Gelassenheit vs. Leistung

Eine kleine Anekdote

Als Trainer bin ich häufig unterwegs und muss auch selbst auf eine gute Balance zwischen Aktivität und Pause achten. Mit anderen Worten: 8 Stunden Präsenz ist nicht möglich, wenn ich nicht bewusst zwischendurch einen Gang runter schalte. Manche Teilnehmer/innen meiner Seminare suchen zwar auch den Kontakt zu mir in den Pausen, worauf ich grundsätzlich gerne eingehe. Doch ab und an brauche ich einen Abstand, um später wieder voll präsent sein zu können.

Soweit die Einleitung. Doch nun zur Anekdote: In meinem letzten Seminar hatten mich von 14 Teilnehmer/innen 13 sehr positiv bewertet. Nur eine Person machte ihre Kreuze überraschenderweise sehr weit rechts und bewertete mich als unmotiviert und unengagiert. Nun könnte ich dies als einen einfachen, ein wenig seltsamen, aber vielleicht auch logischen statistischen Ausrutscher abtun. Könnte ich. Spannender wird es allerdings, das ganze zu erklären zu versuchen. Was also ist da passiert?

Gelassenheitsübungen

Seit einiger Zeit vermittle ich nicht nur rein theoretisch, wie wichtig Gelassenheit ist oder auch im Rahmen von Entspannungsübungen ganz praktisch, sondern ebenso dadurch, quasi auf der Metaebene, indem ich in Pausen die Augen schließe, ab und an langsamer rede und ab und an langsamer atme (z.B. bevor ich eine meiner vermeintlich klugen Antworten auf schwierige Fragen gebe).

Augen schließen: Eine Ursache für Anspannung lautet Reizüberflutung. Unser Leben ist voll davon: Werbung, Fernsehen, Handyklingeln, emails, Internet, usw. Um diese Stressquelle abzuschalten, hilft es, einfach mal die Augen zu schließen und sich wieder zu sammeln.

  • Langsamer Reden, langsamer Atmen: Banales Beispiel für die Wirkung des Atmens: Unter Anspannung atmen wir flacher, wenn wir entspannt sind, atmen wir langsamer und tiefer und bekommen damit mehr Sauerstoff. Versuchen Sie einfach 3-5 mal tief ein- und auszuatmen und sagen dabei laut:”Ich bin ja so gestresst!” Funktioniert? Nein, natürlich nicht! Es geht einfach nicht mehr. Fazit: In der nächsten angespannten Situation ein wenig ruhiger atmen, langsamer reden oder auch langsamer laufen. Damit bekommt Ihr Körper ein Gelassenheits-Signal, das ihn dazu veranlasst tatsächlich ruhiger zu werden.
  • Lächeln: ganz ähnlich funktioniert unser Lächeln. Ein System namens facial feedback führt dazu, Dinge ein wenig entspannter zu sehen, wenn Sie lächeln. Normalerweise lächeln Sie, wenn Sie fröhlich sind. Doch wenn Sie so tun, als ob Sie fröhlich wären, bekommt auch hier Ihr Körper ein Gelassenheits-Signal und fühlt sich dadurch schon ein wenig leichter. Dies verändert Ihre Mimik, diese sendet  wiederum Signale nach innen, usw. Sehr erhellend ist dazu auch dieses Video. Hier spielen übrigens unsere Spiegelneuronen einen wichtige Rolle. Anders formuliert: Der Funke springt über. Wenn Sie die Wirkung des Lächelns zuhause ausprobieren wollen (da sieht es ja keiner und ist folglich nicht ganz so peinlich wie im Seminar): Schauen Sie auf Ihre To-Do-Liste und picken sich eine Aufgabe heraus, die Sie schon die ganze letzte Woche über geschoben haben. Nehmen Sie nun einen dünnen Stift in den Mund und beißen leicht etwa 20 Sekunden mit den Schneidezähnen drauf. Damit spannen Sie genau die Muskeln an, die Sie sonst auch zum Lächeln brauchen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich nach und nach Ihre Einstellung zu dieser Aufgabe von “Bloß nicht!” zu “Was soll’s?” verändert. Die große Liebe wird es wahrscheinlich nicht mehr werden. Aber vielleicht sind die inneren Widerstände ein wenig kleiner geworden.

Mit diesen kleinen Kniffen kann Gelassenheit ganz leicht sein. Doch leider wird diese innere Ruhe oft missgedeutet. Für viele Menschen gilt immer noch der Glaubenssatz: Wer gelassen ist, ist weniger leistungsorientiert. Nur wer behauptet, keine Zeit zu haben, gilt in unserer Leistungsgesellschaft als wertvolles Mitglied. Doch wer heute dauerhaft keine Zeit hat, wird irgendwann einmal tatsächlich ein halbes Jahr lang keine Zeit mehr haben – und zwar für gar nichts außer für sich selbst. Mit Gelassenheit erreiche ich jedoch beides: Leistung zeigen und kreativ sein einerseits sowie etwas für mich tun und entspannt sein. Sprich: Ich brauche das eine für das andere, um auch langfristig eine qualitativ hochwertige Arbeit abzuliefern und nebenbei auch noch gute Entscheidungen zu treffen. Erst durch den bewussten Wechsel zwischen Aktivität und Pause ergeben sich auch langfristig erstklassige Ergebnisse. Oder kennen Sie jemanden, der in der Hektik gute Ideen hat oder nachhaltige Entscheidungen treffen kann?

Für manch Andere gilt der Glaubenssatz: Wer lächelt ist arrogant. Vielleicht ist es ja auch eine deutsche Krankheit, während der Arbeit leiden und einen Streit so ernst nehmen zu müssen, dass ein beschwichtigendes Lächeln hierbei nicht erlaubt ist. Wenn Sie schon mal versucht haben, einen Gegner in einem Streit anzulächeln, wissen Sie wahrscheinlich, was ich meine. Eigentlich sollte das Lächeln heißen:”Schau her! Hier sind meine Waffen (die Zähne!). Ich habe nichts zu verbergen. Lass uns das vernünftig (und in Ruhe) regeln!” Ankommen tut allerdings leider oftmals genau das Gegenteil:”Du willst mich wohl provozieren!” Die Lösung dieses Dilemmas lautet: Lächeln Sie leicht für sich, um sich selbst und Ihre Wut ein wenig zu regulieren. Der Grat zwischen einem aggressiven und einem ganz ruhigen offenen Lächeln ist allerdings zugegebenermaßen sehr dünn.

Ich hoffe doch, dass Sie ein wenig Lust bekommen haben, diese kleinen Tricks ab und an auszuprobieren und sich davon hoffentlich nicht von der Meinung anderer abbringen lassen. Natürlich freue ich mich wie immer auf Rückmeldungen und Erfahrungen mit Lächeln, Atmen oder geschlossenen Augen.