Worauf es konkret ankommt, wenn ich netzwerke, zeigt sich im Netzwerkkompetenzen-Dreieck:
1. Innere Haltung
Die innere Haltung als Netzwerker*in sollte vom Grundsatz geprägt sein: Erst geben, dann bekommen. Der Psychologie-Professor Adam Grant unterscheidet dazu die drei Netzwerker-Typen Nehmer, Geber und Tauscher:
Nehmer sind Menschen, die erst um etwas bitten und später – vielleicht – etwas zurückgeben. Sie sind zuerst auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Nehmer machen durchaus Karriere, insbesondere wenn wir an all die Narzissten auf Chefsesseln denken. In Krisenzeiten könnte es jedoch einsam werden. Oder wie es ein Parteikollege, der damals nicht genannt werden wollte, über Edmund Stoiber auf den Punkte brachte, als dieser mit dem Verzicht auf das Wirtschaftsministerium in Berlin beteuerte wie ein Hund zu leiden: „Wir haben unter ihm gelitten. Wir wollen jetzt nicht auch noch für ihn leiden.“
Geber sind das genaue Gegenteil: Sie geben, ohne darüber nachzudenken, ob irgendwann etwas zurück kommen wird. Damit folgen sie langfristig dem Reziprozitätsgesetz. Wer von anderen Hilfe oder etwas geschenkt bekommt, möchte dies wieder gut machen, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet. Es mag sein, dass dies lange dauert. Doch für die meisten Menschen sind offene Rechnungen unangenehm. Kaufe ich etwas ein, ist der Vorgang damit in der Regel abgeschlossen. Netzwerke jedoch funktionieren nach der Geschenkökonomie. Langfristige, tragfähige Verbindungen entstehen am besten, indem ich vorbehaltlos gebe.
Tauscher schließlich sind Menschen, die bereits im Akt des Gebens an eine Wiedergutmachung denken. Ich helfe jemandem beim Umzug und stelle im Kopf bereits eine Rechnung aus oder erwarte wenigstens eine Pizza am Abend. Damit zerstören sie jedoch die unsichtbare Verbindung zwischen Geber und Empfänger. Dabei könnte aus der Pizza am Abend eine Einladung zur Einweihungsparty werden, wenn ich vertrauensvoll und geduldig abwarte.
Von diesem Grundsatz lassen sich einige weitere Haltungen ableiten, insbesondere ehrlich, authentisch und integer zu sein, Lob annehmen zu können und Netzwerktreffen nicht als Pflicht, sondern als etwas zu sehen, das Spaß macht. Das beste Netzwerken geschieht ohnehin nebenher, auf Partys, Betriebsausflügen oder in Seminaren. Waren Sie jemals auf einem dezidiert ausgeschriebenen Netzwerktreffen? Ich war vor Jahren auf einem Xing-Treffen, mit kleinen runden Stehtischen, Elevator-Pitch und „lustigen“ Kennenlernspielchen. Einmal und nie wieder. Früher hätte ich von mir behauptet, dass ich kein Netzwerker bin, wenn ich solche Treffen nicht ausstehen kann. Weit gefehlt. Ich bin durchaus ein Netzwerker, wenn auch nicht so gut wie meine Frau. Allerdings mag ich es nicht, wenn der Verkauf einer Leistung im Vordergrund steht. Das fühlt sich für mich nach Anbiederung an. Stattdessen waren Partys zu Beginn meiner Selbständigkeit eine gute Plattform: „Ach so, du gibst auch Zeitmanagement-Trainings. Mensch, dann rufe ich dich nächste Woche mal an.“ Ich hatte das nie geplant. Ich bin kein Vertriebler. Es ist einfach passiert. Und würde auch heute noch passieren. Als Coach und Mediator sehen viele meiner Bekannten in mir eine Art Psycho-Handwerker. Genauso wie es auf jeder Party jemanden gibt, der eine Wand zu streichen hat, gibt es auch jemanden, der einen Streit hat oder vor einem schwierigen privaten oder beruflichen Gespräch steht. Mittlerweile trenne ich das Private vom Beruflichen sauberer. Zu Beginn war es jedoch eine gute Möglichkeit, überhaupt einen Fuß in die Tür zu bekommen und Erfahrungen zu sammeln.
