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Das postmoderne Drama

Ganz ehrlich: Ich liebe die Postmoderne. Was heutzutage alles möglich ist, wäre bis vor kurzem beinahe ein Wunder gewesen:

  • Wir sprechen in Unternehmen offen über psychische Gesundheit.
  • Führungskräfte versuchen mit Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe zu kommunizieren.
  • Ich kann in Trainingspausen bei Nicht-Wissen schnell Chatgpt fragen, um zumindest ein paar Ideen zu bekommen.

Gleichzeitig gilt nicht nur, dass wir mehr über die Funktionsweise von Maßnahmen und Systemen wissen, als wir verändern können. Wir können auch nicht mehr so tun, als wüssten wir es nicht besser.

1 Radikale Erkenntnisgewinne bei begrenzten Umsetzungsmöglichkeiten

Die Postmoderne ist geprägt von neurobiologischem Wissen, systemtheoretischen Einsichten und Erkenntnissen aus Soziologie und Organisationspsychologie, die teilweise auch schon einige Jahre auf dem Buckel haben, aber erst jetzt so richtig im Mainstream angekommen sind. Dadurch wissen wir heute ziemlich genau, dass beispielsweise Einzelmaßnahmen in Unternehmen systemisch kaum wirken, wir wissen, welche Nebenwirkungen sie haben oder dass sie oftmals sogar kontraproduktiv sind:

  • Motivations- und Mindset-Workshops ohne strukturelle Reformen führen eher zu Frustrationen, weil dadurch die Lücke zwischen persönlichen Chancen und strukturellen Hemmnissen nur noch sichtbarer werden.
  • KI-Systeme werden meist von denjenigen genutzt, die ohnehin schon gut sind, wodurch deren Produktivität noch mehr steigt, während Skeptiker und Unsichere den Anschluss verpassen.
  • Die Arbeit im Homeoffice reproduziert nicht nur gesellschaftliche Privilegien, sondern kommt v.a. denjenigen entgegen, die ohnehin schon selbstorganisiert arbeiten und die ohne Störungen von Kolleg*innen jetzt noch schneller werden, während die Unorganisierten in der Luft hängen.

Die Liste ließe sich endlos fortführen:

  • Wer geht am liebsten auf externe Fortbildungen? Diejenigen, die es brauchen könnten oder diejenigen, die ohnehin schon gut sind und sich damit langfristig aus dem Unternehmen fortbilden?
  • Selbst die simple Frage, wer eine Aufgabe übernehmen will, erweitert oftmals die Kompetenz-Schere, weil sich darauf diejenigen melden, die sich das zutrauen und sich damit noch mehr weiterentwickeln.

Wir wissen also, dass Einzelmaßnahmen ohne strukturelle Veränderungen das aktuelle Probleme der Leistungs- und Verantwortungs-Schere eher noch verstärken. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass Systeme träge sind, starke Selbststabilisierungsmechanismen haben und sich einer stringenten Steuerung entziehen.

Daraus zu schlussfolgern, dass es am besten wäre, die Dinge laufen zu lassen, kann jedoch auch keine Lösung sein, wenn wir hoffnungsvoll und ernsthaft etwas verbessern wollen. Weil also echte Systemveränderung schwierig ist, machen wir das, was kurzfristig möglich ist:

  • Themenspezifische Trainings, Coachings und Mediationen
  • Etablierung von KI-Tools als Assistenz
  • Anpassung von Arbeitsmodellen in Richtung mobiles Arbeiten
  • Führungscurricula und Kompetenzprogramme

Wohl wissend, dass auch hier in den meisten Fällen gilt: Diejenigen, die offen für solche Maßnahmen sind, profitieren am meisten davon, wodurch Ungleichheiten evtl. verschärft werden.

2 Konsequenzen für Organisationen und Führungskräfte

2.1 Maßnahmen nicht isoliert durchführen, sondern als Paket

Weil beinahe jede Einzelmaßnahme Nebenwirkungen erzeugt, sollten flankierend immer strukturelle Veränderungen mitgedacht werden.

