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Wie sollte eine Dienstvereinbarung zum Thema Homeoffice aussehen?

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Die Zeit des Ausprobierens von Homeoffice ist in vielen Unternehmen und öffentlichen Institutionen, für die ich tätig bin, vorbei. Nun gilt es, die Erfahrungen der letzten Jahre in Dienstvereinbarungen festzuschreiben. Dies schafft einen sicheren Rahmen v.a. für Führungskräfte, die sich im Versuch-und-Irrtum-Verfahren eigene Regeln erarbeitet haben und sich ab und an die Frage stellen, ob sie richtig liegen und welche Argumente sie in der Hand haben, Mitarbeiter*innen kein Homeoffice zu erlauben bzw. den Homeoffice-Status wieder zu entziehen.

Ziele der Dienstvereinbarung

Als erstes ist es sinnvoll, sich der Ziele von Homeoffice bzw. einer Dienstvereinbarung dazu bewusst zu werden:

  • Geht es darum, die Attraktivität des Arbeitsplatzes gegenüber der Konkurrenz zu erhöhen, individuelle Wünsche der Arbeitnehmer*innen zu erfüllen und eine gelingende Work Life Balance zu ermöglichen?
  • Auf der anderen Seite sollte es auch darum gehen, den Dienstbetrieb und die Qualität der Arbeitsleistung aufrecht zu erhalten.
  • Und schließlich ist darauf zu achten, dass der analoge Austausch untereinander wesentlich zu einem positiven Arbeitsklima, zur Motivation der Mitarbeiter*innen, zur Bindung an das Unternehmen und zur Vermeidung bzw. Klärung von Konflikten beiträgt.

Grundsätzliche Rahmenbedingungen zur Bewilligung von Homeoffice

Auf der Grundlage der Ziele sollten Rahmenbedingungen klar abgesteckt werden: Wie viel Zeit darf maximal im Homeoffice verbracht werden, um die oben genannten Ziele zu erfüllen bzw. nicht zu verhindern? Meist handelt es sich um eine prozentuale Orientierung, wenn Mitarbeiter*innen bspw. maximal 70% im Homeoffice verbringen können, sofern nichts dagegen spricht, und minimal einen Tag pro Woche in Präsenz sein sollen. Hier sind zwar dann Führungskräfte in der Begründungspflicht. Die Dienstvereinbarung hilft jedoch dabei, wenn es um folgende Faktoren geht, die gegen Homeoffice sprechen:

  • Aufgabe: Lässt sich die Aufgabe von zuhause aus genauso erledigen wie vor Ort? Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Ich gebe u.a. Seminare für das Bayerische Landeskriminalamt. Aber auch in anderen Institutionen und Unternehmen wird mit besonders heiklen Daten operiert, die eine sorglose Arbeit im Homeoffice erschweren.
  • Gruppendynamik: Erfordert eine qualitativ hochwertige Leistung kreative Austauschprozesse im Team, die nicht ohne weiteres auf Distanz genauso gut funktionieren wie in vor Ort inklusive der Dynamik körpersprachlicher und sprachlicher Feedbackprozesse? Manche Teamarbeiten erfordern zusätzlich eine hohe Agilität und Spontaneität. Was passiert bspw., wenn ein Kunde eine schnelle Anpassung eines Produkts erwartet und die Führungskraft dazu erst einmal die Teammitglieder aus dem Homeoffice zusammen trommeln muss? Eine unklare „rechtliche“ Situation in punkto Homeoffice könnte Führungskräfte hier schnell zu Bittsteller*innen machen.
  • Persönliche Kompetenzen: Sind die Mitarbeiter*innen loyal, gebunden und gut genug strukturiert, um sie mit gutem Gewissen ins Homeoffice zu entlassen?
  • Arbeitsplatzsituation zuhause: Ist der Arbeitsplatz zuhause homeofficetauglich? Wie sieht es mit der familiären Situation aus (Stichwort: Kleine Kinder)? Wie sieht es mit arbeitsschutzrechtlichen Bedingungen aus? Soll der Arbeitsplatz kontrolliert werden oder gibt es eine Selbstauskunft? Passt die Bandbreite des Internets zuhause? Wird die Technik gestellt oder greifen Mitarbeiter*innen auf eigene Technik zurück? Wie ist die Haftung bei Schäden geregelt? In vielen Unternehmen ist es u.a. aus Datenschutzgründen nicht erlaubt, private Geräte zu nutzen.

