Schlagwort-Archive: Kommunikation

Ein Pfau in Brandenburg

Endlich. Endlich ein Kommissar, der zwar homosexuell ist und wie ein Pfau durch die oftmals tristen Landschaften Brandenburgs läuft. Der jedoch ansonsten jeglichem Klischee widerspricht.

Ich spreche von Vincent Ross, dem noch relativ neuen Kommissar aus dem Polizeiruf 110. Ross trägt gerne lila Mäntel mit falschem Pelzkragen. Es darf aber auch gerne ein aggressiv kariertes Hemd sein, das auch auf dem Chanson d’Eurovision nicht fehl am Platz wäre. Bei den Schuhen frage ich mich, ob er wirklich damit auf Mördersprint gehen kann. Zu alledem schminkt er seine Augen mit Kajalstift und sieht wie eine Mischung aus David Gahan (Depeche Mode) und dem jungen Robert Smith (The Cure) aus.

Aber halt! Das klingt aber doch ziemlich klischeehaft. Ist es auch. Entsprechend steht in einer Filmbesprechung im Spiegel, dass das gar nicht geht. 4 von 10 Punkten.

Doch wer genauer hin sieht, erkennt eine zweite und sogar dritte Ebene:

  1. Die Optik: Oberflächlich betrachtet könnte man den Macher*innen des Polizeirufs vorwerfen, auf Effekthascherei aus zu sein: Wir werfen einfach mal einen superqueeren jungen Kommissar in die brandenburgische Provinz. Das wirkt herrlich polarisierend.
  2. Das Verhalten: Doch unter der Oberfläche findet sich alles andere als Klischees. Ross hat keine privaten Probleme. Zudem verfügt er über psychologisch einfache, aber extrem effektive Verhörfragetechniken. Wäre da nicht die Optik, wäre er ein ganz „normaler“ Kommissar. Doch so ergibt sich ein äußerst spannender Kontrapunkt, der unsere Sehgewohnheiten durchbricht, da Homosexuelle in Filmen häufig immer noch leicht überdreht dargestellt werden, sozusagen als Alleinstellungsmerkmal.
  3. Das Zwischenmenschliche: Richtig spannend wird es allerdings, wenn Vincent Ross auf Kolleg*innen stößt, die vermutlich ähnliches erlebt haben wie er. Die, man kann es nur vermuten, weil nicht direkt darüber gesprochen wird, ähnlich marginalisierende Erfahrungen mitbringen. Da ist die Kollegin in Cottbus, die vielleicht aufgrund ihrer Körperfülle bereits als Kind gehänselt wurde. Oder der ältere Kollege, der sich aufgrund seiner Probleme mit Autorität selbst in einen kleinen ländlichen Außenposten versetzen ließ. Ross begegnet ihnen mit einer körperlich spürbaren Empathie, als würde er sagen: „Ich kenne das. Die Zeit in der Polizeiakademie war auch nicht gerade ein Zuckerschlecken.“ Darüber wird jedoch glücklicherweise nicht gesprochen. Es sind die Augen, die Gesten, die Körperhaltung, die sein Spiel – zusammen mit seiner zu vermutenden Biographie – so stark machen. Und: Ross könnte das nicht alleine stemmen. Die ergänzende Schauspielkunst insbesondere seiner Kolleg*innen Rogov und Luschke stehen dem in Nichts nach.

Keine Frage: Die Fälle haben noch Luft nach oben. Doch auch ohne spannende Fälle ist der Polizeiruf Brandenburg mein neues Sonntag-Abend-Highlight.

