Corona hat unsere Einstellung zur digitalen Lehr- und Lernsituationen verändert. Während zu Beginn der Pandemie viel Skepsis auch bezüglich digitalen Coachings vorhanden war, gibt es nun, beinahe zwei Jahre später Erfahrungen, die nahelegen, wie analoge und digitale Coachingsettings sich ideal ergänzen können. Die Vorteile analoger Coachings sind bekannt, insbesondere wenn es um den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses geht. Schauen wir uns daher gleich die Vorteile digitaler Settings an.
Vorteile digitaler Coachings
Der Faktor Zeit:
- Digitale Coachings können flexibiler und spontaner stattfinden. Das erleichtert ein “Coaching on the Job”.
- Auch kürzere Intervalle sind möglich und damit leichter im Arbeitsalltag unterzubringen. Beides schafft eine größere Nachhaltigkeit.
Der Faktor Raum:
- Coachingtermine werden manchmal abgesagt, weil eine Dienstreise dazwischen kommt.
- In Corona-Zeiten kamen Sicherheitsbestimmungen vor Ort dazu.
- Oder ein Mitarbeiter befindet sich im Homeoffice und kann sich dort aufgrund seiner Familiensituation nicht für mehrere Stunden loseisen. Eine digitale Stunde wäre jedoch möglich.
- Zudem können Coaches ihre Coachees im Unternehmen mittels Shadowing digital begleiten, was für manche Mitarbeiter:innen angenehmer als in Präsenz ist. Damit entsteht eine größere Lebensweltorientierung.
- Bei Gruppencoachings ist es außerdem leichter, alle an einen “Bildschirm” zu bekommen.
Der Faktor Geld:
- Digitale Coachings preisgünstiger und zeitsparender und damit auch für mehrere Personen im Unternehmen verfügbar.
Der Faktor Technik
- Viele Coachingstools funktionieren in Präsenz besser. Andere können dafür umso leichter genutzt werden. Es ist erstaunlich, wie schnell beispielsweise eine Gruppenmindmap digital entsteht. Auch digitale Aufzeichnungen zur Aufarbeitung können genutzt werden.
Hybrides Coaching in der Praxis
Ein Coaching besteht grob aus fünf Phasen:
- Die Auftrags- und Themenklärung kann digital oder in Präsenz stattfinden. Bislang passiert dies normalerweise per Telefon, um zu klären, ob ein Auftrag übernommen werden kann. Per Videotelefonie kann bereits hier tiefer eingestiegen werden. Ich persönlich arbeite bei mehreren Themen gerne mit Moderationskarten. In einer digitalen Version kann auch ein digitales Whiteboard oder eine Mindmap eingesetzt werden.
- Der Bindungsaufbau entsteht besser in Präsenz durch die gemeinsame Arbeit an den Themen.
- Weiterentwicklung des Coachees durch Bearbeitung der Themen mit passenden Methoden: In Präsenzsettings kommen bekannte Methoden zum Einsatz, bspw. systemische Aufstellungen mit Holzfiguren oder an der Flipchart. Manche Präsenztools lassen sich auch in digitalen Settings gut einsetzen. Ich habe gute Erfahrungen mit Entspannungsübungen oder mentalen Simulationen zur Entscheidungsfindung aus der hypnosystemischen Arbeit gemacht, die digital sogar teils besser angenommen werden als vor Ort, vermutlich weil die Coachees sich in ihrer eigenen Umgebung besser entspannen können als in einer fremden Praxis. Auch die Arbeit mit Fragen, Skalen, bspw. “Wie gestresst sind Sie auf einer Skala von 1-10?” oder mit Bildkarten ist digital gut möglich. Die Grundregel lautet: Selbstreflexive Themen lassen sich gut per Distanz coachen. Kommunikative Themen, bspw. der eigene Auftritt, Rhetorik, Körpersprache oder Konflikte lassen sich besser in Präsenz coachen.