Grundsätzliche Regelungen versus Flexitag

Grundsätzliche Regelungen betreffen regelmäßige Vereinbarungen zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen. Flexitage können spontan vereinbart werden, bspw. wenn an einem bestimmten Tag ein Handwerker kommt. Meist besteht ein bestimmtes Kontingent an Flexitagen pro Jahr.

Geregelt werden muss ebenso, wie und wann ein Flexitag beantragt werden muss. Dies schließt idR. Situationen aus, in denen Mitarbeiter*innen früh morgens anrufen, weil sie verschlafen haben oder krank sind, aber dennoch im Homeoffice arbeiten wollen.

Auch Fragen der Zeiterfassung müssen geklärt werden: Loggen sich Mitarbeiter*innen zuhause ein und aus oder gelten Prinzipien der Vertrauensarbeitszeit und Ergebnisorientierung?

Und schließlich sollte geklärt werden, wer über die Bewilligung eines grundsätzlichen Homeofficeplatzes entscheidet. Meist ist es hilfreich, wenn dies nicht nur Führungskräfte entscheiden müssen, sondern zusätzlich Datenschutzbeauftragte, Betriebsrat und die Personalabteilung mit im Boot sind, insbesondere wenn es um kritische Entscheidungen geht.

Möglich und hilfreich kann auch eine Probephase sein bzw. sich als Arbeitgeber eine Hintertür offen zu halten, falls sich die Rahmenbedingungen ändern und Mitarbeiter*innen aus dem Homeoffice zurück geholt werden sollten.

Besondere Gründe im Zweifelsfall

Bestehen besondere soziale oder individuelle Gründe, auch wenn es (vereinzelt) Gründe gegen Homeoffice gibt bzw. mehr Mitarbeiter*innen in Homeoffice wollen als es für die Teamdynamik gut ist? Dies gilt insbesondere für:

  • Schwerbehinderung
  • Betreuung kleiner Kinder
  • Betreuung von pflegebedürftigen Familienangehörigen

Einarbeitungsphase

Für Einarbeitungsphasen sollte es extra Regelungen geben, am besten in Form eines Phasenplans. Diesen komplett für alle Bereiche, Abteilungen und Aufgaben vorzugeben ist nicht sinnvoll, da jeder Aufgabenbereich anders ist. Wichtig in der Einarbeitung sollten drei Aspekte sein:

  1. Sich mit den Aufgaben vertraut machen.
  2. Die Kolleg*innen kennenlernen und sich ein erstes Netzwerk aufbauen.
  3. Die Werte des Unternehmens kennen lernen.

Punkt 1 lässt sich häufig auch im Homeoffice erledigen – sofern es sich nicht um Teamarbeit handeln. Punkt 2 und 3 sind wesentlich schwerer vom Homeoffice aus bzw. bei Punkt 3 beinahe unmöglich. Deshalb kann folgende Orientierung sinnvoll sein:

  • In den ersten drei Monaten sollten Mitarbeiter*innen in Präsenz sein.
  • Danach können sie drei Monate lang einen Tag im Homeoffice verbringen.
  • Anschließend wird gemeinsam reflektiert, was für alle Seiten passt.

Newtro Work

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Das Kunstwort Newtro ist zusammengesetzt aus new und retro, sprich neu und alt gleichzeitig. Aktuell sind beispielsweise Falthandys wieder im Kommen. Das Falten verdeutlicht das bewusste Abschalten des Handys, während die Technik freilich hochmodern ist.

Vielleicht sind solche Mischwörter ja ein Zeichen der Zeit – denken wir an die „Neue Normalität“ – und symbolisieren unser Bedürfnis nach ein wenig Stabilität in einer hektischen Welt ständiger Veränderungen.

„Newtro Work“ brauchen Sie nicht in eine Suchmaschine einzutippen. Diese Zusammensetzung habe ich gerade erst erfunden und darf gerne Karriere machen.