Als Führungskraft Verantwortung übernehmen

Bild von vectorjuice auf Freepik

Was macht eine gute Führungskraft aus? U.a. dass sie Verantwortung übernimmt, was im Wesentlichen bedeutet:

  1. Verantwortung für die eigenen Handlungen und deren Konsequenzen übernehmen
  2. Verantwortung für sein Team übernehmen

Dabei ist der Begriff der Verantwortung eng verbunden mit unserem Freiheitsbegriff: Ich kann nur für mein Handeln verantwortlich gemacht werden, wenn ich die freie Wahl habe. Kann ich zwischen mehreren Optionen auswählen und mich letztlich für eine Option entscheiden, weil ich deren Konsequenzen für am sinnvollsten halte, machte ich Gebrauch von einer freien Wahlmöglichkeit. Dazu wiederum müssen (mindestens) vier Aspekte berücksichtigt werden:

  1. Der kognitive Aspekt: Ich muss in der Lage sein, mir die Konsequenzen meiner Handlungen vorzustellen. Dazu brauche ich entweder Phantasie oder Erfahrungen mit ähnlichen Situationen. Kann eine Führungskraft, die in einer Krise eine falsche Entscheidung trifft vollkommen für deren Folgen verantwortlich gemacht werden? Für die negativen Folgen vermutlich nicht. Sie könnte jedoch auch dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie gar keine Entscheidung trifft, zumal jede Entscheidung, insbesondere Fehlentscheidungen, zu einem Erkenntnisgewinn führen. Meine Verantwortung besteht folglich darin, mutig genug zu sein, gerade in unkalkulierbaren Situationen Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen.
  2. Der neurobiologische Aspekt: Ich darf während der Entscheidung nicht so negativ getriggert werden, dass ich keine Möglichkeit mehr habe, eine freie Wahl zu treffen. Bin ich verantwortlich dafür, das ich laut werde, wenn mich mein Gegenüber minutenlang verbal-aggressiv angeht? Für solche Amygdala-Ausrutscher kann ich – auch als Führungskraft – kaum verantwortlich gemacht werden. Ich bin jedoch verantwortlich dafür, wenn der Konflikt wieder abgeklungen ist, die Situation auf eine ruhige Art noch einmal anzusprechen und zu klären.
  3. Der emotionale Aspekt: Ich muss mich gut mit mir selbst auskennen und meine inneren Muster und Automatismen kennen. Manche Dinge mache ich evtl. (oder auch nicht), weil ich zu stolz, ehrgeizig oder harmonieorientiert (die Todsünde der Feigheit) bin. Anders formuliert: Das freudsche Es bspw. in Gestalt des eigenen Stolzes suggeriert mir: „Du musst das nicht tun oder ansprechen, weil du das gar nicht nötig hast.“ Haben wir in diesem Fall eine freie Wahl, wenn unser Unbewusstes unseren Handlungen und damit langfristig unseren Entwicklungen im Weg steht? Im Moment der Entscheidung wohl kaum. Dennoch liegt es in unserer Verantwortung, uns und unsere inneren Persönlichkeitsmuster in Momenten der Ruhe besser kennen zu lernen.
  4. Der soziale Aspekt: Es gibt Umstände, die eine freie Wahl zumindest behindern. Wenn ich bspw. die Erfahrung machte, mit einem bestimmten Typ Mensch immer wieder aneinander zu geraten, fällt es schwer, hier ruhig zu bleiben. Auch hier geraten wir – dieses mal im Umgang miteinander – schnell in ein Reiz-Reaktions-Schema, für das wir im ersten Moment nichts können und daher auch nicht verantwortlich für unser Handeln sind. Dennoch gilt auch hier: In Momenten der Ruhe sollte ich mir noch einmal genau vor Augen führen, ob ich beim nächsten mal anders handeln könnte.

Verantwortung beginnt folglich mit der Selbstverantwortung, was wiederum bedeutet:

  • Kurzfristig: Achtsamer zu werden und sich insbesondere unter Stress zurück zu nehmen, um zu einer ent-emotionalisierten Entscheidung und Handlung zu kommen.
  • Langfristig: Sich seiner selbst bewusst werden und auf Forschungsreise gehen, was die eigenen unterbewussten Muster und inneren Anteile angeht.
  • Aber auch: Demütig sein und sich mit anderen austauschen, die evtl. mehr Erfahrung mit bestimmten Situationen haben.