- Transfer in den Alltag: Hier schlägt die große Stunde des Digitalen. Während in Präsenz der Coach lediglich die Möglichkeit hat Aufträge zu erteilen, bspw. auf die eigene Wahrnehmung oder Körpersprache in einer kritischen Situation im Alltag zu achten, bietet sich nun die Chance, einer flexiblen, digitalen Begleitung. Der Coachee könnte sich also vor einer Situation einen Rat einholen oder die Situation sozusagen brühwarm aufarbeiten, insbesondere wenn ein Präsenztermin nicht so schnell zustande kommen kann. Theoretisch wäre es auch möglich, den Coachee mittels Shadowing digital zu begleiten. Dies muss jedoch mit betroffenen Kolleg:innen gut abgesprochen sein.
- Reflexion und Nacharbeit: Reflexionen können auch digital gut bearbeitet werden, bspw. mit Hilfe von Fragebögen. Als Coach finde ich es seltsam, neben jemandem zu sitzen, der einen Reflexionsbogen ausfüllt. Dies digital auszulagern ist in jedem Fall hilfreich. Sollte es sich um ein abschließendes Reflexionsgespräch handeln, ist es sinnvoll, die in Präsenz stattfinden zu lassen.
Sonderfall Gruppencoachings
Aufgrund der hohen Anforderungen an Körpersprache und systemische Dynamiken ist in Gruppencoachings oder Teambildungen Präsenz immer noch zu bevorzugen. Dennoch können auch hier digitale Settings unterstützend sein, bspw. weil es aktuell nicht anders möglich ist, alle Teilnehmer:innen zusammen zu bringen. Hierzu gibt es bereits gute Erfahrungswerte, den Teilnehmer:innen ähnlich wie in Aufstellungen Rollen zuzuteilen und die restlichen Teilnehmer:innen auf stumm zu schalten und ihre Bilder auszuschalten. An einem Beispiel:
In einem Unternehmen gibt es zwei Teams, die räumlich weit getrennt voneinander arbeiten. Frau Mozart überlegt sich einen Antrag zu stellen, um das Team zu wechseln. Sie hängt an den Kolleg:innen, das andere Team bearbeitet jedoch für sie interessantere Aufgabengebiete. Da ihr aktuelles Team betroffen ist möchte Sie dieses Thema nicht alleine klären und wählt Herrn Wagner entsprechend der systemischen Aufstellung des Tetralemmas für das Eine aus, Frau Bruckner für das Andere, Herrn Schumann für einen Kompromiss, Frau Mahler für Ihre Bedürfnisse und Interessen und Herrn Weber für freie Assoziationen. Alle anderen stellen ihre Mikrofone auf stumm und schalten ihre Videokamera aus. Nun befragt sie die 5 Personen, bspw: Welche Möglichkeiten habe ich?
Herr Wagner sagt: Du kannst in Team A bleiben. Das hätte folgende Vorteile: Du magst die Kolleg:innen. Du weißt was du kannst. Usw.
Frau Bruckner meint: Im Team B gibt es den Reiz des Neuen. Evtl. ist es auch karriereförderlich.
Herr Schumann sagt: Du bleibst in Team A, aber versuchst, im Rahmen deiner Arbeit für dich spannendere Aufgaben zu übernehmen.
Frau Mahler fragt sich, was ihr selbst wichtiger wäre? Bindungen oder Spannung und Karriere? Worum geht es eigentlich im Leben? Was macht mich glücklich und zufrieden?
Herr Weber assoziiert zu dem, was er bislang gehört hat folgende Begriffe: Kontakthaltung, Austausch, Testphase, usw.
Nach einer ersten Statementrunde darf Frau Mozart den 4 Kolleg:innen weitere Fragen stellen.
Dieses Beispiel soll stellvertretend für viele systemische Strukturaufstellungen stehen, die sich gut digital anwenden lassen. Sie können bspw. die PMI-Methode oder in einem Projekt Status Quo, Ziele, Hindernisse und Ressourcen aufstellen.