Archiv der Kategorie: Führung und Kommunikation

Ein ehrlicher Umgang mit Veränderungen

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Wie oft befinden wir uns in diesem großen Als-ob-Spiel? Wir tun so, als würden wir genau wissen, was zu tun ist. Die Mitarbeiter*innen wissen im Rahmen von Ankündigungen großer Veränderungen natürlich, dass das nicht stimmt, weil die Erfahrung oft genug zeigte, dass es anders kam. Und wenn das dann passierte, wird es nicht heißen: Wir haben gelogen. Oder: Wir wussten es nicht besser. Sondern: Wir mussten reagieren. Oder: Wir haben schnell gelernt. Wenn uns das nicht an die Politik der letzten Jahre erinnert?

Doch die meisten Mitarbeiter*innen spielen trotz besseren Wissens dieses Spiel mit. Entweder weil sie davon ausgehen, dass es ohnehin nichts bringen würde, Kritik zu üben. Oder weil sie bereits aufgegeben haben. Oder weil es zu anstrengend ist. Sie konzentrieren sich auf ihr Alltagsgeschäft und blenden den Rest aus. Der kleine Rest, der Kritik über, gilt als Pessimist und Querulant.

Wie sagt der Kabarett-Comedian Till Reiners so treffend: „Die Wahrheit ist wie ein entfernter Verwandter. Schon nett, muss jetzt aber nicht jeden Tag sein.“

Ginge das nicht anders? Irgendwie würdevoller. Wie wäre es damit:

„Die Fakten sind uns wohl allen weitgehend bekannt. Klar ist auch, dass wir handeln müssen. Denn, wenn wir jetzt nicht handeln, verpassen wir Chancen, den Anschluss an die Konkurrenz, was auch immer. Wir könnten jetzt so tun, als ob wir genau wüssten, was zu tun ist. Das wäre jedoch gelogen. Wir schiffen sicherlich nicht im Trüben. Wir rechnen mit Wahrscheinlichkeiten. Wir sichern uns ab. Wir lassen uns beraten. Und wir bringen eine Menge Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten mit. Dennoch wissen wir nicht zu 100%, ob das, was wir heute tun, genau zu dem führt, was wir uns erhoffen. Es bleibt also immer ein wenig wackelig. Ich würde es mir anders wünschen. Oder auch nicht: Denn dann würden wir in einem Determinismus leben, der das Leben letztlich langweilig macht. Ist es nicht so? Wir heiraten, bekommen Kinder, erlernen einen Beruf und wünschen uns, dass alles so wird, wie wir uns das immer erträumt haben … Und dann kommt es doch anders. Wir merken nach einigen Jahren, dass unser*e Partner*in eigene Wünsche hat, die nicht mehr zu unseren passen, dass unsere Kinder Schulprobleme haben, dass unser Beruf unsere Neigungen weniger trifft, als wir uns das im Studium oder unserer Ausbildung dachten. Was also tun? Würden wir mit dem Wissen in ein paar Jahren heute anders handeln, um vielleicht anders enttäuscht zu werden? Wir hätten dann nicht geheiratet und keine Kinder und wüssten nicht einmal, was wir verpassen. Und wir hätten einen anderen Job, der sich ebenfalls als schwierig herausstellt. Wer die Bremsen an seinem Fahrrad repariert, weiß, was er tun muss, damit es später funktioniert. Komplexe Entscheidungen, insbesondere, wenn sie viele Menschen betreffen, sind immer unsicher. Wir werden nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Dennoch geht es letztlich nicht nur darum, was wir heute entscheiden, sondern auch darum, wie wir uns gemeinsam auf diese Entscheidung einlassen und mit allen Folgen dieser Richtungsentscheidung umgehen, v.a. wenn wir später Anpassungen vornehmen müssen. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir gemeinsam einen guten Weg für die Zukunft einschlagen, mit dem wir alle – trotz Unsicherheit – gut leben können.“

Gruppenbildungsprozesse in Zeiten hoher Fluktuation

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Das Problem: Eine hohe Fluktuation verhindert die Teamentwicklung

Traditionelle Teambildungsprozesse gehen davon aus, dass Teams nacheinander bestimmte Phasen ablaufen. Das passt jedoch nicht mehr zu den aktuellen Herausforderungen, die eine hohe Fluktuation mit sich bringt.