Führungskräfte zwischen Nähe und Distanz zu ihrem Team

Bild von pch.vector auf Freepik

Die Führungskraft zeigt Stärke

Führung ist ein einsames Geschäft. Als Führungskraft bin ich zugleich Teil einer Gruppe und auch wieder nicht. Als Führungskraft muss ich es aushalten können, mich unbeliebt zu machen. Systemisch bedingt muss ich den Spagat schaffen zwischen …

  • vor meinem Team einen klaren Standpunkt einzunehmen und damit auch mal anzuecken und …
  • dennoch Verständnis für die Sorgen und Nöte meiner Leute haben.

Dies ist wichtig, weil ich mich als Person zeigen muss, die Widerstände aushält. An der Oberfläche brodelt es deshalb. Doch unter der Oberfläche kommt bei den Mitarbeiter*innen das Signal an: „Meine Führungskraft steht zu ihrem Wort. Sie ist auch bei Gegenwind standhaft. Und das nicht nur bei uns, sondern auch wenn sie dort draußen für unsere Belange einsteht.“

Deshalb ist eine zu große Gleichheit Unsinn. Führung bleibt Führung. In diesem Sinne ist Führung immer auch ein Bollwerk gegen die Welt dort draußen, ähnlich der Rolle eines Scrummasters.

Führung ist (verantwortungs-)bewusste Autorität

Diese Ungleichheit zu ignorieren wie es bei einer propagierten Führung auf Augenhöhe teilweise geschieht wäre naiv. Auch wenn jüngere Menschen eine Führung „zum Anfassen“ will, eine Führung, die nahbar ist und authentisch, heißt das noch lange nicht, dass Führung im Team aufgeht. Denn eine Führungskraft weiß immer mehr als ihre Mitarbeiter*innen. Sie sitzt in anderen Gremien als ihre Leute. Sie wird bei Veränderungen früher informiert. Und neben dieser Wissensmacht verfügt sie zudem über Weisungsbefugnisse und damit über eine Macht, mit der sie verantwortungsbewusst umgehen sollte.

Teil des Teams sein

Schauen wir uns nach diesen Grenzen der Gleichheit noch die Aspekte an, mit denen moderne Führungskräfte nahbarer und damit ein authentischer Teil eines Teams werden:

  1. Mitarbeiten mit Metasicht: Die einfachste Möglichkeit Teil des Teams zu sein ist die direkte Mitarbeit. Führungskräfte zeigen damit, dass sie sich nicht für etwas Besseres halten und bspw. in Krisenzeiten mit anpacken, anstatt sich vor der Front zu drücken. Die Kriegsmetapher zeigt deutlich voraus es ankommt: An der Front wird gekämpft, während die Generäle sich aus sicherer Entfernung um Strategien kümmern, für die sie selbst jedoch nicht mit ihrem Leben einstehen müssen. Dennoch darf das Mitmachen nicht dauerhaft auf Kosten der eigentlichen Führungsaufgaben gehen. Als Führungskraft kann ich jedoch auch beim Mitarbeiten ein Auge auf Anleitungen, Verbesserungen oder die Kommunikation haben. Selbst beim Mitarbeiten bleibe ich Führungskraft.
  2. Optimistische Anteilnahme: Für die Anteilnahme gilt: Mitfühlen ja – Mitleiden nein. Ich muss nicht für jedes Jammern und Nörgeln Verständnis haben. Zumal Jammern und Nörgeln ab und an zum Handwerk gehört. Wer jammert und nörgelt bekommt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern vermindert evtl. die eigene Arbeitslast. Aber ich sollte als Führungskraft zumindest versuchen, die Belange, Sorgen und das Leiden meiner Leute zu verstehen. In diesem Sinne gibt es immer zwei Schichten der Kommunikation: Auf das oberflächliche Jammern und Nörgeln muss ich nicht unbedingt eingehen. Ich sollte jedoch hinter die Fassade blicken, um zu erkennen, worum es wirklich geht. Und vielleicht geht es um eine berechtigte Kritik, der ich mich annehmen sollte. Gleichzeitig verlangt es die Rolle einer Führungskraft, immer ein wenig optimistischer zu sein als das Team oder einzelne Teammitglieder.
  3. Involviertheit und Betroffenheit: Die Steigerung der Anteilnahme ist Involviertheit. Während Anteilnahme aus einer Position der Distanzierung erfolgen kann, bin ich als Führungskraft in den meisten Situationen auch selbst betroffen, selbst wenn ich eine andere Perspektive einnehme. Veränderungsprozesse haben auch auf mich Auswirkungen. Auch ich ärgere mich über die hohe Fluktuation oder Dauerbelastungen. Auch mich frustrieren manche Kundenwünsche. Auch ich bin von den Entscheidungen der oberen Führungsetagen abhängig. Auch ich komme mit meinen Wünschen (für das Team) nicht immer durch. Auch mein Job ist evtl. unsicher. Ich könnte also gar nicht so tun, als würde mich das alles nichts angehen. Dennoch gilt hier umso mehr: Als Führungskraft kann ich es mir nicht leisten, zu involviert zu sein, weil ich ansonsten meine Vermittlungsposition zwischen Team und höheren Hierarchieebenen verlieren würde.
  4. Bewusste Selbstoffenbarung: Eine Führungskraft, die sich komplett selbstoffenbart ist keine gute Führungskraft. Kein*e Mitarbeiter*in will hören, wie schlecht es ihrer Führungskraft geht oder dass sie neulich ein Kind verloren hat (Originalgeschichte aus einem meiner Seminare). Ich sollte deshalb als Führungskraft meine Selbstoffenbarungen im Sinne einer bewussten Vorbildfunktion einsetzen. Ich kann bspw. offen mit eigenen Fehlern umgehen. Oder ich kann meine Mitarbeiter*innen dazu einladen, mir ein offenes Feedback zu geben. Ich kann humorvoll sein oder auch mal zugeben, dass ich an einem bestimmten Punkt nicht weiter weiß. Führung in diesem Sinne hat immer auch mit Demut zu tun: Als Führungskraft bin ich – so wie wir alle – auf andere Menschen angewiesen, um gemeinsam mehr zu leisten als ich es alleine könnte.

Literatur:

Mina Schneider-Landolf u.a.: Handbuch Themenzentrierte Interaktion

Das Balance-Konzept in der Teamentwicklung

Bild von brgfx auf Freepik

Jedes Gruppensetting lässt sich in Gegenpolen beschreiben. Eine Gruppe kann sich bspw. durch eine hohe Nähe und Verbundenheit definieren oder auf der anderen Seite durch eine hohe Distanzierung der Mitglieder voneinander. Eine hohe Verbundenheit stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Dennoch hat auch der Gegenpol der Distanz seinen Sinn und Zweck, da eine Distanzierung einzelne Teammitglieder dazu bringt, über sich selbst, ihre Rolle(n) und Aufgaben im Team nachzudenken.

Als Teamleitung ist es daher sinnvoll, regelmäßig auf eine gute Balance zwischen verschiedenen Polen zu achten. D.h. konkret im Fall einer dauerhaft zu hohen Verbundenheit Elemente der Distanz einzubauen. In Seminaren achte ich daher auf ein stetiges Wechselspiel zwischen Plenumsituationen, Kleingruppen- und Einzelreflexionen.