Am Beispiel KI-Nutzung:

  • KI-Recherchen greifen logischerweise auf vorhandene Daten zurück. Wurden diese Daten jedoch aus einer bestimmten Sichtweise verfasst, wird durch die Nutzung der Daten diese Sichtweise verstärkt (Stichwort: Bias). Einfach formuliert: Wird auf Daten zurückgegriffen, die nur von weißen Männern zwischen 25 und 30 Jahren verfasst wurden, braucht es eine diverse Gruppe, um diese Daten zu bewerten.
  • Der Zugang zu KI-Tools sollte allen zugänglich sein.
  • Es braucht ein Mentoring für weniger digital-affine Gruppen.

2.2 Kleine kulturelle Veränderungen

Um Abhängigkeiten von individuellen Kompetenzen zu verhindern, braucht es gleichzeitig kleine Eingriffe, die jedoch langfristig den kulturellen Rahmen verändern können:

  • Transparente Beförderungskriterien statt rein informellen Entscheidungen
  • Standardisierte Kompetenzprogramme und Führungscurricula anstatt individuellen Leistungsbeurteilungen
  • Interne (Pflicht-)Seminare für alle anstatt freien Weiterbildungsbudgets, die nur wenige nutzen
  • Rotationsprogramme, um Wissen und Chancen fair zu verteilen

2.3 Reflexive Führung fördern

Postmoderne Organisationen brauchen Führungskräfte, die verstehen, dass Maßnahmen Nebenwirkungen haben, Verantwortung immer geteilt werden sollte und sie daher häufig kontraintuitiv handeln sollten:

  • Diejenigen zu Fortbildungen schicken, die keine Lust haben.
  • Aufgaben an diejenigen verteilen, die etwas noch nicht können.
  • Und diejenigen zurück pfeifen, die nur allzu gerne neue Aufgaben übernehmen.

Sie sollten daher immer die langfristige Perspektive mitdenken:

  • Kurzfristig ist es sinnvoll, Aufgaben an bereits kompetente Mitarbeiter*innen zu verteilen, weil es Zeit spart und die Qualität vermutlich passt.
  • Langfristig ist es sinnvoller, genau das Gegenteil zu tun, um Kompetenz- und Verantwortungsverhältnisse zu verändern.

Mir ist vollkommen klar, dass damit ein riesiger Aufwand einhergeht, gerade weil die Zeit dafür im Grunde nicht zur Verfügung steht. Dennoch ist das Wissen um diese Effekte hilfreich, um zumindest in manchen Fällen kontra-intuitiv zu handeln.

2.4 Individuen nicht nur fördern, sondern auch unterstützen

Damit Einzelmaßnahmen die soziale Schere nicht noch weiter vergrößern, sollten Individuen nicht nur gefördert, sondern auch strukturell entlastet werden:

  • Lernzeit und Ressourcen garantieren: Wer KI-Tools, Wissen aus Seminaren oder Homeoffice nutzt, braucht Lernzeit, einen guten Zugang und Unterstützung.
  • Psychologische Sicherheit als Grundbedingung: Wer den Anschluss an die „early adopter“ nicht verpassen will, braucht das klare Signal aus der Führungsriege: „Es ist OK, etwas auszuprobieren und Fehler zu machen.“
  • Orientierung bieten statt nur auf Eigenverantwortung zu setzen: Das neoliberale Denken überfordert Mitarbeiter*innen oft mit Appellen wie „Du musst dich selbst entwickeln, wenn die den Anschluss nicht verpassen willst“ oder konkreter „Du musst KI nutzen“ oder „Du musst Verantwortung übernehmen“. Im Sinne einer kollektiv lernenden Organisation ist es sinnvoller, klare Lernpfade zu definieren und flankierende niederschwellige und verbindliche Hilfsangebote zu schalten.

3 Vom individuellen zum solidarischen Optimismus

3.1 Das Problem des traditionellen Optimismus

Damit stellt sich auch die Frage, ob wir uns den klassischen, individuellen Optimismus noch leisten können?

Der traditionelle Optimismus lautet: „Wir schaffen das, wenn wir uns anstrengen.“ Das klingt auf den ersten Blick motivierend, ist jedoch systemisch betrachtet problematisch:

  • Für Optimist*innen ist die Entscheidung für oder gegen eine Veränderung bereits abgeschlossen. Sie denken bereits an deren Umsetzung, während Skeptiker*innen noch mit der Entscheidung hadern.
  • Manche Pessimist*innen sehen sich selbst als wertvolle Ressource, indem sie auf mögliche Fehlentwicklungen hinweisen, was jedoch selten gerne gehört wird.
  • Andere Pessimist*innen haben Angst vor Veränderungen und sind deshalb kritisch. Auch damit vergrößert sich die Wissens- und Kompetenz-Lücke zu den Optimist*innen.
  • Optimist*innen nutzen Einzelmaßnahmen wie Coachings oder Seminare schneller und häufiger.
  • Da Unternehmen grundsätzlich dafür da sind, Veränderungen positiv anzugehen – alles ändere wäre paradox – kann die Illusion entstehen, dass Probleme im Grunde individuell vorhanden und folglich auch individuell zu lösen sind.

