Archiv der Kategorie: Teamentwicklung

Handlungsfähig bleiben in der Postmoderne

https://de.freepik.com/autor/pch-vector

1. Die Notwendigkeit einer Festlegung trotz widersprüchlichem Wissen

Der postmoderne Mensch glaubt, Handeln sei eine Funktion von Erkenntnis: Wer die Welt versteht, kann rational entscheiden. In der postmodernen Logik bricht diese Beziehung zusammen. Wissen wird unendlich, Gründe widersprechen sich, Perspektiven sind plural. Was bleibt, ist das Bewusstsein der eigenen Vorläufigkeit und damit eine Lähmung durch zu viel Wissen.

Dieses Phänomen hat vermutlich jede*r schon einmal erfahren: Wissen ist hilfreich, um gute Entscheidungen zu treffen. Doch ab einem bestimmten Punkt ist Wissen nicht mehr hilfreich und führt zu Zweifeln. Ein Beispiel aus der Entscheidungsforschung steht stellvertretend für diesen Effekt: Werden an einem Stand im Supermarkt drei Marmeladensorten zum Probieren angeboten, bleiben dort weniger Menschen stehen als an einem Stand mit sieben Sorten. Der Stand mit den drei Sorten führt allerdings zu mehr Verkäufen. Wie soll man sich auch bei sieben Sorten entscheiden?

Extrapolieren wir dieses Beispiel auf unsere Welt wird klar, dass in der Postmoderne jede Handlung auf unzählige Gründe trifft, die sich gegenseitig neutralisieren. Für alles gibt es ein „Ja, aber“. Jedes Argument ruft sein Gegenargument hervor:

  • Ja, wir sollten Frieden und Diplomatie fördern. Aber versteht Putin nicht nur das Argument der Waffen?
  • Ja, wir sollten Putin mit Waffen bekämpfen. Aber widerspricht das nicht der langfristigen Sehnsucht der meisten Menschen nach einem friedlichen Zusammenleben?

Alles scheint lediglich eine Frage der Verhandlung zu sein. In dieser Lage droht das Subjekt – überinformiert, selbstreflexiv und skeptisch – handlungsunfähig zu werden.

Der Philosoph Slavoj Žižek diagnostiziert genau hier das Paradox der Freiheit: Wir können alles begründen, aber gerade deshalb nichts wirklich tun. Handlungsfähigkeit entsteht, so seine These, nicht durch Wissen, sondern durch eine Setzung. Wir sammeln also nicht Wissen, um darauf aufbauend eine Entscheidung zu treffen. Sondern wir entscheiden uns auf der Basis mangelhaften oder widersprüchlichen Wissens, im vollen Bewusstsein, falsch liegen zu können.

Žižek greift hier auf eine Linie zurück, die von Kierkegaard über Sartre bis Lacan reicht: Der entscheidende Akt ist nicht rational begründet, sondern existentiell. Kierkegaard nannte ihn den „Sprung des Glaubens“, Lacan spricht vom acte, Badiou vom „Treueakt zum Ereignis“. In jedem Fall gilt: Der Moment der Festlegung ist ein Moment des Trotzes: Wir wissen nicht, ob wir richtig liegen, aber tun es dennoch, um uns gegen die Logik der Unsicherheit zu stellen.

Festlegung bedeutet also nicht, zu handeln, weil wir Recht haben, sondern um handlungsfähig zu bleiben. Erst unser Handeln zwingt in einer Kettenreaktion die Festlegung unseres Umfelds, was dem postmodernen Menschen schwer zu fallen scheint, weil er sich damit angreifbar macht. Sie ist jedoch ein zentraler Baustein als Ausweg aus einer postmodernen Beliebigkeit.