Nähe und Distanz sind jedoch nur ein Gegensatzpaar, auf das Teamleitungen achten können. Weitere Gegensatzpaare sind insbesondere:

  • Sicherheit versus Risiko
  • Neues versus Bekanntes (ähnlich: Wachstum versus Konsolidierung)
  • Aktivität versus Ruhe (ähnlich: Arbeit versus Freiheit)
  • Struktur versus Chaos
  • Schnell versus Reflexiv (ähnlich: Handeln versus Denken)
  • Optimismus versus (gesunde) Skepsis
  • Harmonie versus (konstruktiver) Streit
  • Fühlen versus Denken
  • Zuhören versus Sprechen

Die Balancen müssen nicht 50 zu 50 ausgeglichen sein. Jedes Team ist anders. Dennoch wäre ich als Teamleitung skeptisch, wenn mein Team immer harmonisch ist. Und ein Team im Dauer-Turbo-Modus ist sicherlich auch nicht gesund. Es braucht daher eine für das Team und die zu erfüllenden Aufgaben passende Balance, die auch in einem 90 zu 10-Verhältnis bestehen kann.

1. Analyse-Phase

Suchen Sie sich für eine Analyse Ihres Teams die Gegenpole aus, die für Sie und Ihr Team relevant sind und bewerten Ihr Team, bspw.

„Uns ist Sicherheit wichtig“ versus „Wir halten Risiken aus“

100%80%60%40%20%20%40%60%80%100%

Die Summe ergibt 100%. Sie könnten also sagen: Mein Team ist zu 80% Sicherheit wichtig und hält zu 20% Risiken aus.

Was kann es bedeuten, sicherheitsorientiert zu sein:

  • Das Team orientiert sich gerne an klaren Regeln.
  • Das Team befolgt vorgegebene Strukturen, ohne neue Wege auszuprobieren.
  • Die Teammitglieder brauchen klare Anweisungen.

Risikoorientiert kann bedeuten:

  • Das Team stellt Regeln regelmäßig infrage.
  • Das Team weicht ab und an von vorgegebenen Strukturen ab.
  • Die Teammitglieder treffen eigene Entscheidungen.

2. Bewertungsphase

Nun geht es darum, zu bewerten, ob Sie mit diesem Verhältnis zufrieden sind. Passt in unserem Beispiel das Verhältnis von 80% zu 20%? Oder wünschen Sie sich mehr Risikofreude?

3. Handlungsphase

Schließlich gilt es, zu reflektieren was Sie tun können, um Ihr Team in unserem Beispiel zu mehr Risikofreude zu bewegen? Vielleicht hilft es, als Teamleitung Regeln und Strukturen zu hinterfragen oder Verbesserungen für Prozesse auszuprobieren. Oder Sie leiten einzelne Teammitglieder durch Delegieren bewusst zu eigenen Entscheidungen an.

Bei all dem ist es essentiell, begründen zu können, warum es Ihnen wichtig ist, dass Ihr Team risikofreudiger wird, lernt Chaos auszuhalten, ordentlicher, schneller, reflexiver, optimistischer wird oder eine gesunde Skepsis aushält, harmonischer wird oder lernt, sich konstruktiv zu streiten, ab und an ins Fühlen kommt oder von zu viel Gefühl weg kommt, mehr spricht oder zuhört oder sich eine Reflexionspause gönnt bzw. Neues hinzu nimmt, um sich weiter zu entwickeln.

Und jetzt viel Spaß beim Reflektieren: Reflexionsbogen

Mehr zum Thema Teambildung gibt es hier.

Ein Phasenmodell der Themenzentrierten Interaktion

Die TZI ist vermutlich das bekannteste und beste Modell zur Analyse von Gruppendynamiken. Wenn ich das 4-Faktorenmodell in meinen Seminaren erläutere, ist es idR. sofort einsichtig:

  • Das Es: Es gibt ein Thema, an dem wir alle zusammen arbeiten und Ziele, die wir verfolgen.
  • Die Ichs: Es gibt Einzelinteressen und -bedürfnisse der Teilnehmer*innen, was auch Teamleitungen mit einschließt.
  • Das Wir: Das Teamgefüge lässt sich über verschiedene Merkmale beschreiben, insbesondere Dauer, Intensität, Homogenität und gemeinsame Erfahrungen.
  • Der Globe: Jedes Team wird durch vielfältige äußere Faktoren beeinflusst, die sich eher nicht im eigenen Einflussbereich befinden. IdR. sprechen wir hier von der Kultur eines Unternehmens, aber auch von gesellschaftspolitischen Trends.

