Warum Teilnehmer*innen in Online-Trainings unzufrieden sind

Nachdem ich in den letzten Jahren beinahe nur Top-Evaluationen für meine Präsenz-Trainings bekam, fiel mir auf, dass es in meinen Online-Trainings regelmäßig den ein oder anderen Ausbrecher gibt. Nichts Dramatisches, aber Grund genug sich damit auseinander zu setzen. Woran also liegt es, dass Teilnehmer*innen in Online-Trainings unzufrieden sind?

Der Reiz an Online-Trainings teilzunehmen oder solche Trainings zu buchen ist sehr hoch. Selten war es so günstig und bequem. Dennoch hat die Sache zwei Erwartungs-Haken:

  1. Zu wenig Praxis: Die meisten meiner Teilnehmer*innen sind weitgehend zufrieden. Manche erwarten sich jedoch gerade bei Themen, die weniger von der Wissensvermittlung, sondern vom Ausprobieren leben, mehr Übungseinheiten und Austausch mit den Kolleg*innen. Rollenspiele oder Körpersprachliches lässt sich jedoch schwer in Online-Formate übertragen. Viele Unternehmen ziehen es daher vor, Führungs-, Kommunikations- oder Konfliktmanagement-Trainings in Präsenz durchzuführen. Bei anderen überwiegen die Argumente der Machbarkeit, beispielsweise wenn ein Unternehmen über deutschlandweit verteilte Standorte verfügt und die Anreise teilweise aufwändig wäre. Hier regiert also das Primat der Niederschwelligkeit. Das ist OK und nachvollziehbar. Die Unzufriedenheit mancher Teilnehmer*innen ist damit jedoch eingepreist.
  2. Zu viel Praxis: Während lange Zeit ein behavioristisches Lernmodell vorherrschte, indem ein*e Experte/in vorgibt, wie es richtig geht, hatten wir uns in den letzten Jahrzehnten aufgemacht, dieses Modell zu durchbrechen und mehr auf das System zu achten und die Selbststeuerung der Teilnehmer*innen zu aktivieren. Wenn ich als Trainer beispielsweise mit Führungskräften aus einer Stadtverwaltung arbeite, bringt jede*r seine eigene Welt mit. Der Kämmerer denkt anders als die IT-lerin und die Jugendamtsleitung anders als der Leiter des Bürgeramts. Einer solchen systemischen Differenzierung in der Praxis lässt sich in Praxisübungen und -reflexionen auf der Basis von Grundmodellen leichter gerecht werden als mittels einer puren Wissensvermittlung. Solche Ausdifferenzierungen sind nicht automatisch ein Problem von Online-Trainings. Auch hier lassen sich Teilnehmer*innen aktiveren, um über die Umsetzbarkeit des Dargestellten in ihrer eigenen Welt nachzudenken. Das Problem liegt vielmehr in der Erwartungshaltung an Online-Trainings, die wieder stärker in Richtung Wissens- und Best-Practice-Vermittlung geht. Mir scheint, aufgrund der Niederschwelligkeit finden sich in Online-Trainings mehr Menschen, die in ein Präsenzseminar mit dem gleichen Thema eher nicht gehen würden.

Summa summarum haben Trainer*innen es in Online-Trainings also mit zwei Arten der Unzufriedenheit zu tun:

  1. Die einen wollen mehr Selbststeuerung und Praxisrelevanz, was in Online-Trainings möglich ist, auch wenn man Abstriche machen muss. Dies liegt nicht nur an den technischen Möglichkeiten, sondern auch am Faktor Zeit. Während Präsenztrainings klassischerweise 2 Tage dauern, sind Online-Trainings i.d.R. kürzer.
  2. Die anderen wollen lediglich Wissensvermittlung und reagieren auf eine Aktivierung der eigenen Selbststeuerung eher allergisch. Immerhin haben Sie einen Experten gebucht.

Ich persönlich versuche – gerade mit meinen Themen Führung, Kommunikation und Konfliktmanagement – weitgehend der 1. Gruppe gerecht zu werden. Außer es handelt sich um einen kurzen Impuls-Vortrag. Für die 2. Gruppe ist es hilfreich, die eigene Vorstellung von Lernen und damit auch die eigene Vorgehensweise möglichst früh im Seminar transparent zu machen.