2. Formen der Festlegung

In einer pluralen, relativistischen Welt kann Festlegung verschiedene Formen annehmen, die sich nach Motiv und Funktion unterscheiden.

a) Existenzielle Festlegung auf Werte und Haltungen

Der Mensch legt sich fest, um nicht zu zerfallen: „Ich vertraue“, „Ich glaube“, „Und deshalb handle ich“. Solche Entscheidungen sind Akte der Selbstvergewisserung. Ohne sie bleibt das Subjekt ein reflektierendes, aber ohnmächtiges Wesen. Hier geht es nicht um Wahrheit, sondern um Stabilität. Der Akt selbst schafft den Grund, auf dem er steht. In diesem Sinne können wir uns alle festlegen, indem wir sagen: Ich glaube an die Solidarität. Ich vertraue meinen Kolleg*innen. Ich glaube daran, dass ich im Team mehr erreichen kann als alleine. An dieser Stelle finden wir auch unsere Hoffnungen wieder. Obwohl es naiv erscheint, an das Gute im Menschen zu glauben, erscheint es das einzig Sinnvolle zu sein in einer Welt voller Krieg und Hass. Weil wir ansonsten bereits aufgegeben hätten. Andererseits ist das Warten auf eine endgültige Beweisführung, ob der Mensch im Grunde gut oder schlecht ist, ebenfalls naiv, weil es diesen Beleg niemals geben wird. Existenzielle Festlegungen bieten damit einen Ausweg aus dem dialektischen „Sowohl, als auch“.

b) Politische Festlegung auf Meinungen

Neutralität ist feige. Eine politische Festlegung – etwa „Ich setze mich für ein nachhaltiges Wirtschaften ein“ – ist niemals vollständig begründbar, aber sie ist notwendig, weil eine Nicht-Positionierung ebenfalls eine passive Positionierung darstellt, indem die bestehenden Umstände unterstützt werden, ohne zu handeln. Die Festlegung wird zum Akt der Verantwortung und fördert kontroverse Diskussionen.

c) Ironische Übertreibung von Positionen

Gerade im Bewusstsein, dass alles im agilen Fluss ist und sich beständig verändert, kann man sich (temporär) ironisch festlegen: als Spiel, Stil oder Pose. Hier wird die Postmoderne mit ihren eigenen Mitteln überboten. Durch Übertreibung einer Überzeugung wird die Oberflächlichkeit einer ernsthaften und durchaus sinnvollen Ambivalenz als Gesprächsgrundlage entlarvt.

In einer Welt, die aktuell wieder zurück pendelt zu einer strengen, klar hierarchischen Führung, zeigt sich auch die Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Auf der anderen Seite ist es ebenso übertrieben, Mitarbeiter*innen an allem zu beteiligen, so wie es Eltern machen, die ihre Kinder in alle Entscheidungen mit einbeziehen und sie damit überfordern. Beides lässt sich ironisch übertreiben und dadurch bloß stellen:

  • Wenn du hierarchisch führen willst, während deine Mitarbeiter*innen im Homeoffice sitzen: Rufst du dann im 30-Minuten-Takt an und fragst nach Ergebnissen? Es wäre sicherlich auch hilfreich, ihnen Essensvorschläge zu machen, damit ihre Leistung konstant bleibt.
  • Wenn du auf Augenhöhe führen willst: Lässt du dann deine Mitarbeiter*innen abstimmen, welche Kaffeesorte beim nächsten Mal eingekauft werden soll und stellst eine Liste auf, dass alle über das Jahr verteilt gleich oft mit dem Einkaufen dran sind? Wobei eine Liste aufzustellen evtl. schon zu hierarchisch ist. Vielleicht sollten wir erst diskutieren, ob eine Liste das richtige Tool ist?

3. Festlegung als Provokation

In all diesen Formen liegt eine provokative Dimension. Die Festlegung irritiert jene, die im Schwebezustand der Postmoderne verharren wollen. Wer sich festlegt, stört den Diskurs der offenen Möglichkeiten, der oft nichts anderes ist als die Ideologie der Passivität. Eine entschiedene Geste – ethisch, politisch oder ironisch – zwingt andere, Stellung zu beziehen: Bist du dafür oder dagegen?

Vor diesem Hintergrund lassen sich auch manche radikale Aussagen als Einladung zur Selbstpositionierung und Diskussion wahrnehmen. Mir scheint beinahe, Politiker*innen oder allgemein Menschen in der Öffentlichkeit wie Marie Agnes Strack-Zimmermann, Oskar Lafontaine, Sarah Wagenknecht oder Alice Schwarzer hätten Slavoj Zizek gelesen.