Dass sich insbesondere die ersten drei Faktoren in einer Balance befinden sollten, leuchtet ebenso schnell ein. Und dass dieses Gefüge immer wieder durcheinander gerät, hat schon jede*r am eigenen Leib erfahren. Soweit, so hilfreich. Doch wie lässt sich damit arbeiten, wenn es tatsächlich zu einer Dysbalance kommt?

In diesem Fall ist es hilfreich, sich ein 3-Phasenmodell der TZI vorzustellen. Die TZI als Vorbereitungs-, Analyse- und Interventions-Tool:

1. Die TZI als Vorbereitungs-Tool

Das Modell der TZI ist enorm hilfreich, um sich als Führungskraft oder Teamleitung klar zu machen, was mich im Rahmen eines Teamtreffens erwartet:

Das ICH der Gruppenleitung

  • Wie geht es mir, wenn ich an die Gruppe denke? Worauf freue ich mich? Was macht mir Sorgen?
  • Worin besteht meine Rolle / Aufgabe?
  • Wie wirkte ich bislang / will ich wirken?

Die Ichs in der Gruppe

  • Aus welchen Situationen (privat, beruflich) kommen die Teilnehmer*innen?
  • Welche Erwartungen haben die TN an mich / das Thema / die Gruppe?

Das WIR – die Gruppe

  • Kennen sich die Teilnehmer*innen oder treffen sie sich zum ersten mal? Gibt es Untergruppen, die evtl. nicht miteinander können?
  • Besteht evtl. schon eine Ordnung / Hierarchie? Gibt es verschiedene Hierarchie- / Führungsebenen?
  • Welche Sprache / Kommunikation (Umgangssprache, direkt, humorvoll, diplomatisch, wissenschaftlich, Du / Sie) sind die Teilnehmer*innen gewohnt?
  • Inwiefern kann ich mich auf die Sprache / Kommunikation der Gruppe einlassen?
  • Wie steht die Gruppe zu den anzugehenden Themen?
  • Sind Widerstände oder Konflikte zu erwarten?
  • Welche Ideen habe ich, die Gruppe zu einem produktiven Team zu bewegen?
  • Treffen sich die richtigen Personen zum passenden Thema?
  • Passen die geplanten Methoden zur Gruppe?

Das ES – Themen und Ziele

  • Welche Themen sollen besprochen werden?
  • Welche Ziele gibt es? Gibt es unterschiedliche Ziele (Ichs, Wir, Globe)?
  • Wie dringend brauchen wir Ergebnisse?
  • Welches Interesse habe ich selbst als Leitung an den Themen?
  • Bleibt während des Treffens Arbeit liegen?
  • Welche Wertigkeit hat das Treffen i.Vgl. zur sonstigen Arbeit?
  • Passen die geplanten Methoden zum Thema?

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Ist das Thema aufoktroiert oder frei gewählt?
  • Ist die Gruppenzugehörigkeit freiwillig?
  • Ist die zeitliche Struktur passend für die Themen?
  • Ist der örtliche Rahmen passend (öffentlich, ungestört, Nebenräume, Sitzordnung)?
  • Welche medialen Ressourcen (Flipchart, Beamer, Pinwand, Moderationstools) sind vorhanden?
  • Welche Erwartungen gibt es von der Organisation?
  • Gibt es ein aktuelles gesellschaftliches Geschehen (Nachrichten, Wetter, Verkehrslage, Bahnstreik) mit Auswirkungen auf die Gruppe oder einzelne Teilnehmer*innen?
  • Ist die Gruppe entscheidungsfähig oder werden im Anschluss die Beschlüsse der Gruppe von einem höheren Gremium bewertet?
  • Gibt es Widerstände oder Unterstützer von außen?

