauch bspw. von ChatGPT ansieht, könnte sein anti-grünes Wunder erleben. Und sind Klimaaktivist*innen wirklich so radikal wie sie dargestellt werden? Nur ein Beispiel: Erinnert sich noch jemand an die Republik Freies Wendland als Protest gegen die Tiefenbohrung zur Erstellung eines Atommüll-Endlagers in Gorleben? Mit eigenem Piratensender und solidarischen Botschaften u.a. in Hamburg, Hildesheim und Krefeld. Die Politik sprach von Hochverrat. Es gab sogar einen Pass, in dem stand: „Dieser Pass ist gültig, solange der Inhaber noch lachen kann“. Mir scheint, der Protest war damals radikaler als heutzutage, weil sowohl Gesellschaft als auch Medien und Politik heute insgesamt wohlwollender auf solche Protestaktionen reagieren. Damals war das absolutes Neuland. Laut Berichten wurden die Besetzer*innen mit zum Teil brutaler Härte von der Polizei davon geschleppt, geschleift und gestoßen, während Klimaaktivist*innen heute beinahe schon sanft von der Straße entfernt werden. Wenn nicht ist der Aufschrei in den digitalen Medien gegen Polizeigewalt groß.

Jede Generation hat ihre Aktivist*innen und einflussreiche Strömungen. Diese sind heute vermutlich einflussreicher als früher, da gesellschaftliche Macht heutzutage nicht nur auf finanziellen Gütern oder einflussreiche Positionen beruht, sondern auch und insbesondere über digitale Medien. Wer also als junger Mensch auf Youtube, Twitter oder Instagram viele Follower*innen um sich schart, kann Macht ausüben, wenn er will und bspw. „die CDU zerstören“. Solche Einflusssphären wirken jedoch größer als sie sind, weil viele Vertreter*innen auch der jüngeren Generation gar nicht bei Twitter sind.

Ein Fazit zur Generationen-Versöhnung

  1. Entspannt euch. Das kann nie schaden.
  2. An besagte Strömungen aus der jüngeren Generation: Überschätzt euch nicht. Es gab bei den Boomern Strömungen, die radikaler waren als ihr es seid. Und wer weiß: Vielleicht war mein Chef in den 80ern selber eine rebellische Seele? Letztlich gilt der Wahlspruch „Wir stehen alle auf den Schultern von Giganten“. Und das gilt nicht nur für die Klimabewegung, sondern für jede gesellschaftspolitische Strömung. Die Ursprünge von New Work und einer Positiven Führung gehen (mindestens) bis in die 60er Jahre zurück. Holokratie wäre nichts ohne die Ursprünge der Soziokratie. Was heute Mainstream ist, war damals Avantgarde. Ein dicker Respekt für solche Pionierleistungen ist niemals falsch.
  3. An die noch mächtigen Teile älterer Generationen: Hört zu. Vieles, was sich Teile der jüngeren Generation wünschen, sind vermutlich geheime eigene Wünsche: Was ist so schlimm daran, weniger zu arbeiten und mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen? Was ist falsch daran, Spaß an und in der Arbeit zu haben? Was ist verwerflich daran, überkommene Prozesse auf deren Sinnhaftigkeit zu hinterfragen?

Ein nachhaltiger Wandel, sowohl gesellschaftlich als auch in Unternehmen, funktioniert nur gemeinsam.

Goodbye Normalbiographie, oder: Warum wir uns mit unserer Biographie aussöhnen sollten, um besser mit Stress umzugehen

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Das Stress-Empfinden im „Neuen Normal“

Wurde die Zündschnur bei vielen Menschen kürzer? Ist das Stresslevel wirklich höher als früher? Zumindest macht es den Anschein, wenn wir Nachrichten lesen – was nicht unbedingt eine verlässliche Quelle ist, wenn wir an die Tendenz der Medien zur Übertreibung denken. Aber auch andere Quellen zeigen in dieselbe Richtung: Die TK-Stress-Studie von 2021 belegt, was viele empfinden. Jeder Vierte ist häufig gestresst, aufgrund der Arbeit oder Selbstansprüchen.