Dabei wird meistens vergessen, dass Skepsis heute oft die realistischere Sichtweise ist, sofern Pessimismus nicht pauschal bedeutet, dass alles immer schlimmer wird, sondern dass jede Veränderung neben einem positiven Effekt auch negative Nebenwirkungen nach sich zieht. Dies wiederum ist kein Argument gegen Veränderungen, sondern ein Argument für wohldurchdachte Veränderungen.

3.2 Prinzipien eines solidarischen Optimismus

Aus diesen Gründen können wir uns den klassischen, indivuellen und damit spalterischen Optimismus nicht mehr leisten. Stattdessen brauchen wir eine postmoderne Form des Optimismus, die nicht individuell überhöht und moralisiert (Sei doch optimistisch!), sondern einen Austausch, in dem sowohl die Optimist*innen als auch die Pessimist*innen voneinander lernen. Bezogen auf den Optimismus sprechen wir hier von einem relationalen oder solidarischen Optimismus: Optimismus ist keine persönliche Tugend, sondern eine Beziehungsqualität, mit der wir uns unterstützen, Kompetenzlücken kompensieren und uns gegenseitig entlasten, um gemeinsam etwas zu erreichen.

Das angestrebte Beziehungsziel lässt sich als Hoffnung auf ein besseres, produktives, gemeinschaftliches Miteinander begreifen. Und da Hoffnungen sich als Zusammenspiel von Zuversicht und Zweifel definieren lassen, brauchen wir für das Erreichen dieses Ziels sowohl die Skeptiker*innen als auch die Optimist*innen.

Deshalb gewinnen hier beide Seiten:

  • Pessimist*innen werden nicht stigmatisiert, sondern bringen wichtige Signale über Risiken, Grenzen und strukturelle Barrieren in die Diskussion mit ein.
  • Optimist*innen erweitern ihre Vorreiter-Rolle um eine Fürsorge-Funktion. Sie übersetzen, ermutigen, bauen Brücken und stellen Ressourcen zur Verfügung.

Optimismus wird damit zum Bindungskitt und nicht zu einer persönlichen Leistung.

Mehr zu einem solchen Bindungsmindset in meinem Buch (externer Link) „Hoffnung! Die unterschätzte Führungsstärke in turbulenten Zeiten

Handlungsfähig bleiben in der Postmoderne

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1. Die Notwendigkeit einer Festlegung trotz widersprüchlichem Wissen

Der postmoderne Mensch glaubt, Handeln sei eine Funktion von Erkenntnis: Wer die Welt versteht, kann rational entscheiden. In der postmodernen Logik bricht diese Beziehung zusammen. Wissen wird unendlich, Gründe widersprechen sich, Perspektiven sind plural. Was bleibt, ist das Bewusstsein der eigenen Vorläufigkeit und damit eine Lähmung durch zu viel Wissen.

Dieses Phänomen hat vermutlich jede*r schon einmal erfahren: Wissen ist hilfreich, um gute Entscheidungen zu treffen. Doch ab einem bestimmten Punkt ist Wissen nicht mehr hilfreich und führt zu Zweifeln. Ein Beispiel aus der Entscheidungsforschung steht stellvertretend für diesen Effekt: Werden an einem Stand im Supermarkt drei Marmeladensorten zum Probieren angeboten, bleiben dort weniger Menschen stehen als an einem Stand mit sieben Sorten. Der Stand mit den drei Sorten führt allerdings zu mehr Verkäufen. Wie soll man sich auch bei sieben Sorten entscheiden?

