
Wann sind wir ergriffen von einer Situation? Wann bewegt uns etwas oder beeindruckt uns? Vermutlich nicht, wenn es zu leicht geht.
Sind wir stolz auf uns, am Abend ein Bier zu trinken? Oder stolz auf unseren Einser-Schüler-Sprößling, weil er sein Abitur geschafft hat? Oder sind wir begeistert von einem 08/15-Projekt?
Stattdessen ist eine ehemalige Trinkerin stolz auf sich, weil sie bereits ein Jahr lang keinen Tropfen Alkohol angerührt hat. Als Eltern sind wir von der Abitur-Zeremonie vermutlich umso bewegter, je schwieriger es unserem Kind fiel. Und der Abschluss in einem Projekt wird umso mehr gefeiert, je unsicherer der Erfolg erschien.
Gleichzeitig werden die Ziele in den Beispielen nicht verfolgt, wenn sie nicht wichtig wären.
All das verdeutlicht: Je unkontrollierbarer ein Erfolg ist, bei gleichzeitiger persönlicher Wichtigkeit, umso mehr Resonanz entsteht in Form von Ergriffenheit, Stolz, Bewegtsein, Begeisterung, Rührung, Erfüllung, Jubel, Euphorie, Zufriedenheit oder Dankbarkeit.
Anders formuliert: Wenn wir es uns zu leicht machen, ist die damit verbundene Erfahrung nichts wert.
Das wiederum verdeutlicht ein Dilemma unseres aktuellen Lebens:
- Um einen Film anzusehen, müssen wir kaum noch einen Aufwand betreiben, zumindest nicht aus dem Haus gehen und Eintritt für das Kino bezahlen.
- Das gleiche gilt für das Hören von Musik.
- Wer auf einen Gipfel will, kann auch die Seilbahn nutzen. Usw.
- Wer jung und gut ausgebildet ist, kann so leicht wie lange nicht mehr den Job wechseln.
Die Menschen des globalen Nordens befinden sich deshalb in einer paradoxen Lage: Den meisten geht es gut wie noch nie. Gleichzeitig führt die Entfremdung von der Welt aufgrund fehlender Resonanzen zu einer hohen Unzufriedenheit.
Wollen wir die Entfremdung von der Welt aufheben, kommen wir also nicht umhin, es uns wieder schwerer zu machen:
- Uns Aufgaben vornehmen, bei denen wir scheitern könnten.
- Ausgewählte Filme im Kino anschauen anstatt in der Mediathek zu streamen.
- Im Urlaub etwas tun, das in keinem Reiseführer steht.
- Restaurants besuchen, die es laut Google gar nicht gibt.
- Um ein Gespräch beim Chef zu einem heiklen Thema bitten.
- Den Elefanten im Raum bei einer Teamsitzung ansprechen.
Die Erfahrung zeigt: Im ersten Moment ist es anstrengend, sich auf solche Reibungen einzulassen. In der Rückschau sind alle beteiligten dankbar.