OK. Die Studie stammt aus dem Jahr 2021 und wir wissen, was da los war. Dennoch ist vielleicht genau das unser „Neues Normal“. Immerhin haben wir zwar nicht mehr mit Corona zu tun, aber mit der Energiewende, einem Krieg beinahe vor der Haustür, Waldbränden im globalen Süden, vermutlich bald neuen Einwanderungswellen, einen drohenden Rechtsruck und und und. Da wünscht man sich beinahe Corona zurück. Manche Medien machen sich schon Sorgen darüber, wohin wir denn dann in Zukunft in den Urlaub fahren, ohne zu merken wie sarkastisch eine solche Frage im Angesicht der brennenden Wälder im Süden erscheint.

Rezepte gegen Stress

Was also tun gegen die umgreifende Distress-Pandemie? Rezepte dagegen gibt es zu genüge. Wir könnten lernen achtsamer zu sein und uns mehr durch den Tag zu ommen. Über Radikale Akzeptanz habe ich auch schon einiges auf diesem Blog geschrieben (u.a. hier und hier). Alles gut und wichtig – sonst hätte ich nicht darüber geschrieben oder würde Seminare dazu anbieten, Zwinkersmiley.

Zum Umgang mit Stress können wir uns auch auf eine andere Weise annähern, indem wir uns Gedanken darüber machen, was Stress auslöst, um uns dann die Frage zu stellen, wie wir mit diesen Auslösern besser umgehen können.

Stress wird u.a. über Vergleiche ausgelöst: Der eine Mensch ist schneller als der andere, hat mehr Geld, ein schöneres Haus, ist erfolgreicher, usw. Ich bin überzeugt davon, dass ohne diese Vergleiche eine Menge Stress von uns abfallen würde wie herbstliches Laub. Dazu sollten wir lernen, uns mit unserer Biographie auszusöhnen, anstatt uns mit anderen Menschen zu messen.

Normalbiographien in der Postmoderne

Ein erster Schritt dahin ist die Akzeptanz der Postmoderne. In früheren Zeiten gab es so etwas wie eine Normalbiographie. Nicht für alle, aber für die meisten. Folgte man oder frau dieser Normalbiographie, erschien es wahrscheinlich, gut im Leben zu stehen.

Als ich jung war, lautete diese Normalbiographie stark verkürzt: Mach’ dein Abi und studiere, erlerne einen Beruf und streng dich an. Dann bekommst du einen guten Job. Anschließend gründest du eine Familie, baust ein Haus am (damals noch bezahlbaren) Stadtrand und wirst irgendwie glücklich. Soweit der Plan.

Freilich gab es bereits damals eine Menge Abweichungen von diesem Plan. Dennoch galt die ein oder andere Form dieser Normalbiographie als Orientierung für den ganz persönlichen „pursuit of happiness“, den persönlichen Weg zum Glück.

In der Postmoderne gibt es jedoch keine Normalbiographie mehr, an der wir uns orientieren könnten. Vielmehr: Es gibt eine enorme Pluralisierung dieser Wege:

  • Da ist die Psychologin, die bereits vor Corona zu Verschwörungstheorien forschte und damit 2020 groß herauskam. Ähnliches ließe sich über Klima- oder Genderforschende schreiben. Solche Hypes gab es früher auch schon. Die Digitalisierung macht jedoch aus einem Hype einen Megahype.
  • Da gibt es andererseits den Biologen, der in seinem angestammten Beruf nie Fuß fassen konnte und heute als Bauzeichner in einem kleinen Büro arbeitet und gerade so über die Runden kommt. Gleiches ließe sich über Geolog*innen oder Sprachwissenschaftler*innen schreiben, die alldieweil in staatlichen Verwaltungsbüros landen.
  • Dann gibt es den Schulabbrecher, der eine App programmierte und damit beinahe über Nacht reich wurde.
  • Oder die Influencerin, die mit der Präsentation von Modeartikeln auf Tiktok reich wurde. Eine Ausbildung benötigt sie dafür nicht. Es reichen alleine ihr schickes Aussehen und freches Auftreten.
  • Andererseits gibt es auch den Youtuber, der zwar sein Studium erfolgreich abgeschlossen hat, aber dennoch mehr Geld mit seinem Youtube-Kanal verdient. Usw.