Extrapolieren wir dieses Beispiel auf unsere Welt wird klar, dass in der Postmoderne jede Handlung auf unzählige Gründe trifft, die sich gegenseitig neutralisieren. Für alles gibt es ein „Ja, aber“. Jedes Argument ruft sein Gegenargument hervor:

  • Ja, wir sollten Frieden und Diplomatie fördern. Aber versteht Putin nicht nur das Argument der Waffen?
  • Ja, wir sollten Putin mit Waffen bekämpfen. Aber widerspricht das nicht der langfristigen Sehnsucht der meisten Menschen nach einem friedlichen Zusammenleben?

Alles scheint lediglich eine Frage der Verhandlung zu sein. In dieser Lage droht das Subjekt – überinformiert, selbstreflexiv und skeptisch – handlungsunfähig zu werden.

Der Philosoph Slavoj Žižek diagnostiziert genau hier das Paradox der Freiheit: Wir können alles begründen, aber gerade deshalb nichts wirklich tun. Handlungsfähigkeit entsteht, so seine These, nicht durch Wissen, sondern durch eine Setzung. Wir sammeln also nicht Wissen, um darauf aufbauend eine Entscheidung zu treffen. Sondern wir entscheiden uns auf der Basis mangelhaften oder widersprüchlichen Wissens, im vollen Bewusstsein, falsch liegen zu können.

Žižek greift hier auf eine Linie zurück, die von Kierkegaard über Sartre bis Lacan reicht: Der entscheidende Akt ist nicht rational begründet, sondern existentiell. Kierkegaard nannte ihn den „Sprung des Glaubens“, Lacan spricht vom acte, Badiou vom „Treueakt zum Ereignis“. In jedem Fall gilt: Der Moment der Festlegung ist ein Moment des Trotzes: Wir wissen nicht, ob wir richtig liegen, aber tun es dennoch, um uns gegen die Logik der Unsicherheit zu stellen.

Festlegung bedeutet also nicht, zu handeln, weil wir Recht haben, sondern um handlungsfähig zu bleiben. Erst unser Handeln zwingt in einer Kettenreaktion die Festlegung unseres Umfelds, was dem postmodernen Menschen schwer zu fallen scheint, weil er sich damit angreifbar macht. Sie ist jedoch ein zentraler Baustein als Ausweg aus einer postmodernen Beliebigkeit.

2. Formen der Festlegung

In einer pluralen, relativistischen Welt kann Festlegung verschiedene Formen annehmen, die sich nach Motiv und Funktion unterscheiden.

a) Existenzielle Festlegung auf Werte und Haltungen

Der Mensch legt sich fest, um nicht zu zerfallen: „Ich vertraue“, „Ich glaube“, „Und deshalb handle ich“. Solche Entscheidungen sind Akte der Selbstvergewisserung. Ohne sie bleibt das Subjekt ein reflektierendes, aber ohnmächtiges Wesen. Hier geht es nicht um Wahrheit, sondern um Stabilität. Der Akt selbst schafft den Grund, auf dem er steht. In diesem Sinne können wir uns alle festlegen, indem wir sagen: Ich glaube an die Solidarität. Ich vertraue meinen Kolleg*innen. Ich glaube daran, dass ich im Team mehr erreichen kann als alleine. An dieser Stelle finden wir auch unsere Hoffnungen wieder. Obwohl es naiv erscheint, an das Gute im Menschen zu glauben, erscheint es das einzig Sinnvolle zu sein in einer Welt voller Krieg und Hass. Weil wir ansonsten bereits aufgegeben hätten. Andererseits ist das Warten auf eine endgültige Beweisführung, ob der Mensch im Grunde gut oder schlecht ist, ebenfalls naiv, weil es diesen Beleg niemals geben wird. Existenzielle Festlegungen bieten damit einen Ausweg aus dem dialektischen „Sowohl, als auch“.

b) Politische Festlegung auf Meinungen

Neutralität ist feige. Eine politische Festlegung – etwa „Ich setze mich für ein nachhaltiges Wirtschaften ein“ – ist niemals vollständig begründbar, aber sie ist notwendig, weil eine Nicht-Positionierung ebenfalls eine passive Positionierung darstellt, indem die bestehenden Umstände unterstützt werden, ohne zu handeln. Die Festlegung wird zum Akt der Verantwortung und fördert kontroverse Diskussionen.

c) Ironische Übertreibung von Positionen

Gerade im Bewusstsein, dass alles im agilen Fluss ist und sich beständig verändert, kann man sich (temporär) ironisch festlegen: als Spiel, Stil oder Pose. Hier wird die Postmoderne mit ihren eigenen Mitteln überboten. Durch Übertreibung einer Überzeugung wird die Oberflächlichkeit einer ernsthaften und durchaus sinnvollen Ambivalenz als Gesprächsgrundlage entlarvt.