Als ich den Begriff Newtro las, kamen mir jedoch sofort die Diskussionen aus meinen Führungstrainings in den Sinn. Das zentrale Hauptthema lautet derzeit „Wie halten wir die Bindung und den Austausch untereinander in Zeiten einer hybriden Zusammenarbeit und hohen Fluktuation aufrecht?“

Die Brainstormings dazu in meinen Seminaren ergeben folgende Ideenliste:

  • Regelmäßige Face-to-Face-Treffen
  • Den Stammtisch reaktivieren
  • Die Fußballmann(und frau)-schafft reaktivieren
  • Mal wieder Bowlen gehen
  • Gemeinsames Mittagessen
  • Regelmäßige Aktionstage in Präsenz
  • Regelmäßige kurze Feedbackgespräche zwischen Chef*in und Mitarbeiter*in
  • Gezielt manche Besprechungen in Präsenz abhalten
  • Gemeinsame virtuelle Mittagspausen
  • Geburtstagsfeiern in Präsenz
  • Fehlerbesprechungsrunden in lockerer Atmosphäre mit Kaffee und Kuchen
  • Mehr Struktur in Online-Meetings
  • Klare Ziele, klare Planungen, sauberes Delegieren
  • Regelmäßige Teambildungs-Events

Mehr retro geht kaum.

Auch wenn junge Bewerber*innen häufig am liebsten sofort ins Homeoffice möchten, sind die Zahlen einiger meiner Auftraggeber, was das Homeoffice angeht eher wieder rückläufig. Die Kolleg*innen vermissen sich. Nach der Extremversion zu Corona-Zeiten pendelt sich offensichtlich eine neue Neue Normalität ein. Ob es dazu noch einen weiteren Begriff braucht? Keine Ahnung. Spannend ist es in jedem Fall, darüber nachzudenken, wie viel Altes das Neue braucht, damit Mitarbeiter*innen in Veränderungen mitziehen. Und manchmal ist das Alte eine feine Sache. Ist Fußball spielen mit den Kolleg*innen nicht so cool wie Funkmusik aus den Siebzigern? Retro eben.

Nachhaltige Veränderungen brauchen Struktur und Haltung

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Was Agilität und Homeoffice mit Materialismus und Idealismus zu tun haben

Materialismus versus Idealismus

Wenn es um große Veränderungen in der Gesellschaft geht, gibt es zwei Strömungen. Die eine steht in der Tradition des marxistischen Materialismus und geht davon aus, dass Strukturen verändert werden müssen. Die andere beruft sich auf den Hegelschen Idealismus und geht davon aus, dass sich v.a. das Bewusstsein verändern sollte.

Wer materialistisch denkt ist beispielsweise für eine Frauenquote in Unternehmen. Wer hegelianisch denkt, versucht, Vorurteile gegenüber Frauen aufzudecken. Beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile: Wer lediglich eine Frauenquote für Führungspositionen einführt, sorgt zwar dafür, dass mehr Frauen in der Führung präsent sind. Bleibt die Veränderung jedoch auf der Strukturebene stehen, kann es sein, dass Frauen ihre Karriere geneidet wird und diese sich mehr anstrengen (müssen) als Männer, um gegen bewusste oder unbewusste Vorurteile anzukämpfen.

Die Wirkmächtigkeit solcher Vorurteile untersuchte insbesondere der französische Soziologe Pierre Bourdieu. Für nachhaltige Veränderungen reicht es also nicht aus, lediglich Strukturen zu verändern, wie im Falle der Frauenquote eine Regel einzuführen Als Ergänzung braucht es die Beschäftigung mit Bewertungen, Neigungen und typischen Verhaltensweisen, als Bündel bei Bourdieu Habitus genannt:

  • Was verbindest du eher mit Leistung und Zuverlässigkeit: Männer oder Frauen?
  • Was verbindest du eher mit Emotionalität: Männer oder Frauen?
  • Wer ist eher für eine Führungsposition geeignet: Männer oder Frauen?
  • Wen würdest du eher als Kolleg*in wählen: Einen Mann oder eine Frau? Usw.