Klassische Phasenkonzepte

Klassische Teambildungsprozesse gehen meist von einem Phasenplan aus, der mehr oder weniger stringent ablaufen sollte. Das gängigste Modell stammt von Bruce Tuckman mit den Phasen:

  1. Forming: Die Gruppe kommt zusammen.
  2. Storming: Einzelne in der Gruppe streiten sich um die Vormachtstellung.
  3. Norming: Regeln dämmen die größten Kämpfe ein.
  4. Performing: Die Gruppe ist arbeitsfähig.
  5. Re-Forming: Die Gruppe löst sich auf bzw. wird neu formiert.

Das Problem am Phasenmodell von Tuckman ist jedoch nicht nur der stringente Ansatz, sondern die Maxime, dass Gruppen erst dann arbeitsfähig sind, wenn sie die Stormingphase hinter sich gebracht haben. Ich hatte in meiner Mediations- und Teamentwicklungspraxis tatsächlich Teams, die sich auf einer oberflächlichen Ebene einig waren, jedoch kaum einen Sturm überstanden hätten. Doch solange alles in geregelten Bahnen ablief, waren sie durchaus arbeitsfähig. Damit verändern sich jedoch die Phasen in der Praxis:

  1. Forming: Die Gruppe kommt zusammen.
  2. Norming: Regeln dämmen die größten Kämpfe ein, bspw. mit Hilfe meines 4R-Konzepts, siehe unten.
  3. Performing: Die Gruppe ist arbeitsfähig.
  4. Storming: In Krisenzeiten kann es sinnvoll sein, die Stormingphase nachzuholen.
  5. Re-Forming: Es kann aber auch sein, dass die Gruppe sich zuvor bereits auflöste. Derzeit besteht insbesondere bei jüngeren Menschen ohnehin die Tendenz, sich bei aufkommenden Problemen umzuorientieren, v.a. weil der Markt aufgrund des Personalmangels einen Wechsel erleichtert.

Das weniger bekannte Konzept von Helga Belz kommt dem entgegen und präsentiert entsprechend einen individuelleren Ansatz:

  1. Orientierungsphase: Die Gruppe lernt sich kennen: Wer sind die anderen?
  2. Motivationsphase: Der persönliche Bezug jedes einzelnen Mitglieds wird hergestellt: Warum bin ich hier?
  3. Initiativphase: Das persönliche Engagement steht im Vordergrund: Was will ich hier erreichen?
  4. Konfrontationsphase: Die Gruppe wird mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Anliegen und Zielen konfrontiert: Widersprechen sich die jeweiligen Anliegen?
  5. Kooperationsphase: Die Gruppe realisiert, dass sie nur gemeinsam weiterkommt: Was müssen wir tun, damit wir gemeinsam arbeitsfähig sind?

Auch wenn hier die Kooperation ähnlich wie bei Tucker nach der Konfrontation stattfindet, wird zumindest das Individuum stärker betont.

Die Lösung: Team versus Arbeitsgruppe

Die Lösung des Problems der Teambildung besteht in einer klaren Abgrenzung zwischen Team und Arbeitsgruppe. Ein Team, bspw. ein Projektteam, ist abhängiger voneinander als eine Arbeitsgruppe. Ein Team arbeitet nicht nur fachlich zusammen, sondern braucht für gemeinsame kreative Prozesse das gegenseitige Vertrauen, offen und ehrlich mit Feedback umzugehen. Hier ist es unerlässlich, die Storming- oder Konfrontationsphase durchzumachen.

Für reine Arbeitsgruppen jedoch reichen drei Phasen der Zusammenarbeit aus:

  1. Motivationsphase: Was trägst du persönlich zum Unternehmenserfolg bei? Welche fachlichen Kompetenzen bringst du dafür mit? Welche Weiterbildungen strebst du an?
  2. Austauschphase: Was fehlt dir an Kompetenzen? Was erwartest du von anderen, um deine Fähigkeiten zu ergänzen?
  3. Kooperationsphase: Welche Richtlinien, Regeln, Rituale und Rollen (4R) helfen uns, um reibungsfrei zusammen zu arbeiten?