Die Digitalisierung führte zu einer weiteren Demokratisierung der Welt und damit unweigerlich zu einer weiteren Pluralisierung von Biographien. Plötzlich konnten diejenigen, die schnell, frech und klug genug waren aus ihren biographischen Ketten ausbrechen. Auch ohne Studium oder Berufsausbildung kann ich mit Hilfe des Internets reich werden.

Gleichzeitig können dies die meisten Menschen nicht, aus welchen Gründen auch immer. Sofern diese Menschen bzw. deren Berufe nichts mit der Digitalisierung zu tun haben, erscheint ein Vergleich müßig, beispielsweise bei systemrelevanten Krankenpfleger*innen, Bauarbeiter*innen, Kassierer*innen oder Putzkräften. Doch was ist mit denjenigen, die potentiell eine ähnliche Karriere hätten hinlegen können wie der App-Programmierer oder die Influencerin?

Hinzu kommt, dass viele Menschen sich bislang immer noch an Normalbiographien aus der Zeit der Postmoderne orientieren: Meine Familie, mein Haus, mein SUV. Kein Wunder, dass der Aufschrei gegen die Heizungspläne der Regierung so groß war. Hier werden aktuell nicht nur Biographien zerstört oder zumindest verstört. Hier wird auch das Bild einer Normalbiographie, an der ich mich orientieren kann, zerstört. Denn anscheinend verleiht es vielen Menschen einen Sinn im Leben, ein großes Auto zu fahren, ein Haus zu bauen und dieses an ihre Kinder zu vererben. Es scheint beinahe so, als würde ohne Auto und Haus das Leben massiv an Sinn verlieren.

Betrachten wir den Umstand der Unbezahlbarkeit eines Hauses als Chance, könnten wir auch die reine Konsumgesellschaft begraben und uns vermehrt mit gemeinschaftlichen Werten auseinandersetzen. Das jedoch ist eine andere Diskussion.

Sich mit der eigenen Biographie aussöhnen

Anstatt einer Orientierung an vermeintlichen Normalbiographien sollten wir uns folglich mit unserer eigenen Biographie aussöhnen, um uns gegen Vergleichsstress zu wappnen.

Ein Ansatz dazu ist die Sichtweise, sich selbst als Held*in in einem Film zu betrachten:

  • Jahrelang lebte ich in einem bestimmten Status quo.
  • Dann veränderte sich etwas in meinem Leben, worauf ich eine Entscheidung treffen musste.
  • Ich machte mich also auf einen Weg voller Gefahren und Hürden, reifte und wurde letztlich zu dem Menschen, der ich heute bin.
  • Eigentlich dachte ich, dass das Leben nun einem langen ruhigen Fluss gleicht. Doch jetzt passiert wieder etwas, auf das ich reagieren muss. Usw.

Und da jeder Mensch mit anderen Umständen konfrontiert ist, lässt sich auch keine Biographie mit einer anderen vergleichen.

Ein anderer Ansatz sind Biographiebilder, die uns zum Nachdenken über unser Leben anregen:

  • Prägung: Wie prägten mich meine Herkunft, Erziehung und Umwelt? Welche Werte wurden mir vermittelt? Welche davon gelten auch heute noch? Welche nicht?
  • Jahresringe: Je älter wir werden, umso mehr nimmt unsere körperliche Produktivität ab. Vergleichen wir uns jedoch mit einem Baum, können wir auch von einer Zunahme an Stärke ausgehen. Was genau macht diese altersweise Stärke aus?
  • Lebensaufgaben: Manches Leben gleicht einem Hürdenlauf – voller Aufgaben, die uns fordern. Worin genau bestehen diese Aufgaben? Und gibt es eine Lebensaufgabe, die sich durch mein gesamtes Leben durchzieht?
  • Lebensrhythmen: Meine körperlichen Prozesse, Beziehungen und Bedürfnisse verlaufen wie alle natürlichen Prozesse – bspw. die Jahreszeiten – in Rhythmen. Was bedeutet das für den Stress, den ich aktuell erlebe?
  • Beziehungen: Wie haben sich meine Beziehungen über die Jahre hinweg verändert? Bin ich damit zufrieden oder möchte ich etwas verändern?
  • Puzzle: Wir können uns unser Leben auch als großes Puzzle vorstellen. Mal passen die Teile zusammen, mal müssen wir lange suchen, um das richtige Teil zu finden. Nach welchem Teil suche ich aktuell?
  • Labyrinth: Und manchmal erscheint uns unser Leben wie ein Labyrinth, aus dem ich einen Ausweg suche. Aber vielleicht gibt es ja einen roten Faden, einen Sinn des Lebens, an dem ich mich orientieren kann.

Sinn und Zweck der Beschäftigung mit der eigenen Biographie ist die Orientierung an sich selbst. Denn in einer postmodernen Welt können wir uns kaum noch an anderen Menschen orientieren. Sinnvoller ist es stattdessen, sich mit den eigenen Lebensentscheidungen auszusöhnen und so mit der eigenen Biographie glücklich zu werden.

Quellen: Die TK-Stressstudie 2021, https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesundheitsstudien/tk-stressstudie-2021-2116458?

Corona-Kränkungen als weiße Flecken

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War da was? Ich kann mich kaum noch erinnern.

Für die meisten von uns erscheint dieses Pandemie-Dingens wie aus einer vergangenen Zeit zu stammen. In den Medien lesen wir allenfalls noch Randnotizen über Long-Covid-Fälle oder Impfschäden. Ansonsten haben längst andere Themen das große C verdrängt, namentlich der Klimawandel und Russlandfeldzug. Dennoch ist Corona nicht verschwunden. Und damit meine ich nicht das Virus ansich, sondern die Erinnerung an den Umgang mit den knapp 25% Ungeimpften, die sich noch sehr gut daran erinnern, dass 2G nicht nur ein veralteter Mobilfunk-Standard war.

Neulich meinte eine Dame in einem Seminar: „Die wollten mich damals nicht in den Teamsitzungen haben. Jetzt will ich nicht mehr.“

Dabei stellt sich die Frage, wie solche Menschen am besten mit den vergangenen Kränkungen (siehe auch) – egal wie logisch oder unlogisch diese auch erschienen sind – umgehen können. Denn letztlich schaden sie sich durch ihren fortlaufenden eigenen Ausschluss aus Gruppenveranstaltungen v.a. selbst.

Die Logik hinter einem solchen Verhalten ist einfach: Sollte ich selbst wieder zur Normalität zurückkehren, wäre das ein Signal dafür, dass wieder alles in Ordnung ist. So empfinde ich jedoch nicht. Mein Leiden ist folglich ein Signal an mein Umfeld, dass es für mich noch nicht vorbei ist.

Wollen solche Menschen im Nachhinein recht bekommen?

Mit Sicherheit. Aber bitte nicht wieder die alten Diskussionen aufwärmen. Damit ist kein Blumenstrauß zu gewinnen, sondern würde nur wieder in die alten Grabenkämpfe führen.

Wünschen sich solche Menschen eine Entschuldigung?

Das halte ich für schwierig. Schließlich hatten alle in dieser Zeit Angst. Angst vor einer Ansteckung. Angst vor dem Tod. Angst vor der Spritze. Angst vor sozialem Ausschluss und Kündigung. Und aus der Angst heraus werden manchmal Dinge getan und gesagt, die wir in Ruhe nicht tun oder sagen würden. Wie also soll sich jemand für seine Angst entschuldigen?