Die Fragen erscheinen plump, insbesondere wenn wir der Meinung sind, gesellschaftlich weiter zu sein, was Egalität angeht. Zudem lassen sich sicherlich elegantere Fragen stellen. Doch auch wenn sich Strukturen in der Praxis bereits verändert haben, hängt unsere Geisteshaltung oft viele Jahre hinterher. Es kann also nicht schaden, zumindest darauf aufmerksam zu machen, dass wir häufig noch nicht so weit sind, wie wir uns das eigentlich wünschen oder es gesellschaftspolitisch erwartet wird.

Materialismus und Idealismus als Streitpunkt in Veränderungen

Die Unterscheidung zwischen Materialismus und Idealismus erscheint simpel, bildet jedoch die Grundlage vieler heftig geführter Debatten. Während die eine Seite am liebsten alle Reiterstandbilder aus kolonialistischen Vorzeiten abreißen, jedes N-Wort aus Büchern und Lesungen verbannen und bei Personenbezeichnungen einen Genderstern dazu basteln will, behauptet die andere Seite, dass damit noch lange nichts erreicht ist. Denn nur weil wir Ungerechtigkeiten mit Strukturveränderungen bekämpfen, sind sie nicht aus der Welt geschafft.

Auf den ersten Blick erscheinen die oben genannten Beispiele wie eine Strukturveränderung. In Wirklichkeit folgen sie jedoch dem (jugendlichen) Idealismus, mit Worten die Welt zu verändern. Tatsächlich verändert Sprache unser Denken und unseren Blick auf die Welt (Ideal = lateinisch „dem Urbild entsprechend“) und schafft damit eine zukünftige, andere Wirklichkeit. Bis dahin bleiben jedoch die aktuellen Strukturen unangetastet, bspw. Hungerlöhne und Kinderarbeit in der 3. Welt, auch wenn es seit einigen Jahren offiziell „Eine Welt“ heißt. Der strukturelle Rassismus geht also weiter, egal ob wir das N-Wort benutzen oder nicht.

Und was hat das alles mit Agilität zu tun?

Machen wir zum Ende dieses Artikels noch einen kurzen Schwenk zurück in die Arbeitswelt. Was hat nun Agilität mit der ganzen Diskussion um Materialismus und Idealismus zu tun?

Agile Führung setzt an zwei Fronten an:

  • Zum einen sollte sich das Mindset von Führungskräften verändern. Sie sollten insbesondere mehr mit Vertrauen führen und Prozesse wie auch sich selbst transparenter machen, um das Vertrauen ihrer Mitarbeiter*innen zu gewinnen. Dieser Ansatz ist zutiefst idealistisch. Oder wie En Vogue 1992 sangen „Free your mind and the rest will follow“. In der Ursprungsversion von Funkadelic 1970 hieß es übrigens noch „Free your mind and your ass will follow“. Auch schön.
  • Zum anderen gibt es mit Scrum, Objectives & Keyresults (OKR) oder Design Thinking Frameworks mit festen Strukturen aus Ritualen (Dailys, Weeklys, Reviews, Retrospektiven), Rollen (Scrum-Master, Product-Owner), Prinzipien und Regeln (Agiles Manifest, Design Thinking-Regeln). Dieser Ansatz ist zutiefst strukturell.

Dieses Zusammenspiel ist nicht nur in agilen Projekten und einer agilen Führung sinnvoll, sondern sollte in jeder Veränderung mitgedacht werden, um eine psychologisch-strukturelle Sicherheit zu bieten und Rückschläge zu vermeiden.

Mindset und Struktur im Homeoffice

Wer beispielsweise die Zusammenarbeit auf Distanz nachhaltig gestalten will, sollte neben dem Mindset des Vertrauens und der Transparenz folgende Strukturen klären bzw. vorgeben:

Richtlinien:

  • Chatten zur Bindung auf Distanz sollte erwünscht sein.
  • Erreichbarkeiten sollten transparent gemacht werden.
  • Bei den Einarbeitungszeiten muss geklärt werden, was im Homeoffice möglich ist und wofür es Präsenzzeiten braucht.

