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Nach der Distanz kommt die Neue Stabilität, oder: Worum sollte es in aktuellen Teamentwicklungs-maßnahmen gehen?

Warum es einen echten Neustart braucht

Über 2 Jahre gab es kaum Teambildungsmaßnahmen. Nun, da die Distanz sich weitgehend aufgelöst hat, sind Organisationen gezwungen, die neue Nähe der Kolleg*innen neu zu meistern. Ein einfaches “Weiter so” kann es kaum geben. Ein “Auffrischen der vorpandemischen Zusammenarbeit” wird auch nicht funktionieren. Stattdessen braucht es aus vier Gründen einen echten Neustart:

  1. Hybride Zeiten: Wir leben in hybriden Zeiten. Es gibt gute Gründe für Homeoffice und gute Gründe für einen Austausch in Präsenz. Die Zusammenarbeit auf Distanz war geprägt vom Verzicht. Es ging nunmal nicht anders, als auf Distanz zu bleiben. Nun geht es um ein genaues Austarieren, was in welcher Form sinnvoll ist. Das macht es nicht einfacher, am Ende jedoch (hoffentlich) produktiver und menschlicher.
  2. Irritationen und Konflikte: Durch die Distanz ergaben sich bestenfalls Missverständnisse und Irritationen, teils aus innerbetrieblichen, teils auch außerbetrieblichen Gründen. Werden diese nicht ausgeräumt – wozu im Alltag selten Zeit ist – kann es langfristig zu Missstimmungen und Konflikten kommen.
  3. Persönliche Entwicklungen: Viele Menschen entwickelten sich auf Distanz weiter. Der auf sich zurückgeworfene Mensch dachte über sich und seine Arbeit nach. Manche freuten sich vielleicht, endlich wieder die Kolleg*innen in Präsenz zu sehen. Andere vermissen die Zeit im Homeoffice, die Ruhe, die zwischenzeitlich neue Ordnung des Lebens, eine bessere Work-Life-Balance oder stellen sich die Sinnfrage ihrer Arbeit (siehe auch mein Artikel zu Antiwork).
  4. Von der Krise zur Dauerkrise: Während in vorpandemischen Zeiten bereits starke Belastungen, Arbeitskräftemangel und eine hohe Bürokratisierung vorherrschte, besteht die neue Arbeitswelt aus Dauerüberlastungen und noch mehr Arbeitskräftemangel. Eine Beschäftigung mit der Qualität der Arbeit zeigt, dass es hier natürliche Grenzen gibt, wenn nicht genügend Kolleg*innen vorhanden sind:

Meist geht es dann entweder langsamer oder die Qualität leidet. Auch darauf sollte in einer Teamentwicklungs-maßnahme eingegangen werden, um den Druck auf die Mitarbeiter*innen zu verringern und die Erwartungen an sich selbst sowie untereinander zu klären.

Die Dauerkrisenstimmung zeigt allerdings auch, dass alte Gewissheiten, Orientierungen und Stabilitäten vermutlich dauerhaft verloren gingen.

Eine Anleitung von der Stange schließt sich in Teamentwicklungen logischerweise aus. In den Maßnahmen, die ich aktuell begleite geht es um:

  • Sinnvolle Strukturierungen, um besser mit Komplexität umzugehen,
  • die Vereinbarung neuer Zusammenarbeitsregeln im Umgang mit Dauerbelastungen,
  • den Austausch von gegenseitigen Erwartungen,
  • der Klärung, ab wann eine Arbeit gut erledigt wird,
  • bis hin zu grundsätzlichen Klärungen der Zusammenarbeit, von Missverständnissen und Konflikten.

Neuorientierung und Neuverwurzelung

Wenn wir uns die Welt von heute ansehen, sollte es bei Teamentwicklungen jedoch grundsätzlich darum gehen, als einzelner Mensch – nach der Phase der Distanzierung – wieder mehr Demut zu entwickeln, die Welt nicht alleine retten zu können. Die Wahrnehmung, lediglich ein Teil eines größeren Systems zu sein, stutzt nicht nur das eigene Ego zurück, sondern lässt sich in unserer modernen Arbeitswelt als unabdingbar betrachten.