In einem anderen Seminar saß ich neulich mit einigen Führungskräften beim Abendessen. Der gemeinsame Konsens lautete: „Da wurde viel Vertrauen zerstört.“ Und: „Da ist in der Kommunikation miteinander viel schief gelaufen.“

Vielleicht muss es nicht immer die große Entschuldigungsnummer sein. Oftmals reicht es aus, anzuerkennen, dass nicht alles perfekt abgelaufen ist, um einen gemeinsamen Neustart zu wagen und Vertrauen wieder aufzubauen.

Gesprächsangebote sollten auch angenommen werden

Bei solchen Angeboten ist es wichtig, diese anzunehmen, auch um sich nicht dauerhaft selbst zu schaden. Damit sollten Kränkungen nicht weggewischt, sondern wenigstens wahrgenommen werden, auch wenn die Meinungen über das Corona-Management vermutlich immer noch weit auseinander gehen.

Was braucht es, um gut zusammen zu arbeiten?

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Neulich kam in einem meiner Seminare die Frage auf, wie man mit Mitarbeiter*innen umgeht, wenn sie so gar nichts von sich preis geben wollen. Sicherlich sollte es zuallererst um die Arbeitsleistung gehen und nicht um die Kenntnis voneinander. Dennoch bringt uns zweiteres einander näher und sorgt damit für Vertrauen. Andernfalls könnte eine Unkenntnis voneinander zu Misstrauen führen. Grund genug, sich dieses Thema genauer anzusehen.

Das System der 3 V: Verständnis, Verbindung, Vertrauen

Nach längerem Nachdenken – wie so oft im Rahmen einer ausgedehnten Wanderung – komme ich zu dem Schluss, dass für eine gute Zusammenarbeit mindestens eines der drei V wichtig ist:

  1. Verständnis: Entweder Sie verstehen einigermaßen, was Ihr Gegenüber macht und warum er oder sie so handelt.
  2. Verbindung: Oder Ihr Gegenüber erleichtert Ihnen mit seinem Tun Ihr Leben bzw. Ihre Arbeit. Verbindungen können folglich negative oder positive Auswirkungen haben.
  3. Vertrauen: Oder Sie haben ein tiefes Vertrauen in Ihr Gegenüber.

Lassen Sie mich das anhand von ein paar Beispielen verdeutlichen. Nehmen wir als erstes einen jungen IT-ler, der erst vor Kurzem zu Ihnen ins Team kam. Er sagt wenig, aber macht seinen Job. Sie verstehen nicht, warum er so zurückhaltend ist, aber man muss ja nicht alles verstehen. Sie vertrauen ihm auch (noch) nicht, weil sie aufgrund der Kürze der Zeit noch nicht einschätzen können, ob er seine Leistung halten wird, unter Stress zusammenbricht oder langfristig nicht ins Team passt. Aber Stand Jetzt erleichtert er Ihnen ihre Arbeit. Mit zunehmender Dauer könnte sich so etwas wie Vertrauen einpendeln, auch wenn Sie immer noch nicht verstehen, warum er so ist wie er ist.

Denken Sie in einem anderen Fall an einen Querulanten. Vielleicht verstehen Sie, warum er regelmäßig gegen feuert. Vielleicht auch nicht. Selbst wenn, macht das Ihr Leben vermutlich nicht gerade einfacher. In diesem Fall sollten Sie zumindest darauf vertrauen können, dass sich die Wogen nach und nach wieder glätten und dass vieles nicht so heiß gegessen wie gekocht wird, damit eine Zusammenarbeit möglich ist.

Damit gleicht dieser Fall paradoxerweise beinahe einer privaten Liebesbeziehung. Man versteht oft nicht, warum der Partner so handelt, das eigene Leben wird durch Liebe nicht immer einfacher, aber wenn genügend Vertrauen da ist, steht einem wunderbaren Zusammenleben eigentlich nichts im Weg ;-).

Denken wir für ein letztes Fallbeispiel noch an einen Azubi, der Ihnen mit häufigen Fehlern das Leben schwer macht und Sie daher auch kein Vertrauen in ihn bzw. seine Arbeit haben können. Hier sollten Sie zumindest verstehen, welche Gedanken er sich in der Arbeit macht. Ein paar persönliche Informationen können in diesem Fall ebenso hilfreich sein, um über die Durststrecke der Eingewöhnungsphase hinweg zu helfen.

