Kulturelle Achtsamkeit – Nachdenkliches zur Serie “Die Discounter”

In einer Folge der Serie “Die Discounter” zeigt ein GFK-Trainer (Gewaltfreie Kommunikation) der Belegschaft der Filiale einer Lebensmittelkette in Hamburg Altona, wie eine Kommunikation sowohl mit Kund*innen als auch untereinander wertschätzend ablaufen kann oder besser: sollte. Abgesehen davon, dass in der Kommunikation mit Kund*innen ein vermutlich von den Macher*innen der Serie gewolltes, aber nichtsdestotrotz dickes Missverständnis vorliegt, weil Kund*innen wissen wollen, wo das Olivenöl steht, ohne über ihre Gefühle und Bedürfnisse nachzudenken, ist das Aufeinandertreffen der beiden Kulturen hochgradig amüsant:

  • Auf der einen Seite die Darbietung der “richtigen” Kommunikation durch einen übertrieben sanften Kommunikationstrainer, was allerdings aus meiner Erfahrung in der Realität ab und an durchaus so abläuft. Frei nach Goethe: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt (freie Kommunikation).
  • Auf der anderen Seite eine Unterschicht-Kultur, der es mehr um ein Gerade-so-durchs-Leben-kommen und ansonsten v.a. um Dates und Sex geht.

Kein Wunder, dass die Discounter-Belegschaft das Ganze wenig ernst nimmt. Als der Trainer wieder weg ist, wird der bildhafte Vergleich zwischen einer Kommunikation als Giraffe, die – mit einem großen Herz und einem langen Hals ausgestattet – achtsamer und langsamer auf Kritik reagiert, und Wölfen, die ihr Revier wehrhaft verteidigen, derb durch den Kakao gezogen. Man muss den Macher*innen der Serie attestieren, dass sie wohl durchaus Ahnung von der Materie haben.

Wäre das alles nicht so lustig, könnte einem das Lachen im Hals stecken bleiben. Tatsächlich kämpft insbesondere der Filialleiter fortwährend um sein persönliches Überleben. Macht die Filiale nicht genug Umsatz, könnte er umgehend ausgetauscht werden. Dass vor diesem Hintergrund des dauerhaften Am-Abgrund-Lebens ein (vermutlich) Gstudierter der Belegschaft beibringen will, auf ihre Bedürfnisse und Gefühle zu horchen, ist geradezu zynisch.

Dies soll kein plumpes Verurteilen der GFK sein. Ich arbeite selbst in Kommunikationstrainings mit der GFK. Ein achtsames Kommunizieren beginnt jedoch mit der Kenntnis und Wertschätzung der vorherrschenden Kultur. Und diese Kultur beinhaltet zum einen eine Wertestruktur und zum anderen einen spezifischen Sprachcode.

Es erscheint mir vollkommen legitim, die Kommunikation in einem System – beispielsweise mit Kunden oder untereinander – verbessern zu wollen. Ich sollte jedoch wissen, welche Werte das System prägen. Bei den Discountern sind es v.a. die Werte Ehre, Würde, Loyalität und Solidarität: Zwar kämpft am Ende des Tages jede*r für sich. Dennoch überleben die Kolleg*innen als Schicksalsgemeinschaft notgedrungen nur gemeinsam. Der Sprachcode ist entsprechend rau: Gib dir keine Blöße. Zeig nicht, dass du schwach bist oder leidest. Wer Bedürfnisse offenbart und Gefühle zeigt, verliert seine Ehre und Würde und wird zudem von den anderen ausgelacht und erniedrigt.

Dennoch lässt sich auch im Sprachcode und mit den Werten dieser Kultur die Kommunikation verändern (sofern es notwendig ist). Wer anstatt in einem sanften Ton “ich fühle mich nicht wahrgenommen” in einem kraftvollen Ton “es nervt mich, wenn ihr hinter meinem Rücken über mich ablästert” äußert, kann dennoch anbringen, was ihm unter den Nägeln brennt, ohne sein Gesicht zu verlieren. Ob es allerdings dazu einen externen Trainer braucht, ist eine andere Frage.