Im Gegensatz zur landläufigen Wahrnehmung gerade in gesellschaftlichen Kreisen, denen ein gewaltfreier Diskurs wichtig ist, ist eine Festlegung, wenn sie auf gegenseitigem Respekt basiert, kein Hindernis von, sondern förderlich für Diskussionen. In diesem Sinne stehen Entscheidungen nicht am Ende einer Reflexion, sondern am Anfang:

  1. Individuelle Vor-Reflexion
  2. Provokation durch Festlegung
  3. Respektvoller Austausch
  4. Gemeinsame Entscheidung

Die Führungskraft als Kinobetreiber

Gestern waren meine Frau und ich seit langer Zeit wieder einmal im Kino: „In die Sonne schauen“. Ein großartiger Film. Zweieinhalb Stunden bedrohliche Stimmung mit wenig Handlung. Zuhause auf einem kleinen Bildschirm hätte ich diesen Film vermutlich keine halbe Stunde durchgehalten. Die Bilder erzielen nur auf einer großen Leinwand eine solche Wucht. Und ohne durchgehende Handlung liegt die Versuchung nahe, sich von anderen Dingen ablenken zu lassen.

In solchen Momenten ist das Kino Sinnbild unseres Lebens: Manchmal müssen wir gezwungen sein, nicht aufzustehen und nichts parallel machen zu können – außer Lebkuchen im Kino zu essen und Grüntee zu trinken – um uns einer Sache vollkommen zu widmen.

Führung durch Struktur

Das gleiche gilt in der Arbeit. Als Führungskraft ist es ebenso wichtig, Strukturen herzustellen, die Mitarbeiter*innen dazu bringen, den Fokus zu halten, um Großes zu leisten:

  • Feste individuelle Zeiten einrichten, in denen keine Ablenkungen stattfinden, um ein vertieftes Arbeiten zu ermöglichen.
  • Schutzräume für konzentriertes Arbeiten sichtbar im Kalender verankern.
  • Meetingfreie Tage einrichten.
  • Gemeinsame „Kino-Momente“ schaffen mit Meetings ohne Handys.
  • Ähnlich wie in agilen Settings ritualisierte Arbeitsphasen schaffen, um die Arbeitszeit besser einzuteilen.
  • Regelmäßige Retrospektiven zu Kommunikation und Fokus im Team durchführen.
  • Diese Fokus- und Schutzräume vom Team selbst stetig weiterentwickeln lassen, um das Bewusstsein für die Wirkung an einem vertieften Arbeiten zu erhöhen. Dazu lässt sich als Guide folgende Business Model Canvas einsetzen:

Mehr Resonanz statt Sinn

Dadurch zeigt sich auch, dass Aufmerksamkeit entweder durch Sinnhaftigkeit (Handlung –> Ziel) oder Resonanz (Stimmung –> Spannung) erzeugt wird.

In einer Welt, die viele Menschen als absurd und sinnlos empfinden (Kriege, Bürokratie, zunehmende Armut durch Inflation, etc.) scheint mir eine Führung über Stimmung und Resonanz immer wichtiger zu werden. Im Sinne von: Wir wissen zwar nicht, ob das, was wir tun, einen Sinn ergibt. Aber wenigstens arbeiten wir gerne zusammen.

Führungskräfte als Hoffnungsträger*innen

https://de.freepik.com/autor/freepik

Oft denken wir bei Hoffnungsträger*innen an gesellschafts-politische Akteure wie Ghandi oder Mandela, die mit extremer Geduld und Beharrlichkeit an ihrer Utopie von einer besseren Welt festhielten, an Willy Brandt und seinen Kniefall in Warschau oder an Marion Gräfin Dönhoff als moralisch-politisches Gewissen der Nachkriegszeit. In neuerer Zeit gilt Heidi Reichinek vielen Menschen aus dem linken Spektrum als Hoffnungsträgerin. Gerade weil sie sich mit ihrem Engagement auf der politischen Gegenseite unbeliebt macht, wird sie zu einer Hoffnungsträger*in, getreu dem Wahlspruch nach Georg von Frundsberg: Viel Feind’, viel Ehr’.