Wie wir uns ständig einreden, wie unpassend es ist, anderen zu helfen

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Wie der Biologe Frans de Waal in seinem Buch „Der Mensch, der Bonobo und die 10 Gebote“ darstellt, gibt es zwei widerstreitende Maximen zum Thema Helfen: Die „Altruismus-muss-weh-tun“- und die „Altruismus-fühlt-sich-gut-an“-Hypothese.

Kostet anderen zu helfen einen Preis?

Dass anderen zu helfen mit Schmerzen verbunden sein muss, war lange Zeit die Haupterklärung für Altruismus. Wer anderen hilft, ist naiv. Und wenn schon geholfen wird, ist das zumindest erklärungsbedürftig. Die Grundannahme dahinter lautet: Wir leiden jetzt, indem wir uns für andere aufopfern, um später einen Vorteil daraus zu ziehen. Wir ziehen unsere Kinder auf, damit wir im Alter nicht alleine sind. Wir helfen Freunden beim Umzug, damit wir bei Bedarf ebenso Hilfe bekommen. Oder wir unterstützen Kolleg*innen, damit wir uns, wenn wir einmal ganz oben in der beruflichen Nahrungskette stehen, auf eine breite Unterstützungsbasis verlassen können.

Diese Denkweise hat auch heute noch in vielen Bereichen Gültigkeit, wenn es heißt, man solle sich nicht über den Tisch ziehen lassen und jede*r soll sich in unserer neoliberalen Welt am besten um sich selbst kümmert, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Und ganz falsch ist das nicht. Es ist ja tatsächlich so, dass wir uns durch ein altruistisches Verhalten Freunde machen, die uns bei Bedarf später mit einer höheren Wahrscheinlichkeit unterstützen werden.

Gleichzeitig klingt dieser Ansatz doch sehr strategisch, als würden wir genau deshalb helfen, um später Hilfe zu bekommen. Dass diese Herangehensweise nicht funktioniert, zeigt Adam Grant in seinem Buch „Geben und Nehmen“. Grant stellt dar, dass wir am meisten Hilfe zurückbekommen, wenn wir selbst keine Hintergedanken haben. Die strategische Version ist zu manipulativ.

Was wir alles denken, um anderen nicht helfen zu müssen

Die Altruismus-mit-Schmerzen-Hypothese kam jedoch in den letzten Jahren v.a. durch bildgebende Verfahren unter Druck. U.a. wurde von einem Team um James Rilling von der Emory University festgestellt, dass wir in sozialen Situationen zuerst den Impuls haben, anderen zu helfen und dann erst darüber nachdenken, ob diese Hilfe gut oder schlecht ist (de Waal, 2015, S. 72).

Kognitive Begründungen für eine Nichthilfe können entsprechend der „Altruismus-tut-weh“-Hypothese vielfältig sein:

  • Du machst dich hier zum Affen.
  • Ist das nicht übergriffig?
  • Bloß nicht einmischen.
  • Am Ende fühlt sie sich von dir angemacht.
  • Wer zu viel hilft, macht andere abhängig.
  • Und bei gehandicapten Menschen: Wie helfe ich hier am besten? Vielleicht will der das gar nicht.

Kurzum: Als erstes taucht der Impuls zu helfen auf. Dann jedoch finden wir eine Menge Gründe, warum es unpassend ist.

Öfter mal zum Affen machen

Wie de Waal zeigt, ist dieser Impuls ein Erbe unserer tierischen Vorfahren. Sowohl Schimpansen als auch Bonobos lösen eine Menge Konflikte, indem sie beispielsweise Kontrahenten nach einem Streit zur Versöhnung sanft aufeinander zu schieben oder anderen die Tür zu einem Futterraum öffnen, obwohl sie selbst dadurch weniger Futter bekommen.