Der moderne Mensch lässt sich als “Homo proicere” schreiben. “Das Wort „Projekt“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „das vorwärts Geworfene oder Ausgestreckte“. „Homo proicere“ bedeutet damit der „vorwärts geworfene Mensch“ – der Mensch, der kaum noch im Jetzt lebt, sondern sich stattdessen von Projekt zu Projekt, von Job zu Job, von Aufgabe zu Aufgabe hangelt, ohne fortlaufende Kontinuität und erst recht ohne aufgearbeitete Fehler.” (Michael Hübler – Die Bienenstrategie)

Wer bei einer solchen dauerhaften Hektik, inklusive Arbeitskräftemangel, fordernden Kund*innen und offenen Türen keine Stabilität findet, landet bald im Burn-out.

Früher fand der Mensch häufig Orientierung an materiellen Dingen, sowohl in der Arbeitswelt als auch privat. Wir erinnern uns an die uralte Werbung der Sparkasse: Mein Haus, mein Auto, mein Pferd, bzw. mein Schreibtisch, mein Computer, mein Sitzplatz. In einer hybriden Welt löst sich das auf. Was jedoch bleibt sind die Beziehungen. Und hier können wir von symbiotischen Pflanze-Tier-Beziehungen und Schwärmen aus der Tierwelt einiges lernen. Wer mehr darüber erfahren will: https://www.metropolitan.de/buch/die-bienen-strategie

Was also braucht der moderne Mensch als (neue) Orientierung:

  • Feste Rituale (spannend moderierte Meetings, Ausflüge, Begegnungen, Gespräche), um sich mit anderen auszutauschen.
  • Eine eigene Rolle, die mich als Mensch besonders macht, in der Regel verbunden mit einer bestimmten Leistung, die mich auch in der Digitalisierung unersetzlich macht.
  • Und klare Regeln und Richtlinien für einen guten Umgang miteinander und eine gute Zusammenarbeit.

Wenn die bisherigen Wurzeln nicht mehr vorhanden sind, braucht es neue Wurzeln. Wer oder was, wenn nicht die Beziehungen im Team könnte für diese Wurzeln stehen, um wieder Stabilität in die Arbeitswelt zu bringen?

Führung in und nach der Krise

Gerade in schwierigen Situationen erscheinen Standhaftigkeit und eine klare Vision über die Zukunft verbunden mit einer guten Portion Autorität wichtiger denn je. Während wir in Vor-Corona-Zeiten vom Land der glückseligen Mitbestimmung träumten, beraubte uns die Pandemie unserer schönsten Utopien. Schwarmintelligenz war gestern. In der Krise riefen die Menschen nach einer starken Hand. Die Umfragewerte der Politiker zeigen: Je strenger oder vorsichtiger, desto zufriedener sind die Bürger. Abwägende Denk- und Vorgehensweisen haben es schwer, wenn ein Virus um sich greift, das die Menschen ängstigt. Zumindest gilt das für durchschnittlich 70% der Menschen. Vermutlich spiegelt dies das klassische Verhältnis wieder, auf das wir auch in Firmen treffen: 70% wünschen sich einen klar vorgegeben Kurs. 30% würden gerne mitbestimmen oder sich zumindest einen Rest an Autonomie vorbehalten. “Wer Krise kann, kann auch Kanzler” heißt es grammatikalisch holprig. Gilt das auch für Führungskräfte?

Dabei haben wir es hier mit einem Missverständnis zu tun. Die Mitbestimmung des Volkes stand am Höhepunkt der Pandemie ebenso wenig zur Debatte wie die Mitbestimmung der Mitarbeiter, wenn ein Unternehmen in eine Schieflage gerät. In einer Krise müssen Systeme agieren wie Hochrisiko-Organisationen. Wenn es brennt, beginnt die Feuerwehrmannschaft nicht mit Hilfe eines Redestabs zu diskutieren. Und wenn der Mann auf dem OP-Tisch am verbluten ist, braucht es keinen Diskurs über das letzte Seminar zur optimalen Desinfektion des chirurgischen Bestecks. Krisen sind Zeiten des Handelns. Zeiten für Helden und Heldinnen, wobei sich regelmäßig zeigt, dass die Domäne des Heldentums nur allzu gerne eine Männerdomäne bleibt. Liegt es Frauen nicht, sich derzeit in den Vordergrund zu drängen? Oder werden sie verdrängt von dominanten Alphamännchen?