In einer Welt, die aktuell wieder zurück pendelt zu einer strengen, klar hierarchischen Führung, zeigt sich auch die Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Auf der anderen Seite ist es ebenso übertrieben, Mitarbeiter*innen an allem zu beteiligen, so wie es Eltern machen, die ihre Kinder in alle Entscheidungen mit einbeziehen und sie damit überfordern. Beides lässt sich ironisch übertreiben und dadurch bloß stellen:

  • Wenn du hierarchisch führen willst, während deine Mitarbeiter*innen im Homeoffice sitzen: Rufst du dann im 30-Minuten-Takt an und fragst nach Ergebnissen? Es wäre sicherlich auch hilfreich, ihnen Essensvorschläge zu machen, damit ihre Leistung konstant bleibt.
  • Wenn du auf Augenhöhe führen willst: Lässt du dann deine Mitarbeiter*innen abstimmen, welche Kaffeesorte beim nächsten Mal eingekauft werden soll und stellst eine Liste auf, dass alle über das Jahr verteilt gleich oft mit dem Einkaufen dran sind? Wobei eine Liste aufzustellen evtl. schon zu hierarchisch ist. Vielleicht sollten wir erst diskutieren, ob eine Liste das richtige Tool ist?

3. Festlegung als Provokation

In all diesen Formen liegt eine provokative Dimension. Die Festlegung irritiert jene, die im Schwebezustand der Postmoderne verharren wollen. Wer sich festlegt, stört den Diskurs der offenen Möglichkeiten, der oft nichts anderes ist als die Ideologie der Passivität. Eine entschiedene Geste – ethisch, politisch oder ironisch – zwingt andere, Stellung zu beziehen: Bist du dafür oder dagegen?

Vor diesem Hintergrund lassen sich auch manche radikale Aussagen als Einladung zur Selbstpositionierung und Diskussion wahrnehmen. Mir scheint beinahe, Politiker*innen oder allgemein Menschen in der Öffentlichkeit wie Marie Agnes Strack-Zimmermann, Oskar Lafontaine, Sarah Wagenknecht oder Alice Schwarzer hätten Slavoj Zizek gelesen.

Im Gegensatz zur landläufigen Wahrnehmung gerade in gesellschaftlichen Kreisen, denen ein gewaltfreier Diskurs wichtig ist, ist eine Festlegung, wenn sie auf gegenseitigem Respekt basiert, kein Hindernis von, sondern förderlich für Diskussionen. In diesem Sinne stehen Entscheidungen nicht am Ende einer Reflexion, sondern am Anfang:

  1. Individuelle Vor-Reflexion
  2. Provokation durch Festlegung
  3. Respektvoller Austausch
  4. Gemeinsame Entscheidung

Stärken von Extra- und Introvertierten in Veränderungen

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Nicht nur in Veränderungen, sondern unserer Welt allgemein werden introvertierte, stille, zurückhaltende, langsame Menschen oft übergangen. Dabei könnten sie gerade in Veränderungsprozessen die Kompetenzen von Extravertierten ideal ergänzen.

Die Stärken Introvertierter:

  • Reflexion & Analyse: Introvertierte denken über Ansatzpunkte und Konsequenzen von Veränderungen gerne gründlich nach und wägen Risiken und Chancen sorgfältig ab, bevor sie handeln.
  • Empathisches Zuhören: Sie geben anderen Raum, ihre Sorgen zu äußern und entschärfen dadurch Spannungen.
  • Stabilität & Kontinuität: In unsicheren Zeiten strahlen sie Ruhe aus, da sie weniger von äußerer Dynamik abhängig sind.
  • Fokus auf Qualität: Sie treiben nachhaltige Veränderungen voran, weil sie lieber in die Tiefe gehen, als oberflächlich nach schnellen Lösungen zu suchen.

Die Gefahr dabei: Unreife Introvertierte reflektieren zu lange und kommen dadurch vom Hundertsten ins Tausendste. In manchen Situationen muss jedoch schnell gehandelt werden.