Aber gehen insbesondere Schimpansen nicht oftmals aggressiv miteinander um? Dies liegt meist an der Enge und fehlenden Fluchtmöglichkeiten in einer unnatürlichen Umgebung. Zum Vergleich: In einen einstöckigen Nahverkehrs-Reisezugwagen passen inklusive stehenden Personen etwa 150 Menschen. Stellen wir uns vor, der Zug strandet bei Vollbesetzung zwischen zwei Haltestellen im Nirgendwo. Bei einer sommerlichen Hitze von 30 Grad. Die Klimaanlage fällt aus. Zudem ist unklar, wie lange der Aufenthalt dauert. Wie lange dauert es wohl, bis die ersten Menschen darin ungehalten reagieren? Nebenbei: Gibt es schon eine Serie über Geschichten, die Menschen erleben, wenn die Bahn Verspätung hat? Wenn nein, warum nicht? Netflix, Amazon oder Disney, wie wär’s?

Unsere weniger sozialisierten Vorfahren denken vermutlich weniger als wir über Gründe nach, warum sich gegenseitig zu helfen falsch ist. Vielleicht sollten wir uns viel öfter „zum Affen machen“. Aber vielleicht steckt dahinter auch eine große Kränkung. Wie Sigmund Freud bereits anmerkte: Wir sind nicht Herr im eigenen Haus. Und Frau wohl auch nicht. Freud meinte damit, dass unser Es, d.h. unsere unbewussten Impulse, uns oftmals mehr leiten, als uns lieb ist.

Wobei der Geschlechterunterschied, wenn wir schon dabei sind, ein gutes Stichwort ist: Nach de Waal reagieren bereits neugeborene Mädchen stärker auf Gesichter, während das männliche Geschlecht stärker auf mechanisches Spielzeug reagiert. Später sind Mädchen prosozialer als Jungs, achten mehr auf Stimmen, können emotionale Ausdrücke besser deuten, sind empathischer und haben mehr Gewissensbisse, wenn sie andere verletzen (de Waal, S. 75).

Geht es also gar nicht darum Chef*in im eigenen Haus zu sein, sondern besser auf die eigenen inneren Impulse zu horchen, ohne sie mit logischen Argumenten beiseite zu schieben?

Helfen macht Spaß

Schauen wir uns genauer an, welche Tätigkeiten bei uns Menschen mit Lust verbunden sind, wird deutlich, dass biologisch alles, was uns im ersten Moment keinen Vorteil bringt, jedoch wichtig für unser Überleben als Mensch oder Menschheit ist, mit positiven Emotionen vernetzt ist:

  • Das Stillen unseres Hungers gibt uns ein befriedigendes Gefühl. Der Geschmack von Salz, Zucker, Pfeffer, Knoblauch, usw. ist dabei auch nicht zu vernachlässigen.
  • Wie Sex funktioniert brauche ich wohl nicht zu erläutern.
  • Und die Königsdisziplin des Helfens – die Brutpflege – funktioniert ebenso nur durch positive Emotionen.

Einfach formuliert werden beim Helfen – und zwar nicht nur den eigenen Nachkommen, sondern auch der alten Dame am Ticketautomaten – Bindungshormone (Oxytocin) ausgeschüttet, die uns über unsere Spiegelneuronen beinahe das Gefühl geben, uns selbst zu helfen. Schaffen wir es, die unterstützte Person zu ihrem Ziel zu führen, haben wir damit auch das Gefühl, selbst ein Ziel erreicht zu haben. Dadurch werden Glücks- und Belohnungsgefühle im Nucleus accumbens ausgelöst, wodurch wir uns gemeinsam über diesen Erfolg freuen können.

Und damit sind wir bei der „Altruismus-fühlt-sich-gut-an“-Maxime angekommen. Der Grundgedanke dahinter lautet also: Wenn wir schon weniger an uns selbst denken, sollte es sich gut anfühlen, anderen zu helfen, damit wir es auch tun.

Um andere zu unterstützen brauchen wir also nicht einmal Mut, sondern lediglich das Im-Zaun-halten der inneren Stimmen, die uns suggerieren, wie naiv und unpassend es doch ist, anderen zu helfen.