2. Die TZI als Analyse-Tool

Als zweites empfehle ich die TZI als Analyse-Tool, um direkt in einem Gruppentreffen Dysbalancen wahrzunehmen:

Das Ich der Gruppenleitung

  • Ich stelle mich selbst nicht in den Dienst der Sache, sondern präsentiere mich gerne als Leitung.
  • Ich fühle mich der Gruppe nicht gewachsen und habe Angst davor, die Gruppe nicht gut leiten zu können.
  • Mir fehlen evtl. Erfahrungen oder Kompetenzen zur Leitung der Gruppe.
  • Mir fehlt der Stallgeruch.
  • Meine Rolle und Aufgabe ist unklar. Der Auftrag wurde unsauber geklärt.
  • Es gibt widersprüchliche Aufträge (Geschäftsleitung, Personalentwicklung, Gruppe).
  • Ich habe Vorurteile gegenüber der Gruppe / Branche / …

Die ICHs in der Gruppe

  • Einzelne oder alle Teilnehmer*innen haben im Grunde keine Lust auf das Treffen.
  • Einzelne Teilnehmer*innen sind aus irgendeinem Grund etwas Besonderes (neu, anderer Fachbereich, Geschlecht, …).

Das WIR – die Gruppe

  • Die Stimmung weist eine hohe Harmonie / Ungeduld / Unruhe / Gereiztheit / Unsicherheit / … auf.
  • Einzelne Untergruppen wollen am liebsten unter sich bleiben.
  • Manche in der Gruppe sprechen viel, andere gar nicht.
  • Manchen in der Gruppe wird andächtig zugehört, anderen nicht.
  • Es besteht eine heimliche Meinungsführerschaft.
  • Die Gruppe ist in ihrer Kommunikation inhomogen (Du / Sie, direkt / vorsichtig, umgangssprachlich / wissenschaftlich).
  • Es gibt Reizthemen in der Gruppe.
  • Es fehlen für das bearbeitende Thema essentielle Teilnehmer*innen.
  • Die Gruppe fremdelt mit den eingesetzten Moderationsmethoden oder der Gesprächsführung.

Das ES – Themen und Ziele

  • Verschiedene Untergruppen oder Teilnehmer*innen verfolgen unterschiedliche Ziele.
  • Der Zeitdruck erlaubt keine Kreativität oder Teamentwicklung.
  • Die Teilnehmer*innen sind parallel mit anderen Themen (Handy, Laptop) beschäftigt.

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Das Thema wurde den Teilnehmer*innen aufgedrückt.
  • Das Thema ist ein Prestigeobjekt.
  • Die Zeit reicht für den Umfang der Aufgaben nicht aus.
  • Die Räumlichkeiten passen nicht.
  • Die Gruppe ist in wichtigen Belangen nicht entscheidungsfähig.

3. Die TZI als Interventions-Tool

Als drittes gilt es, die Balance zwischen den vier Polen wieder herzustellen. Dazu einige Erfahrungen aus meiner Praxis als Seminarleiter:

Die ICHs in der Gruppe

  • Einzelne oder alle Teilnehmer*innen haben im Grunde keine Lust auf das Treffen.

Praxisbeispiel: Ich bekam vor einigen Jahren den Auftrag für alle Führungskräfte einer Stadtverwaltung ein Pflichtzeitmanagementseminar abzuhalten. Dass die Führungskräfte nicht begeistert sein werden, erfuhr ich bereits durch die Personalentwicklung. Die Stimmung war entsprechend. Eine teilweise Lösung ergab sich durch eine neue Auftragsklärung im Seminar und damit eine positive Erwartungsenttäuschung der Teilnehmer*innen: „Nein, ich mache hier keine Mitarbeiter-Optimierung, sondern arbeite bedürfnisorientiert.“

  • Einzelne Teilnehmer*innen sind aus irgendeinem Grund etwas Besonderes (neu, anderer Fachbereich, Geschlecht, …).