Hoffnungsträger*innen sind Personen, die in ihrem Denken, Handeln oder Dasein eine Perspektive auf eine bessere Zukunft verkörpern. Sie sind Träger von Hoffnung, weil sie Mut machen, Wandel möglich erscheinen lassen und oft über ihre eigenen Interessen hinaus wirken. Sie übernehmen Verantwortung, setzen sich für Veränderung ein und werden von anderen als Symbol für eine mögliche positive Entwicklung gesehen – selbst oder gerade dann, wenn die Umstände widrig sind.

Merkmale von Hoffnungsträger*innen:

  • Inspirierende Vision: Sie haben ein klares Bild davon, wie etwas besser sein könnte und inspirieren damit andere Menschen.
  • Beharrliches Engagement: Sie handeln aktiv, trotz Risiken oder Widerständen. Sie handeln jedoch nicht im Hauruck-Verfahren, sondern bringen eine Menge Geduld mit, um Ziele zu erreichen.
  • Glaubwürdiger Verzicht: Sie nehmen Nachteile in Kauf, weil sie an ihre Sache glauben. Ihr Einsatz ist dabei authentisch motiviert, weil es sich um einen wirklichen Verzicht und nicht um eine Show handelt.

Die meisten Führungskräfte aus meinen Seminaren würden sich vermutlich nicht als Hoffnungsträger*innen bezeichnen. Dennoch passt die obige Beschreibung sehr gut auf gerade die Menschen, die nicht nur täglich ihren Job machen und die Zeit bis zur Rente aussitzen, sondern in ihrem Umfeld etwas bewegen wollen, regelmäßig über eigene Grenzen gehen und dabei persönliche Nachteile in Kauf nehmen, weil sie an etwas glauben.

Dieser Einsatz ist im Grunde immer mit persönlichen Nachteilen verbunden:

  • Eigene Hobbys oder die Familie müssen oft zurückstecken, wenn Überstunden gemacht werden, während der Rest der Mitarbeiter*innen pünktlich nach Hause geht.
  • Der Kampf gegen bürokratische Windmühlen reibt langfristig auf. Dennoch ist Aufgeben keine Option.
  • Die Belegschaft ist oft unzufrieden und undankbar.
  • Bei den eigenen Chef*innen macht man sich auch nicht unbedingt immer beliebt mit eigenen Ideen für eine bessere Zukunft.

All das kostet Energie, wodurch bei nicht wenigen die Frage aufkommt: Warum tue ich mir das an?

Ja! Warum eigentlich? Und wofür? Vielleicht, weil manche Menschen den inneren Impuls spüren nicht anders zu können, als voran zu gehen. Weil sie es nicht aushalten, nur daneben zu stehen, während andere sich engagieren oder der Karren im Dreck stecken bleibt.

Es wäre angebracht, all diesen Menschen dort draußen, die mehr machen als zwingend nötig wäre, (mehr als) einmal Danke zu sagen. Denn diese Menschen verteilen oft viel Lob an andere, bekommen jedoch ihrerseits oft wenig zurück, was nicht selten nach Jahrzehnten zur Resignation führt. In den letzten etwa 15 Jahren durfte ich von dieser besonderen Spezies Mensch sehr viele davon in meinen Seminaren und Coachings kennen lernen. All diese Führungskräfte sind für mich die heimlichen Hoffnungsträger*innen unserer Welt.

Hoffnungen fördern eine emotionale Motivation

Hoffnungen sollten nicht illusorisch sein. Dennoch sind sie meist utopisch im Sinne einer schwer zu erreichenden, weit in der Zukunft liegenden Erfüllung. Utopien wiederum würden wir, gerade weil sie schwer zu erreichen sind, niemals anstreben, wenn sie uns nicht wirklich wichtig wären, egal ob es sich dabei um eine gerechte Bezahlung handelt, Gesundheit am Arbeitsplatz oder mehr Mitarbeiterbeteiligung. Von daher sind viel mehr unserer Bestrebungen im Grunde utopisch: Wir werden es vermutlich niemals erreichen, dass es vollkommen gerecht zugeht, streben dieses Zukunftsszenario aber dennoch an.