Die Stärken Extravertierter:

  • Kommunikation & Motivation: Extravertierte sind mitreißender als Introvertierte und begeistern damit andere für Veränderungen mit klaren Ansagen. Gerade wenn Risiken und Konsequenzen noch unklar sind, ist es wichtig, dennoch ins Handeln zu kommen.
  • Schnelle Umsetzung: Sie sind entscheidungsstark, probieren gern Neues aus und forcieren dadurch die Dynamik und Geschwindigkeit in Veränderungen. So schaffen sie Fakten, mit denen im Anschluss weitergearbeitet werden muss, was insbesondere in Krisen oftmals besser ist als nichts zu tun.
  • Netzwerken: Sie bauen Brücken zwischen Teams, holen Stakeholder ins Boot und schaffen Akzeptanz über das eigene Team hinaus oder bei Kunden.
  • Energie & Sichtbarkeit: Ihre Präsenz und Agilität bietet anderen Orientierung und macht bereits kleine Veränderungen sichtbar, was wiederum die Motivation zum Weitermachen erhöht.
  • Flexibilität: Sie passen sich schnell an neue Gegebenheiten an und gehen leichter mit Unsicherheiten um.

Die Gefahr dabei: Unreife Extravertierte laufen Gefahr, ohne Rücksicht auf andere und / oder Risiken vorschnell Fakten zu schaffen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen.

Deshalb ist es wichtig, gerade in Veränderungen die Stärken beider zu berücksichtigen:

  • Introvertierte sind wertvoll für Substanz, Reflexion und Stabilität.
  • Extravertierte sind wertvoll für Dynamik, Kommunikation und Anschlussfähigkeit.

Da in vielen Organisationen extravertierte Verhaltensweisen wie laut, schnell, sichtbar oder durchsetzungsstark als kompetent gelten und Introvertierte dadurch nicht nur untergehen, sondern oft auch als verschroben oder in Veränderungsprozessen als Bremser*innen und Blockierer*innen gelten, sollten v.a. in langfristigen Veränderungen, für die Nachhaltigkeit wichtig ist, Introvertierte mehr Raum bekommen:

1. Strukturelle Ansätze

Meeting-Abläufe anpassen

  • Sofern nicht ohnehin Standard, Informationen vorab verschicken, damit Introvertierte sich vorbereiten können.
  • Stumme Brainstormings bzw. Entscheidungstools nutzen, bspw. Ideen zuerst schriftlich sammeln, bevor die Diskussion startet.
  • Reduzierung von Großgruppendiskussionen, bspw. indem vor der Sammlung von Ideen für Entscheidungen in Kleingruppen diskutiert wird.
  • Redezeiten bewusst verteilen, beispielsweise durch eine stringente Moderation oder klare Redeanteile.
  • Diskussionsrunden als Prozess aufbauen:
  1. Leises Brainstorming (jede*r für sich)
  2. Austausch in der großen Runde
  3. Schnell umsetzbare Ideen zur Lösung eines Problems aufschreiben.
  4. Entschleunigte Reflexionsrunde, was langfristig umgesetzt werden soll.

Digitale Tools nutzen

  • Chats, anonyme Feedback-Tools oder Whiteboards ermöglichen Introvertierten ihre Gedanken auch ohne lautes Auftreten einzubringen.

Rollenvielfalt sichtbar machen

  • Nicht nur extravertierte Veränderungsmutige als Promotoren in Changeprozessen einsetzen, sondern auch introvertierte Analysten, die mit Tiefe und Expertise Einfluss nehmen können.

2 Führung & Kultur

Wertschätzung für ruhige Stärken

  • Führungskräfte sollten aktiv nach den Gedanken der Leiseren und Langsameren fragen und deren Beiträge genauso hervorheben wie die der Lauten und Schnellen.
  • Anteil introvertierter Mitarbeiter*innen an Erfolgen sichtbar machen.

Psychologische Sicherheit fördern

  • Räume schaffen, in denen man auch in kleiner Runde oder schriftlich Input geben kann.
  • Fehlerfreundlichkeit betonen, damit nicht nur die Lauten Risiken eingehen.

Feedback- und Entscheidungsprozesse anpassen

  • Entscheidungsprozesse wo es möglich und sinnvoll ist entschleunigen, da Introvertierte von Bedenkzeit ohne Zeitdruck profitieren.

3 Individuelle Entwicklung

Stärken Introvertierter bewusst nutzen

  • Aufgaben an Introvertierte verteilen, die eine vertiefte Analyse, strategisches Denken, empathisches Zuhören und qualitatives Feedback erfordern.