Regeln:

  • Verbindliche Kernzeiten und Erreichbarkeiten müssen klar sein.
  • Rückrufe sollten innerhalb … stattfinden.
  • Missverständnisse sollten frühzeitig und besser in Präsenz geklärt werden.
  • Wer krank ist, ist krank und arbeitet auch nicht im Homeoffice.
  • Nach … Uhr werden keine eMails mehr verschickt / beantwortet.

Rituale:

  • Regelmäßige Aktionstage dienen der Bindung im Team.
  • Fehler werden regelmäßig reflektiert und aufgearbeitet.

Literatur:

Jana Glaese – Was heißt hier Struktur? In: Philosophie Magazin 06/2023

Arbeitswelt und Führung der Zukunft

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Arbeitswelt der Zukunft

Die Arbeitswelt der Zukunft ist flexibel, virtuell und von Netzwerken geprägt:

  • Flexibilität: Mitarbeiter*innen werden sich auf eine hohe Flexibilität einstellen müssen. Sie werden mal im Homeoffice arbeiten, mal vor Ort. Sie werden mal in dem einen, mal in einem anderen Team arbeiten, je nachdem, welche Kompetenzen gerade gebraucht werden. Dies gilt sicherlich nicht für alle Arbeitsbereiche. Doch je projektlastiger und kreativer eine Tätigkeit ist, desto mehr Flexibilität wird verlangt werden. Damit sollten Mitarbeiter*innen der Zukunft eine Menge Sozialkompetenz, Neugier und Offenheit mitbringen, um sich immer wieder auf neue Aufgaben, Situationen und Teams einzulassen.
  • Virtualität: Hier gilt v.a. die Devise: Die Technik muss bereit gestellt werden und funktionieren.
  • Netzwerke: Aufgrund der hohen Flexibilität wird Leistung wichtiger als Hierarchien.

Organisationskultur der Zukunft

Damit trotz stetiger Wechsel keine Unruhe aufkommt, braucht es einen starken Fokus auf eine offene, vertrauensvolle Organisationskultur:

  • Positive Lern- und Fehlerkultur: Vertrauen wird am besten geschaffen durch die Möglichkeit aus Fehlern zu lernen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Dazu gehört auch eine Kultur des offenen, gegenseitigen Feedbacks.
  • Kultur des offenen Austauschs: Wenn sich Menschen immer wieder aufeinander einlassen müssen, um vertrauensvoll und kreativ zusammen zu arbeiten, braucht es institutionalisierte Möglichkeiten des Austauschs und der Begegnung, bspw. eine Teamküche oder ritualisierte Treffen, in denen nicht über Arbeit gesprochen wird.
  • Kultur der persönlichen Weiterentwicklung: Und schließlich braucht eine mitarbeiterorientierte Kultur, in der die Weiterentwicklung jedes/r Einzelnen hoch aufgehängt ist, bspw. durch ein persönliches zeitliches Weiterbildungskontigent.

Führungsrollen der Zukunft

Während die ersten beiden Aspekte auch eine zentrale Aufgabe der gesamten Organisation sind, haben Führungskräfte insbesondere beim Aspekt der Weiterentwicklung der Mitarbeiter*innen eine zentrale Bedeutung. Folgende Rollen von Führungskräften werden daher in der Zukunft besonders wichtig sein:

  • Vorbild & Mentor*in: Einer Führungskraft, die Mitarbeiter*innen nicht als Vorbild betrachten, folgt niemand. Wenn also Hierarchien in einer netzwerkbasierten Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung verlieren, müssen Führungskräfte mehr als früher mit dem was sie tun und sind überzeugen und bestenfalls eine Art Mentor für Mitarbeiter*innen darstellen.
  • Talent-Scout & Coach: Eine wichtige Aufgabe der Zukunft in Netzwerken für Führungskräfte wird der Fähigkeit zukommen, Talente zu erkennen und/oder diese entsprechend weiterzuentwickeln, um mit den stetigen Veränderungen in einer digitalen Welt mitzukommen. Wobei ein Coach seinen Coachees durchaus liebevoll auf die Füße tritt, wenn es notwendig erscheint.
  • Visionär*in & Optimist*in: Wenn Hierarchien flacher werden, reicht es nicht mehr aus, Aufträge von oben nach unten durchzureichen. Es braucht stattdessen im Rahmen der Gesamtvision eines Unternehmens eigene Visionen und Ansätze, um die Mitarbeiter*innen zu begeistern.
  • Netzwerker*in: Sollen Teams innerhalb eines Unternehmens neu zusammen gestellt werden, müssen Führungskräfte wissen, wer mit wem am besten zu einem neuen Projekt passt. Sie müssen also sowohl die Kompetenzen als auch die sozialen Dynamiken einschätzen können. Dazu braucht es gute Netzwerken.
  • Moderator*in & Mediator*in: Wenn sich Teams immer wieder neu zusammengestellt werden, braucht es Führungskräfte, die die Prozesse in solchen Teams gut moderieren und gegebenenfalls Konflikte schlichten.

Auf dem Weg zu einer humanen Digitalisierung

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In vielen Unternehmen ist die Digitalisierung weit vorangeschritten, in anderen wird immer noch gefremdelt. Dies liegt insbesondere an branchenspezifischen Einstellungen der Menschen. Eine Studie von Sebastian Wörwag gibt Aufschluss darüber, was unterschiedliche Branchen erwarten und befürchten.

Stimmungs-Status-Quo in verschiedenen Branchen

Grob zusammengefasst erwartet die IT-Branche mehrheitlich Positives von der Digitalisierung:

  • weniger Routineaufgaben
  • mehr (kreative) Freiräume, erst recht durch KI
  • und damit auch die Zunahme spannender Arbeit

In der Finanzbranche sieht es schon anders aus. Hier wird erwartet, dass …

  • zwar einerseits Routineaufgaben abgenommen werden, bspw. durch Chatbots,
  • andererseits jedoch Standardisierungen zunehmen und damit auch persönliche Entscheidungsfreiräume wegfallen.

Die Sozialen und Gesundheits-Berufe stehen der Digitalisierung besonders skeptisch gegenüber. Hier wird erwartet, dass digitalisierte Prozesse in diesen Berufen wenig bis gar nichts bringen. Ehrlicherweise muss man auch festhalten, dass eine Tätigkeit wie die Pflege an sich kaum digitalisiert werden kann. In ferner Zukunft könnten evtl. Pflegeroboter zum Einsatz kommen. Bis dahin bezieht sich die Digitalisierung von Prozessen v.a. auf Verwaltungstätigkeiten im Hintergrund.

Die Bildungsbranche wiederum erwartet v.a. mehr Freiräume für die Lehre und Forschung durch die standardisierte Digitalisierung von Prozessen, bspw. bei Laboruntersuchungen, die 1000 mal durchgeführt werden müssen.

Und in der Öffentlichen Verwaltung schließlich scheint eine Art Gleichmut vorzuherrschen: Während auf der einen Seite mehr Routineaufgaben erwartet werden, werden auf der anderen Seite digitale Hintergrund-Prozesse eingeführt, um die eigene Arbeit zu erleichtern. Damit halten sich Befürchtungen und Begeisterung die Waage.

Kreativität versus Digitalisierung

Ein Schlüssel zur Akzeptanz digitaler Prozesse ist definitiv die Einschätzung der Notwendigkeit von Kreativität in der eigenen Arbeit. Hier ergab die Untersuchung von Wörwag Erstaunliches:

  • Während die Notwendigkeit von Kreativität im Sozialen Bereich (18%) und Gesundheitsbereich (27%) am höchsten von allen untersuchten Branchen eingeschätzt wird (Durchschnitt aller Branchen 14%),
  • liegt sie im Bereich Bildung und Forschung bei überraschenden 10%. Um es noch einmal klar zu verdeutlichen: Die befragten Angestellten gaben lediglich zu 10% an, dass Kreativität in Lehre und Forschung wichtig ist.
  • Selbst die Öffentliche Verwaltung (15%) und das Finanzwesen (13%) liegen hier höher.
  • Noch extremer ist es in der IT. Hier gaben 0% an, dass Kreativität in ihrer Arbeit erforderlich ist. Daraus lässt sich auch erklären, warum KI in der IT so wichtig erscheint, was mich als Nicht-IT-ler erstaunt: Es scheint oftmals weniger um neue Ideen zu gehen, sondern mehr um die Umsetzung von Routine-Programmierungen oder die Wartung vorhandener Systeme.