Im Gegensatz zu Projekt- oder Unternehmenszielen sind diese Szenarien allerdings mit mehr Sinn aufgeladen und lassen sich daher auch stärker als Motivationsfaktor in Unternehmen einsetzen. Es ist ganz simpel: Ob ein Unternehmen Marktführer in einem bestimmten Segment wird, hat für Mitarbeiter*innen die praktische Konsequenz, dass damit ihr Arbeitsplatz vermutlich gesichert ist. Ein gesundes und faires Unternehmen, das auf Nachhaltigkeit setzt und seine Mitarbeiter*innen in Entscheidungsprozessen beteiligt ist eine Utopie, die weniger auf die Sicherheit der Mitarbeiter*innen abzielt, sondern auf ein emotionales Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wirkt auf eine emotionale Weise verbindend und damit auch bindend.

Die Tatsache, dass eine Utopie niemals in Gänze erreicht wird, spielt zusätzlich der menschlichen Psyche in die Hände. Nach dem Erreichen eines Ziels fallen Menschen oft in ein kleines oder größeres Loch. Utopien bieten die Möglichkeit, die Energie aufrecht zu erhalten und trotz Widerständen und Rückschlägen weiter zu machen.

Zur Aufrechterhaltung der Motivation, insbesondere in turbulenten Zeiten sind daher sowohl optimistische Ziele als auch hoffnungsvolle Utopien wichtig:

Was sich vom Deutschen Basketballteam für den Umgang mit schwierigen Situationen lernen lässt

Die Spiele der deutschen Basketballer gegen Slowenien und die Türkei waren für mich als Zuschauer ein echter Nerventest. Beide Male lagen sie lange Zeit hinten, spielten geduldig weiter, warteten auf ihre Chance und gaben die Hoffnung auf einen Sieg niemals auf.

Daraus lässt sich eine Menge für alle Teams lernen, die sich dauerhaft an der Belastungsgrenze befinden. Neben einem realistischen Optimismus, der zeigt, was machbar ist, braucht es insbesondere in Krisen zusätzlich die Hoffnung auf eine Wende. Als letzter Funken Rest-Optimismus sorgt die Hoffnung dafür, dass Teams trotz hoher Belastungen weitermachen, auch wenn Verbesserungen nicht direkt in Aussicht sind. Neben den Merkmalen der Hoffnung als Haltungen der Ausdauer, Beharrlichkeit, Geduld, Durchhaltevermögen und Vertrauen auf zukünftige Verbesserungen, zeigt sich an der deutschen Basketballmannschaft das Element der Wachsamkeit. Es geht insbesondere in Krisen eben nicht darum, lediglich durchzuhalten und auf bessere Zeiten zu hoffen, sondern auch darum, Chancen zu nutzen, wenn sie sich bieten.

Das bedeutet im Einzelnen:

1. Beharrlichkeit als kollektive Resilienz

  • Dass das Team in beiden Spielen lange im Rückstand lag, deutet darauf hin, dass sie nicht gleich das perfekte Rezept gegen die Gegner gefunden haben, so wie auch andere Teams oft nicht wissen, wie am besten mit schwierigen Zeiten umzugehen ist. Solche Rückstände über lange Zeiträume bzw. Dauerbelastungen können Teams mental zermürben. Dass die deutsche Mannschaft dagegen geduldig bleibt, ist ein Zeichen kollektiver Resilienz.
  • Sie vertraute auf das eigene Können anstatt aufzugeben. Damit richtete sie den Blick mehr nach innen als nach außen. Auch wenn ein Feedback von außen wichtig ist, um dazu zu lernen, ist es gerade in schwierigen Zeiten wichtig, sich auf die eigenen Stärken zu fokussieren. Dennis Schröder meinte als Reaktion auf die Provokationen des türkischen Trainers in einem Interview sinngemäß: Uns ist egal, was er sagt. Wir konzentrieren uns auf unser Spiel.
  • Damit der Blick nach außen nicht verloren geht, brauchen Teams unter hohen Anforderungen ein sogenanntes „Growth Mindset“. Rückstände bzw. ein Scheitern werden nicht als endgültige Katastrophe wahrgenommen, sondern als Herausforderung bzw. temporäre Verluste. Daran gilt es zu wachsen.
  • Diese Beharrlichkeit, Ausdauer und Geduld sind beinahe schon trotzig, als wollte das deutsche Basketballteam signalisieren: Auch wenn wir 12 Punkte hinten liegen, lassen wir uns nicht abschütteln. Das wiederum kann irgendwann einmal den Gegner zermürben, ähnlich einem Rennradfahrer, der bis kurz vor Schluss im Windschatten bleibt und erst am Ende zum Sprint ansetzt. Deshalb kann sich der Gegner niemals sicher sein. Zwar gibt es in der Arbeitswelt weniger konkrete Gegner. Dennoch lässt sich diese Mentalität des Dranbleibens auch hier anwenden: „Bürokratie, du kannst mich mal! Ich lass mich von dir doch nicht fertig machen!“