Ob Mitbestimmung und Schwarmintelligenz in Krisenzeiten angezeigt sind, ist daher die falsche Frage. Essentieller ist die Frage: Wann ist die Krise vorbei? Morgen? Übermorgen? Oder gestern? Und woran erkennen wir, dass eine Krise überwunden wurde? An erreichten oder glücklicherweise nicht erreichten Kennzahlen? An der Stimmung der Menschen? Leben wir noch in einer Krisenstimmung? Oder fühlen die meisten von uns bereits das, was sich irgendwie als alt-neue Normalität entpuppt?

Wer sich einmal als mythischer Held beinahe altertümlichen Ausmaßes fühlen durfte, mag seinen Heldenstatus kaum freiwillig wieder abtreten. Ein Unternehmen, das aktuell nicht mehr am Rande des Untergangs steht, tut jedoch gut daran, sich auf die Intelligenz seiner vielen Mitarbeiter zu besinnen. Denn in Nicht-Krisen-Zeiten wissen viele Köpfe, die nun nicht mehr ganz so heiß laufen wie noch vor kurzem, i.d.R. mehr als ein einziger. Zudem sind Menschen, die nicht künstlich mit an Bord geholt werden müssen motivierter, wenn sie selbst mitbestimmen dürfen, wohin es lang geht.

Anliegen und Sorgen vs. Verschwörungstheorien

Das Internet ist derzeit voller Verschwörungstheorien, vermeintlichen Aufdeckungen und dem Kampf dagegen mittels Fakten-Checkern. Google spendiert aktuell über 6 Millionen Euro an Startups oder bereits etablierte Seiten im Netz zur Aufdeckung von Fake News. Eine zeitlang hatte ich das Gefühl, die ARD ist mehr damit beschäftigt, Verschwörungstheoretiker zu entlarven als tatsächlich Nachrichten zu vermitteln. Das ganze mutet sehr nach einem Kampf um die Meinungshoheit an.

Wie im Krieg gibt es bei Kämpfen selten Gewinner. Der Krieg um die Wahrheit lässt sich ohnehin nicht gewinnen, zumal in jeder Falschnachricht ein Fünkchen Wahrheit steckt und in jeder offiziellen Nachricht etwas verschwiegen wird. Und Wahrheiten bezüglich einer szenarischen Zukunft werden erst in einigen Monaten oder sogar Jahren falsifiziert oder verifiziert. Ein Fakten-Check, der auf Szenarien in der Zukunft angewandt werden kann, muss erst noch erfunden werden. Diejenigen jedoch, deren Beiträge auf Youtube gelöscht werden, fühlen sich bestätigt, dass sie auf dem richtigen Weg sind: “Die sagen uns nicht die (ganze) Wahrheit.” Und diejenigen, die gegen Fake News vorgehen, fühlen sich selbstredend ebenso bestätigt: “Die sind einfach unbelehrbar.”

Damit schaukelt sich der Kampf um die Wahrheit so lange hoch, bis er entweder explodiert oder implodiert. Eine Implosion wäre für die Gesellschaft vielleicht verkraftbar, auch wenn ich mir ernsthafte Sorgen mache um all die Menschen, die aktuell kein Gehör finden. Wollen wir wirklich die Menschen (eine Schätzung fällt schwer, aber mir dünkt, es seien viele), die Verschwörungstheorien anhängen an den medialen Pranger stellen? Können und wollen wir uns das leisten als Gesellschaft, die auf den Grundfesten der Meinungsvielfalt beruht? Sind wir ernsthaft damit zufrieden, Menschen, die sich Sorgen um den Rechtsstaat machen wegzusperren oder medial mundtot zu machen?