Da jedoch digitale Prozesse, insbesondere KI und die Arbeit mit Algorithmen, bereits vorhandene Daten nutzen oder analoge Prozesse digital standardisieren, werden sie nicht damit verbunden, etwas Neues in die Welt zu bringen. Es geht also nicht darum, mit einer neuen Situation kreativ umzugehen.

Je wichtiger folglich für ein/e Mitarbeiter*in – unabhängig von der Branche – Kreativität ist, desto mehr wird er oder sie die Digitalisierung ablehnen, weil mit der Digitalisierung eher eine Standardisierung verbunden ist, in der Freiräume mehr beschnitten als gefördert werden.

Eine Faustformel zur Digitalisierung von Prozessen

Der Vergleich der Branchen zeigt deutlich, dass jede Branche anders bei der Digitalisierung tickt. Umso wichtiger ist es, nicht in einen Machbarkeitswahn zu verfallen, sondern sich genau zu überlegen, wann die Digitalisierung von Prozessen sinnvoll ist.

Im Sinne einer humanen Arbeit kann eine Faustformel (mit fünf Fingern) dazu lauten:

  1. Sinnvoller Zweck und Nutzen: Worin besteht der Nutzen des digitalisierten Prozesses? Soll er die Menschen entlasten? Schneller, agiler oder kundenfreundlicher („Ihre Nachricht kam an und wir kümmern uns darum …“) machen?
  2. Weiterentwicklung statt Entfremdung: Werden Prozesse digitalisiert, die den Menschen bislang Spaß machten? Werden sie also von ihrer Arbeit entfremdet? Verstehen die Mitarbeiter*innen noch, was bei digitalen Prozessen im Hintergrund passiert, auch um es Kund*innen verständlich zu machen? Oder nimmt die Digitalisierung dem Menschen ungeliebte Tätigkeiten ab und hilft ihm sich weiterzuentwickeln?
  3. Freiräume für persönliche Entwicklungen: Schaffen digitale Prozesse Freiräume zur Entwicklung der Mitarbeiter*innen an einer anderen Stelle? Oder gilt es nur noch, im Hintergrund digitale Prozesse zu beobachten und bei Fehlern einzugreifen? Kurzum: Macht die Digitalisierung die Arbeit spannender oder langweiliger?
  4. Bindung: Fördert die Digitalisierung die Bindung zueinander, bspw. weil digitalisierte Routineaufgaben Freiräume schaffen, die für kreative Prozesse im Team genutzt werden? Oder schafft die Digitalisierung (Stichwort: Onlinemeetings) mehr Distanz zwischen den Mitarbeiter*innen? Es ist erstaunlich, wie viele Teams sich online verabreden, nur weil es einfacher ist, obwohl alle am gleichen Ort sind.
  5. Teilhabe, Integration und Inklusion: Fördert die Digitalisierung die Teilhabe möglichst vieler Mitarbeiter*innen an der Arbeit oder auch Diskussionen und Abstimmungen? Schaffen bspw. Onlinemeetings bessere Zugänge für Gehandicapte? Denken wir dabei auch an Apps für Sehbehinderte, die ihnen helfen, Einkaufswaren zu scannen oder die Möglichkeit von Übersetzungsprogrammen im interkulturellen Austausch. Und auch zur Partizipation möglichst vieler Mitarbeiter*innen an Unternehmensprozessen lassen sich digitale Hilfsmittel (Onlinemeetings, Abstimmungsplattformen) gut einsetzen. Die Frage ist nur: Ist das auch gewünscht?

Zusammenfassen lassen sich diese 5 Aspekte auch in die 3 Bereiche des Organisatorischen, Persönlichen und Sozialen:

Literatur

Sebastian Wörwag, Andrea Cloots (Hrsg.) – Human Digital Work – Eine Utopie? Springer—Gabler, 2020, S. 127ff