2. Wachsam bleiben und Chancen mutig nutzen

  • In Krisenzeiten steigt der Druck, was häufig zu einem übertriebenen Pragmatismus führt: Man hält sich gerade noch über Wasser. Dass die deutschen Basketballer gerade dann aufdrehten, zeigt nicht nur eine hohe Stresstoleranz, sondern auch – verbunden mit dem Vertrauen auf die eigenen Stärken – den Mut, im richtigen Moment das Richtige zu tun. Dadurch entstanden mehrere Drei-Punkte-Würfe, um sich letztlich im richtigen Moment abzusetzen.
  • Das spricht für klar verteilte Rollen im Team. Jeder weiß, wofür er zuständig ist und Verantwortung übernehmen sollte: Ruhe und Stabilität, Verteidigung, Aufbau, Korbspieler, Dreier und zur Not auch ein taktisches Foul. Durch dieses tiefe Vertrauen zueinander wird insbesondere in Durststrecken wertvolle Energie gespart: Das Team versteht sich blind und funktioniert ohne Nachzudenken.

3. Hoffnung als gemeinsamer Leitstern

  • Beim Team der deutschen Basketballer wirkt Hoffnung ansteckend: Einzelne Akte wie ein erfolgreicher Dreier oder eine erfolgreiche Abwehr werden als Zeichen des Aufwärtstrends bejubelt, um den Glauben aller zu verstärken.
  • Dadurch ergibt sich ein aktives Gefühl der Verbundenheit. Jeder Spieler erlebt, dass der andere kämpft. Das Team wird dadurch zu einem Bündnis vieler Hoffnungsträger, die füreinander als Vorbild zu Hoffnungsquellen werden. Der Sieg wird damit nicht einzelnen Personen überlassen, die bitteschön die Fahne hochhalten sollen, sondern ist eine logische Folge der kollektiven Überzeugung an die eigenen Stärken. Ein solches Teamgefüge können sich Führungskräfte nur wünschen. Letztlich geht es hier um die simple, aber kraftvolle Aussage John F. Kennedys bei seiner Antrittsrede 1961 als Präsident der Vereinigten Staaten: „Ask not, what your country can do for you. Ask, what you can do for your country.“

Das deutsche Team zeigte ein seltenes Zusammenspiel aus Resilienz als Durchhaltevermögen, Wachsamkeit bei der Chancenverwertung und kollektiver Hoffnung trotz dauerhaftem Rückstand. Dadurch schaffte es das Team dran zu bleiben, sich nicht abschütteln zu lassen und an Rückständen zu wachsen. Genau diese Mischung wirkt nicht nur nach innen stabilisierend, sondern erzeugt nach außen eine fast schon einschüchternde Wirkung.

Ein Schnell-Check für Ihr Team

Auch wenn alle drei Faktoren komplex sind, lässt sich damit ein Schnell-Check für Teams zum Umgang mit dauerhaft schwierigen Situationen durchführen:

  1. Beharrliche Resilienz: Halten wir durch, erst recht, wenn es länger dauert?
  2. Wachsame Chancennutzung: Halten wir nicht nur durch, sondern sind mutig genug, sich ergebende Chancen gezielt zu nutzen, um langfristig Verbesserungen zu fördern?
  3. Hoffnung als kollektive Überzeugung: Sind wir überzeugt davon, es zu schaffen, auch wenn vieles dagegen spricht, weil wir an unsere eigenen Stärken glauben?

Praxistipp:

Nutzen Sie die Kreis-Grafik, um Ihr Team selbst einschätzen zu lassen, wo es aktuell steht und was alle dafür tun können, um sich resilienter aufzustellen:

Literatur:

Michael Hübler – Hoffnung! Die unterschätzte Führungsstärke für turbulente Zeiten