Eine Explosion könnte ebenso fatale Folgen haben. Ich spreche nicht von einer Revolution auf der Straße, auch wenn wir nach der Lockerung sicherlich einiges zu sehen bekommen werden. Da wird so manches Pegida-Revival dabei sein. Und mancher wird sich wundern, wer neben ihm demonstriert. Aber was wäre, wenn all diese Unzufriedenen in der kommenden Wahl ihrer Unzufriedenheit mit einem Kreuz Luft machen würden? Ist dieses Risiko wirklich kalkulierbar? Wer ein wenig im Internet surft oder allgemein die Augen und Ohren offen hält, merkt, dass die Unzufriedenheit nicht nur von den üblichen Verdächtigen kommt, sondern von ganz normalen Soloselbständigen, Gaststättenbesitzern, Zwangsrentnern, Künstlern, Kleinstunternehmern, Handwerkern, Familienmenschen, usw. Wollen wir diese breite Masse der Menschen, die sich aktuell Sorgen um ihre Zukunft machen, wirklich an Verschwörungstheoretiker verlieren? Wen werden sie wählen, wenn sie jetzt kein Gehör bekommen?

Der mediale Kampf zwischen Verschwörungstheorie- und Regierungsanhängern vertieft Gräben, die ohnehin vorhanden sind. Es gibt die Denke, dass jetzt nicht die Zeit wäre, aufeinander zuzugehen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es nach den ersten Schockwellen der Krise überhaupt noch möglich ist, die Wunden zu heilen, die jetzt aufgebrochen sind?

Das Vertrauen in den Staat, die Hin- und Her-Kommunikation um Verdopplungszahlen, Masken und Tests wirft ein schlechtes Licht auf die Regierung. Medien, die einseitig berichten, verspielen gerade ihre Rolle als Medium und Moderator, als Vermittler in diesem Kampf um die Meinungsdeutung. Während früher lediglich rechtsgerichtete Menschen von Systemmedien sprachen, kommt diese Kritik mittlerweile aus einer Ecke (externer Link), aus der wir das nie vermutet hätten. Der Ethikrat spricht von einem Obrigkeitsstaat, wenn Diskussionen nicht auf eine breite gesellschaftliche Basis gestellt werden.

Würden wir anfangen, Menschen, die Verschwörungstheorien anhängen, endlich aus dem Dunkel des Unheimlichen herauszuholen und zu akzeptieren, dass dahinter echte Sorgen und Anliegen stehen, wäre bereits viel getan. Wer die Maßnahmen der Regierung kritisiert, ist noch lange kein Feind der aktuellen Vorgehensweisen, sondern macht sich vielleicht Sorgen um seine Gesundheit. Für Vampire ist die Sonne ungesund. Für uns Menschen gilt das Gegenteil. Wer sich Sorgen um Kindeswohlgefährdungen und depressive alte Menschen macht, wünscht sich, dass der Ethikrat mehr Gehör in einem Expertenrat findet. Wenn er nun sieht, dass im bayerischen Expertenrat wieder nur ein Virologe, Arzt und Epidemiologe sitzt, fühlt er sich abgehängt. Kein Wirtschaftswissenschaftler, kein Psychologe, kein Kirchenvertreter, kein Ethiker, kein Sozialwissenschaftler. Und wer aktuell als Selbständiger keine Aufträge bekommt, findet es befremdend, wenn über den Exit aus dem Shutdown nicht gesprochen werden darf. Er hält vielleicht noch einen Monat durch. Aber was dann?

Der Mensch braucht Ziele zur Motivation. Der Mensch sucht beständig nach einem Sinn. Wenn er diesen Sinn lediglich über eine spekulative Kurve bekommt, deren Zahlen ungesichert sind (externer Link), jedoch nicht weiß, ob er das Ende der Kurve überhaupt erleben wird, sucht er sich seinen Sinn anderswo.

Politik in der Krise funktioniert über klare Entscheidungen. Ich bin froh, derzeit kein Politiker zu sein. Sie funktioniert aber auch über Signale und ein Zugehen auf den medialen “Gegner”. Es wäre an der Zeit, Kritiker an Bord zu holen, um Verschwörungstheoretikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

(Update 08.04.: Mittlerweile wurde der Expertenrat erweitert und breiter aufgestellt.)