Schließlich spielt auch die Geduld beim Geben und Zurück-Bekommen eine große Rolle. Zu Beginn meiner Selbständigkeit lernte ich einen Mediator-Kollegen aus München kennen. Wir trafen uns ein mal am Rande eines Seminares von ihm bei mir in der Nähe, fanden uns sympathisch und planten gemeinsam Vorträge und Seminare in einem Friseursalon. Warum und weshalb es ausgerechnet ein Friseursalon sein sollte, weiß ich nicht mehr. Dazu kam es zwar nie – oh Wunder! Dafür landete er Jahre später bei einem großen Bildungsanbieter und fragte mich, ob er mich seinen neuen Kolleg*innen vorstellen soll. Dieser Bildungsanbieter ist mittlerweile mein größter Auftraggeber.
Und was tun, wenn Sie das Gefühl haben, von Nehmern ausgenutzt zu werden? In diesem Fall hilft Ihnen die Tit-for-Tat-Regel. Tit-for-Tat lässt sich grob mit Wie-du-mir-so-ich-dir übersetzen. Im Prinzip besteht die einzige Strategie darin, sich seinem Gegenüber anzupassen. Spielt Ihr Gegenüber fair, sind Sie auch fair. Spielt er unfair, sind Sie auch unfair. Sie gewähren ihm jedoch zu Beginn einen Vertrauensbonus. Tit-for-tat ist eine sowohl einfache als auch erfolgreiche Verhandlungsstrategie:
- Arbeiten Sie zum ersten mal mit einem neuen Kooperationspartner zusammen, begegnen Sie ihm mit Wohlwollen und Vertrauen. Vertrauen ist immer eine Vorschussleistung. Andernfalls wäre es kein Vertrauen, sondern Wissen oder Erfahrung.
- Sollte Ihr Gegenüber Ihren positiven Erwartungen entsprechen, haben Sie keinen Grund, sich anders zu verhalten.
- Sollte Ihr Gegenüber Sie enttäuschen, schwenken Sie auf einen konfrontativen Kurs um: Sie kontrollieren nach, lassen sich Vorgehensweisen erklären und verdeutlichen Ihre Erwartungen. Nicht nachtragend, aber klar und deutlich. Meist reicht dies bereits aus, um bei ihrem Gegenüber eine Verhaltensänderung zu bewirken.
- Wird Ihr Gegenüber daraufhin zu einem zuverlässigen Kooperationspartner, verhalten Sie sich wieder vertrauensvoll und wohlwollend.
- Kommt es abermals zu einem Vertrauensbruch, werden Sie wieder konfrontativ. Usw.
2. Persönliches Auftreten
Eng verbunden mit der inneren Haltung ist das persönliche Auftreten, an dem sich festmachen lässt, ob andere mich unterstützen werden oder nicht. Doch auch hier gilt logischerweise, mutig den ersten Schritt zu machen, empathisch und neugierig auf das Leben und die Arbeit anderer Menschen und offen zu sein für fremde Biographien. Dabei müssen Smalltalks beileibe nicht langweilig sein, wenn Sie interessante Fragen stellen:
- Was bringt Sie hierher?
- Was brachte Sie dazu, … zu machen?
- Was begeistert und inspiriert Sie derzeit?
- Wollen Sie der Welt etwas zurückgeben? Wenn ja, was?
- Was ist Ihnen an einer Zusammenarbeit wichtig?
- Wie gehen Sie mit einem Scheitern um?
- Wie definieren Sie Erfolg?