Kommunikationstraining für beide

  • Introvertierte ermutigen, ihre Gedanken klar und prägnant zu formulieren, ohne extravertiert liefern zu müssen.
  • Extravertierten beibringen, sich auch mal zurück zu nehmen, indem Verständnis für die Langsamen und Leisen vermittelt wird.

Dadurch werden aus unreifen Introvertierten und Extravertierten reife Persönlichkeiten, die sowohl ihre Schwächen als auch ihre Stärken kennen.

Nonkonformismus als konstruktive Kritik

Derzeit gibt es eine Drift an die Ränder: Studien zeigen (u.a. die aktuelle Shell-Studie), dass diejenigen, die viel zu verlieren haben oder sich unsicher fühlen, bspw. Jugendliche in der Findungsphase, Angestellte oder allgemein die Mittelschicht, tendieren zu Konformismus. An den gesellschaftlichen Rändern nimmt der Widerstand zu.

Auch die Querulanten im Team, die ohnehin schon schräg angesehen werden, werden auf die ein oder andere Art widerständiger. Damit wird jedoch das wichtige Instrument der Nonkonformität als konstruktive Kritik oder – mein Thema – utopischer Ideen für eine bessere Zukunft aus der Hand gegeben.

Auf den Punkt gebracht haben wir dann 7-8 Personen im Team, die konform mitgehen, weil es gerade in turbulenten Zeiten ohnehin viel Kraft kostet, die vorhandenen Aufgaben zu schaffen, während 2-3 Personen widersprechen, blockieren oder sich am nächsten Tag krank melden. Auch damit werden Innovationen torpediert. Von der Wir-Resilienz ganz zu schweigen.

Eine Lösung besteht darin, Nonkonformität nicht mehr als Sand im Getriebe zu betrachten, sondern als Regulator im Sinne einer konstruktiven Kritik an bestehenden Umständen und einer angestrebten Zukunft.

Aus diesem Gedanken heraus entstand – mit ein wenig Hilfe von Chatgpt, Zwinkersmiley – der folgende Nonkonformitäts-Strategien-Test. Viel Spaß damit!

Warum es in Konflikten weniger um persönliche Veränderungen geht, sondern um den intersubjektiven Austausch

In Mediationen hat häufig mindestens eine Partei die Angst, sich verändern zu müssen und damit verbunden oft eine vehemente Abwehr-Haltung:

„Ich bin eben so, wie ich bin. Und wenn Du damit nicht klar kommst, ist das doch nicht mein Problem!“

Blöderweise sagt das Gegenüber genau dasselbe, weshalb eine Annäherung unmöglich erscheint. Aus diesem Grund ist es hilfreich, den Mediand*innen zu verdeutlichen, dass sie sich (beinahe) gar nicht persönlich ändern müssen. Sie können ihren Charakter und ihre Eigenarten gerne behalten. Mediationen sind schließlich keine Therapiestunde oder Coachings (vgl. Konfliktcoaching). Für ein besseres Miteinander geht es lediglich darum, dieses Miteinander, d.h. die gemeinsame Kommunikation und das gemeinsame Handeln zu verbessern.

Aus diesem Gedanken heraus entwickelte ich die KoHa-Matrix:

Die Matrix als Prozess betrachtet bietet Kolleg*innen, die regelmäßig aneinander geraten (oder einem gesamten Team) einen 4-stufigen Ablauf:

  1. Schweigen: Was wird zu selten angesprochen, weil es jede/r mit sich selbst ausmacht?
  2. Reden: Wie wollen wir miteinander kommunizieren?
  3. Arbeiten: Wie definiert jede/r „einen guten Job erledigen“?
  4. Zusammenarbeiten: Wie können wir unsere Zusammenarbeit verbessern?

Noch deutlicher werden sowohl der Aushandlungsprozess als auch die Autonomie jedes/r Einzelnen, wenn wir das Modell als Wechselspiel zwischen Ich bzw. Du und Wir betrachten:

Für eine gute Zusammenarbeit muss sich charakterlich niemand verändern. Es ist sogar hilfreich, dass jede/r seine Eigenheiten behält, weil es ansonsten keine Synergieeffekte gäbe. Es braucht lediglich tragfähige Vereinbarungen für ein besseres Miteinander im intersubjektiven Austausch.