Ein Dilemma für die zukünftigen Lehrbücher

Die Regierung steht vor einem Dilemma, dass in seiner Paradoxie und Brutalität kaum zu überbieten ist. Stellen wir uns dazu die Zukunft mittels zweier Extrem-Szenarien vor:

  1. Das Virus ist tatsächlich so gefährlich, wie behauptet wird. Es wütet so schlimm wie in Italien, Spanien oder Frankreich. Dann hätte die Regierung alles richtig gemacht. Die restriktiven und teils infantilisierenden Ausgangsbeschränkungen hätten ihre Berechtigung gehabt. Die Bürger würden sagen: Gut habt ihr gehandelt. Streng und gut. Und recht hattet ihr, die Ungehorsamen und Unbelehrbaren hart zu bestrafen. Ihr habt unser aller Leben beschützt. Die Verschwörungstheoretiker hätten unrecht gehabt. Das Paradoxe daran lautet: So brutal es klingt, aber eigentlich wünschen wir uns insgeheim so ein Szenario. Wir wünschen uns volle Krankenhäuser. Wir wünschen uns ein volles BVB-Stadion. Wir wünschen uns Tote, um in unser aller Glauben bestätigt zu werden. In seiner ganzen Brutalität würde uns dies paradoxerweise erleichtern. Die ganzen Verzichte und Leiden waren nicht umsonst. Die Kindeswohlgefährdungen, der Suizid des hessischen Finanzministers, die bankrotten Unternehmen und Soloselbständigen, das Sterben der kleinen Einzelhändler. All das war nicht umsonst.
  2. Was jedoch passiert, wenn das Virus weniger wütet als gedacht? Medizinisch eine erleichternde Vorstellung, aber sozialwissenschaftlich betrachtet eine Horrorvision. Der Shutdown lässt sich mit einem konjunktivischen Narrativ erklären: Wenn wir nicht gehandelt hätten, wäre es noch viel schlimmer gekommen. Doch was ist mit den Bußgeldern? Und viel schlimmer noch: Was ist mit der Wahrheit, die sich dann nicht mehr beweisen lässt? Werden Verschwörungstheoretiker einen neuen Zulauf bekommen? Was passiert mit all jenen, die aktuell sagen: Wir sehen es anders? Wird es eine neue Welle an Protestwählern geben? Das “Was wäre passiert, wenn wir nicht …?” lässt sich nicht beweisen. Für ein “Was wäre passiert, wenn wir nicht …?” gibt es keinen Fakten-Check.

Wie also könnte ein Ausgang aus diesem Dilemma aussehen? Für mich als Befürworter von Schwarmintelligenz und einer agilen Vorgehensweise gibt es nur einen Weg: Kritiker so schnell wie möglich mit ins Boot holen, um die Versöhnung nicht auf die Zeit nach der Krise zu schieben, sondern bereits jetzt an für die gesamte Gesellschaft sinnvollen Lösungen zu arbeiten. Das würde jedoch bedeuten, in Expertenteams nicht nur Virologen, Mediziner und Epidemiologen einzuladen, sondern auch Juristen, Soziologen, Psychologen, Philosophen, Ethiker oder Kirchenvertreter. Wir stehen vor der größten Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Können wir angesichts dieser Krise wirklich auf die Expertise vieler kluger Köpfe dieses Landes verzichten? Die Krise werden wir so oder so meistern. Auch mit einschneidenden Restriktionen. Doch wie wird die soziale Welt danach aussehen?

Kommunikationsregeln für schwarmintelligente Diskussionen

22. März, zweiter Tag meines Bunkertagebuchs. Ich habe gestern ein Tagebuch auf Facebook begonnen, indem ich nur Fragen stelle, die irgendetwas mit Corona zu tun haben. Meine Mitdiskutanten wurden ebenso dazu aufgerufen, nicht wirklich zu diskutieren, sondern sich durch die Fragen der anderen anregen zu lassen, sich eigene Fragen zu stellen. Ziel war und ist es, die gegenseitigen Vorwürfe aus dem Austausch zu lassen. Nachdem ich heute andernorts diverse giftige Pro-Contra-Debatten verfolgte, wurde ich darin bestätigt, dass dieser Weg der bessere ist, um sich gegenseitig anzunähern und zu begegnen.

Als Mediator könnte ich mich freuen. Vielleicht habe ich ja nach der Krise ausgesorgt. Muss aber auch nicht sein.

