Modernes Arbeiten ist zwar kreativ, kann aber auch krank machen
Vertrauensarbeitszeit, insbesondere in der mobilen Version, bietet Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, rund um all ihre Lebensaufgaben dann zu arbeiten, wann es am besten passt. Die Zeiten der Stechuhr sind also eigentlich vorbei, oder?
Gemäß dem “Stechuhr”-Urteil des EuGH, das soeben aus dem Arbeitsministerium bestätigt wurde, sind Arbeitgeber jedoch verpflichtet, die Arbeitszeit der Mitarbeiter*innen lückenlos zu erfassen. Tatsächlich machten 12% aller deutschen Arbeitnehmer*innen 2021 Überstunden, wovon 22% nicht dafür bezahlt wurden (vgl. “der Freitag” Nr. 17, 27.04.2023, Seite 1).
Vertrauensarbeitszeit – im agilen Management auch gerne Ziel- und Erfolgs- statt Zeitorientierung genannt – hat also auch seine Schattenseiten, insbesondere wenn wir daran denken, dass die Arbeit nie ausgeht und Projekte oftmals nahtlos ineinander übergehen.
Das Thema der Abgrenzung ist in der Tat eines der wichtigsten Themen in meinen Work Life Balance- und Achtsamkeits-Trainings. Weil die Arbeit niemals ausgeht und viele Mitarbeiter*innen Verrtauensarbeitszeit haben, nehmen sie oftmals ihre Arbeit mit nach Hause oder bleiben gleich länger, insbesondere wenn sie keine Kinder haben. Damit wird der vermeintliche Vorteil der Vertrauensarbeitszeit zu einem Nachteil der Mitarbeiter*innen. Diese müssen nun selbst lernen, wie sie sich mit beziehungsgerechtem Nein-Sagen abgrenzen, um sich nicht aufzuarbeiten.
Vertrauensarbeitszeit und Zeiterfassung in Balance
Kann das antiquierte Instrument der Stechuhr hier eine Lösung bringen, indem es Arbeitszeiten wie früher limitiert? Und wie lässt sich das mit Homeoffice und der Freiheit der Vertrauensarbeitszeit vereinbaren?
Rein theoretisch ist es durchaus denkbar, dass ein Mitarbeiter im Homeoffice morgens von 8-9 Uhr einige dringende Mails erledigt, anschließend sein Kind in die Kita bringt, von 10-12.30 Uhr Kund*innen besucht, Pause bis 13.30 Uhr macht, dann von 13.30-15.00 Uhr im Homeoffice arbeitet, 15.30 Uhr sein Kind von der Kita abholt, mit ihm spielt und wartet, bis die Mama von der Arbeit kommt und seine restlichen Stunden am Nachmittag bzw. frühen Abend ableistet.
Im ersten Moment klingt das kompliziert. Der Alltag vieler Eltern ist jedoch genau das: Kompliziert. Und weil es in diesem Normal-Alltag immer wieder Abweichungen gibt, braucht es keine Stechuhr aus dem vorigen Jahrhundert, sondern eine Mischung aus beiden Welten.
Wenn ich heute – weil mein Kind mehr Zuwendung braucht, eine Stunde weniger arbeite, arbeite ich morgen eben eine Stunde länger. Warum also nicht mit einer App arbeiten, die Arbeitnehmer und -geber am Wochen- oder Monatsende die Zeitbilanz anzeigen, damit alle Parteien wissen, woran sie sind oder wo evtl. noch Verbesserungsbedarf besteht?