Sollte Ihnen das zu offensiv sein, arbeiten Sie mit „Haken“, indem Sie gezielt Informationen streuen, an denen Ihr Gegenüber anbeißen kann. Sie können in einem Vortrag eine Frage stellen: „Als jemand, der gerade auf der Suche nach … ist, wollte ich Sie fragen …“. Oder Sie erwähnen in einem Gespräch eine Information von sich, die für Ihr Gegenüber Interessent sein könnte: „Ich schreibe gerade ein Buch über … und überlege mir …“. Oder: „Letztes Jahr waren wir auf CorsiKa campen …“.
Dass empfangene Unterstützungen zurückgegeben werden sollte Ehrensache sein. Ebenso klar sollte es sein, dass betteln, jammern oder lästern nicht zum guten Ton gehören. Womit sich jedoch manche Menschen schwertun – ich leider auch – ist das Annehmen von Hilfe oder Rat. Auch wenn wir vorhin feststellten, dass Geben seliger als Nehmen ist, wirkt es auf Dauer seltsam, wenn jemand nur gibt und jede Hilfe ablehnt. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht und letztlich auch eine Abhängigkeit von der gebenden Person. Es ist kein Zeichen von Stärke, wenn ich Hilfe nicht nötig habe, sondern ein Zeichen innerer Schwäche, Hilfsangebote abzulehnen.
Im Rahmen meiner ersten Coaching-Ausbildung vor vielen Jahren bildeten sich Paare, um sich gegenseitig zu coachen. Zu Beginn eines jeden Treffens stand die Frage im Raum, wer ein Anliegen hat. Ich liebte es, andere zu begleiten. Hatte jedoch selten ein Anliegen. Deshalb war ich meistens der Coach. Ich dachte – in meiner Naivität – ich würde etwas Gutes tun, wenn ich anderen dabei half, ihre Probleme zu lösen. Damit ergab sich jedoch nicht nur ein Ungleichgewicht, sondern auch ein Misstrauen, weil meine damalige Gesprächspartnerin weniger über mich wusste als ich über sie. Dies führte dazu, dass sie keine Treffen mehr mit mir wollte. Im Nachhinein weiß ich, dass mein Problem nicht darin bestand, keine Anliegen zu haben. Sondern darin, keine Schwäche zeigen zu können. Wer immer nur hilft, zeigt seinem Gegenüber, wie stark er ist. Er zeigt ihnen aber auch, wie schwach sie selbst sind. Deshalb macht es andere auch stark, wenn wir sie um Hilfe bitten.
3. Organisationskompetenz
Zuguterletzt muss ein großes Netzwerk organisiert werden. Deshalb ist es wichtig, sich bereits beim Aufbau seines Netzwerks klar zu machen, welche Ziele ich verfolge. Die meisten Netzwerker*innen sammeln ihre Kontakte wahllos und wundern sich später, dass sie mit einem wild zusammen gewürfelten Haufen an Menschen nicht viel erreichen. Deshalb verpuffen Anfragen im Netzwerk häufig beziehungsweise funktionieren erst bei einer sehr hohen Anzahl von Kontakten aufgrund der schieren Masse. Sinnvoller ist es, bei einem Anliegen den direkten Kontakt zu suchen oder – wie in Xing – sein Netzwerk in kleine Gruppen zu unterteilen. Und dass Kontakte gepflegt werden müssen, sollte eine Binsenweisheit sein, beispielsweise mit Weihnachts- oder Geburtstagsgrüßen. An der Stelle bin ich persönlich leider oft zu schludrig. Dennoch: „Die beste Zeit einen Baum zu pflanzen war vor zwanzig Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt.“ (Sarah Lesch) Das gilt auch für die Netzwerkpflege. Außer Sie sind bereits 80 Jahre alt. Dann wird die Zeit langsam knapp.
Dieser Artikel wurde in leicht veränderter Form aus dem eBook “Wie kompetent muss ich sein?” (externer Link) entnommen.