Es ist mir jedenfalls ein Bedürfnis, an dieser Stelle zu klären, wie wir gut miteinander umgehen können (insbesondere im Netz), um schwarmintelligente Diskussionen zu führen und warum wir gerade mal wieder in ein Herdendenken abrutschen:

Schwarm statt Herde

Sobald Menschen dazu gezwungen werden, sich eine Meinung zu bilden, bei der es nur Schwarz oder Weiß gibt, entsteht eine Herde und Gegenherde. Gerade entwickeln sich besorgniserregende Strukturen, die sich immer herausbilden, wenn zwei Lager aufeinander prallen. Was vor Jahren bei Stuttgart 21 passierte (oder bei Trump vs. Clinton, Brexit, …), passiert nun bei Corona, mit dem Unterschied, dass hiervon wirklich jede/r betroffen ist. Dies lässt sich verhindern, indem die Menschen von Ja-Nein-Diskussionen wegkommen und akzeptieren, dass wir alle Recht haben könnten bzw. niemand weiß, was in ein paar Monaten passiert. Wir orientieren uns an Wissenschaftlern, die jedoch ebenso sagen: Ich lerne jeden Tag dazu.

Auch die Wahrnehmung einer Meinungsbildung als Prozess ist sinnvoll: Erst kommt der von Neugier geprägte Suchprozess, dann das analytische Abwägen, dann eine entschlossene Entscheidung und schließlich das tatkräftige Handeln. Es gibt derzeit die Meinung, dass wir in der Corona-Krise schnell handeln müssen. Das mag sein, hindert jedoch private Menschen nicht daran, aus der Quarantäne heraus ihren eigenen Suchprozess zu starten und diesen mit anderen zu diskutieren. Was wirklich richtig und was falsch gewesen sein wird, weiß niemand. Wenn sich Menschen gemeinsam auf einen prozesshaften Weg machen und die Meinungen anderer als vorübergehend akzeptieren ist bereits viel geschehen. Ich kann die Quarantäneregeln befolgen und dennoch skeptisch sein. Das geht. Schwärme tauschen sich aus über den besten Weg. Herden kämpfen gegeneinander. Wir haben die Wahl, wofür wir uns entscheiden wollen.

Fragen statt Meinungen

Mein Fragenprojekt zeigt mir, dass in einer solch aufgeladenen Stimmung selbst gute Freunde heftig aneinander geraten. Menschen, von denen ich weiß, dass sie ansonsten besonnen sind und sich nicht wirklich zum Kriegstreiber eignen. Ich mache mir gerade große Sorgen um uns. Weniger um das Virus, sondern um unseren Umgang miteinander. Es macht mich traurig, dass wir uns gegenseitig vorwerfen, wer es nicht verstanden hat. Es macht mir Angst, wie leicht dadurch Freundschaften gefährdet werden. Menschen, die sich zuvor liebten, brüllen sich viral an. Und das bereits an Tag Zwei des vielleicht noch kommenden Lagerkollers. Vielleicht lassen sich Diskussion nicht in Gänze fragend gestalten. Aber es kann schon helfen, wenn jedes Posting mit einer Frage beendet wird. Im Sinne von: Wie seht ihr das?

Ängste statt Wahrheiten

Wir haben alle Angst. Vor dem Virus, dem Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems, dem wirtschaftlichen Ruin, der Komplettüberwachung, usw. Einigen uns unsere Ängste? Oder trennen sie uns? Wie gehen wir mit unseren Ängsten um? Machen Sie uns wütend? Oder unsicher? Es ist wichtig, anderen über seine Ängste und Unsicherheiten zu erzählen. Das macht Diskussionen weicher und lässt Begegnungen zu. Ein jüdisch-amerikanisches Sprichwort lautet: Be a Mensch. Menschen haben nicht nur Meinungen, sondern auch Gefühle. Im Grunde sind wir alle eins. Wir sind alle Menschen. Erkennen wir also den Menschen in uns und im anderen.

Wer mehr über das Fragenprojekt erfahren will, darf mich gerne kontaktieren. Nachdem die Fragen bereits am ersten Tag auf Facebook explodierten, werden wir auf eine geschützte und geordnete Plattform umziehen und uns dort weiter auszutauschen. Die Ziele des weiteren Austauschs entstehen im schwarmintelligenten Prozess. Worum es gehen könnte, zeichnet sich jedoch bereits ab:

  • Wie gehe ich mit der Krise um?
  • In welcher Gesellschaft will ich in Zukunft leben?
  • Welche Chancen ergeben sich durch / nach Corona?