Fake-News aus dem Wissenschaftsbetrieb

Aufgrund des Drucks im Wissenschaftsbetrieb hat sich laut einer Studie aus dem Jahr 2011 die Rücknahme von wissenschaftlichen Studien im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends verzehnfacht. Vor allem in renommierten Fachzeitschriften werden immer mehr Artikel veröffentlicht. Die Qualitätskontrolle kommt nicht mehr nach und bewertet meist nach der Untersuchung des p-Werts. Der p-Wert bezeichnet die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ergebnisses in einer Studie. Ein p-Wert von 0,05 gleicht einer Wahrscheinlichkeit von 5% vor. Eine Wahrscheinlichkeit über 5% legt einen Zufall nahe. Eine Wahrscheinlichkeit unter 5% wird von Zeitschriften angenommen. Studien können jedoch durch die Datenauswahl so manipuliert werden, dass deren Ergebnisse auf jeden Fall unter 5% liegen. Letztlich kann damit jedes erwünschte Ergebnis erzeugt werden. Das Prinzip dahinter lautet p-Hacking. Ich könnte beispielsweise herausfinden wollen, ob grüne Würfel häufiger gezinkt sind als blaue und dafür so lange würfeln, bis das Ergebnis unter 5% liegt. Tatsächlich ergaben Untersuchungen, dass eine riesige Mehrheit an Studien knapp unter der 5% lagen, was nahe legt, dass dieser Wert gezielt angestrebt wurde.

Mehr als 2/3 dieser Fehler in der Biomedizin und den Life Sciences entstehen nicht wie vermutet aufgrund von Schludrigkeit und Zeitdruck, sondern aufgrund purer Absicht. Der Druck ist so groß auf die Forscher, dass sie Ergebnisse liefern müssen, um ihren Lehrstuhl oder ihre Reputation zu behalten. Die Klonung menschlicher Stammzellen des Südkoreaners Hwang Woo-suk, was sich Jahre später als dreiste Lüge erwies, ist nur die Spitze des Eisbergs. Um die Güte der Studien zu erhöhen, werden Tests in der Regel von unabhängigen Forschern wiederholt. Dies passiert jedoch kaum noch. Wenn doch fallen immer mehr durch.

Zudem verkommt die medizinische Forschung aufgrund der Digitalisierung immer mehr zu einem reinen Industriebetrieb. Wo früher kleine Teams an einem Medikament forschten, werden heute große Datenmengen durch Algorithmen gejagt, um möglichst viele Medikamente gleichzeitig zu entdecken. Damit geht jedoch die Sorgfalt und Kreativität verloren. Während das Moore‘sche Gesetz davon ausgeht, dass sich die Rechenkapazität und -schnelligkeit von Computern jedes Jahr verdoppelt, haben sich die Anmeldungen medizinischer Präparate alle 9 Jahre halbiert. Deshalb spricht man in wissenschaftlichen Kreisen mittlerweile vom Eroom‘schen Gesetz, Moore rückwärts geschrieben. Während die Rechenleistung mehr wird, geht die Kreativität in der Wissenschaft immer mehr zurück. Vielleicht auch aufgrund des Denkens, dass aus Big Data letztlich alles errechnet werden kann, wenn man nur genug Daten einspeist, um neue Muster zu erkennen, was jedoch offensichtlich ein Trugschluss ist.

Der Vorwurf, Fake-News zu produzieren geht folglich nicht nur in Richtung Trump und Konsorten, sondern kann ebenso in Richtung des vermeintlich seriösen Wissenschaftsbetriebs gerichtet werden.

Quelle: James Bridle: New Dark Ages, Beck 2019