Praxisbeispiel: In einem Seminar neulich setzte sich eine Person weit weg von allen anderen. Dadurch ergab sich eine spürbare Dysbalance zwischen dieser Person und der restlichen Gruppe, die sich schnell auflösen ließ: Auf Nachfrage wurde klar, dass die Person krank war und die anderen im Raum nicht anstecken wollte. Manchmal ist es sehr einfach, die Balance wieder herzustellen.

Das WIR – die Gruppe

  • Die Stimmung weist eine hohe Unruhe auf.

Praxisbeispiel: Vor ein paar Jahren leitete ich ein Führungsseminar für ein Gruppe von Vertriebler*innen. Am zweiten Tag des Seminars kam auf einmal eine große Unruhe auf und beinahe alle begannen heimlich auf ihre Laptops zu schauen und zu tuscheln. Schnell wurde klar, dass am Morgen die aktuellen Quartalszahlen veröffentlicht wurden. Ich machte daraufhin eine halbe Stunde Pause, damit die Gruppe sich über die Zahlen austauschen konnte. Anschließend konnten wir konzentriert weiter arbeiten.

  • Einzelne Untergruppen wollen am liebsten unter sich bleiben.

Praxisbeispiel: Hier braucht es heterogene Kleingruppenreflexionen, d.h. Gruppenarbeiten mit Personen, die sich noch nicht kennen.

  • Manche in der Gruppe sprechen viel, andere gar nicht.

Praxisbeispiel: Hier helfen strukturierte Moderationsmethoden, bspw. 1-2-4-All: Zu einem Thema macht sich zuerst eine Person eine Minute lang Gedanken, dann folgt zwei Minuten lang ein Austausch zu zweit, dann zu viert und schließlich im Plenum.

  • Die Gruppe fremdelt mit den eingesetzten Moderationsmethoden oder der Gesprächsführung.

Praxisbeispiel: Neulich war ich einer Gruppe zu wissenschaftlich. Ich reagierte mit Humor und begann immer dann, wenn mir auffiel, zu abgehoben zu wirken, meinen eigenen Vortrag zu dolmetschen.

Das ES – Themen und Ziele

  • Verschiedene Teilnehmer*innen verfolgen unterschiedliche Ziele.

Praxisbeispiel: Streng genommen ist das der Normalfall, der sich nur durch eine sehr individuelle Agenda lösen lässt, die am besten in regelmäßigen Untergruppen umgesetzt wird. Dabei sollten freilich die gemeinsamen Ziele (im Plenum) nicht aus dem Auge verloren werden. Eine Methode, um Einzelinteressen gerecht zu werden ist der Marktplatz der Kompetenzen: Jede*r Teilnehmer*in schreibt auf grünen Karten seine Kompetenzen auf bzw. das, was er der Gruppe bieten kann und auf rote Karten das, was er noch von der Gruppe braucht bzw. was er weniger gut kann und was folglich seine Ziele sind. Anschließend sucht sich jede*r Teilnehmer*in mind. eine andere Person aus, von der er oder sie glaubt, dass diese Person ihm oder ihr weiterhelfen kann.

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Die Gruppe ist nicht entscheidungsfähig.

Praxisbeispiel: Ein Thema, das in Seminaren andauernd passiert: Die Teilnehmer*innen ärgern sich über Dinge, die sie nicht oder nur bedingt ändern können, bspw. den aktuellen Personalmangel. Die Lösung: Eine klare Unterscheidung zu treffen zwischen dem, was die Gruppe betrifft und dem, worauf sie selbst einen Einfluss hat. Am einfachsten ist beim Thema Personalmangel der Zusatz: „Umgang mit …“: Den Personalmangel können wir nicht beeinflussen. Den Umgang damit jedoch schon.