Das 4R-System: Richtlinien, Regeln, Rituale und Rollen

Gerade in einer hybriden Zusammenarbeit braucht die Zusammenarbeit eine klare Struktur. Mögliche Rollen in Meetings können sein:

Hilfreiche Richtlinien in der digitalen Welt:

  • Ergebnisse sind wichtiger als Wege.
  • Chatten zur Bindung ist erwünscht.
  • Rückrufe sollten innerhalb … stattfinden.
  • Onlinemeetings sollten max … Minuten dauern.
  • Sachliche Themen lassen sich effizient in Onlinemeetings besprechen. Für emotionale Themen braucht es Präsenzbesprechungen.
  • Die Einarbeitungszeit findet weitgehend in Präsenz statt.
  • Die Kamera sind in Onlinemeetings an. Ausnahme: Datenschutz

Hilfreiche Regeln in der digitalen Welt:

  • Vor jeder Entscheidung stelle ich mir die Frage, wer davon betroffen ist.
  • Unsere verbindliche Kernzeiten & Erreichbarkeiten lauten: …
  • Ich schalte das Telefon um, wenn ich im Homeoffice bin.
  • Missverständnisse werden frühzeitig in Präsenz oder per Telefon geklärt.
  • Wer krank ist, arbeitet auch nicht im Homeoffice.
  • Aufgabenbewältigung geht vor Homeoffice.
  • Nach 20 Uhr werden keine eMails mehr verschickt bzw. bearbeitet.
  • Wochenende ist Wochenende.

Hilfreiche Rituale in der digitalen Welt:

  • Regelmäßige Feedbackgespräche (Debriefings) zwischen Teamleitung und Mitarbeiter*innen zur Kontaktpflege
  • Monatliche verpflichtende Aktionstage
  • Regelmäßige (freiwillige) Teamevents
  • Regelmäßige Präsenzbesprechungen

Das Fazit

Viele Trainer- und Teamentwickler*innen hängen aus meiner Sicht noch der „reinen Lehre“ der Phasenmodelle an. Die aktuelle Entwicklung einer hohen Fluktuation macht solche Phasen jedoch beinahe unmöglich. Hinzu kommt die Zusammenarbeit in einer hybriden Welt. Deshalb braucht es heutzutage andere Konzepte und die Akzeptanz, dass viele vermeintliche Teams nicht unbedingt eine Stormingphase brauchen, um gut zusammenzuarbeiten.

Unabdingbar sind jedoch:

1. Motivation: Das persönliche Bekenntnis, Engagement zu zeigen und seine Ziele transparent zu machen bzw. sich offen zu den Unternehmens- bzw. Gruppenzielen zu bekennen, bereitet den späteren Austausch vor.

2. Austausch: Ein sachlicher und fachlicher Austausch über die eigenen Ziele und Kompetenzen schafft Vertrauen. Der Austausch darüber, welche Kompetenzen andere Kolleg*innen mitbringen und inwiefern dies die Zusammenarbeitenden insgesamt ergänzt, um gemeinsame Ziele zu erreichen, zeigt den Respekt voreinander und erhöht zusätzlich das Vertrauen zueinander. Die Maxime lautet: Ein modernes Wissensmanagement orientiert sich an fachlichen Kompetenzen und ist unabhängig von Sympathie.

3. Struktur: In einer Welt, in der Bindung immer schwieriger herzustellen ist, braucht es klare Strukturen aus Richtlinien, Regeln, Ritualen und Rollen, auf die sich alle in der Gruppe einigen und verlassen können.

Anlage: Ein Gruppenbildungsprozess in Zeiten hoher Fluktuation mit detaillierten Fragen

Jetzt hör mir doch mal zu!

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Die meisten von uns werden vermutlich von sich behaupten, dass Sie gut zuhören können. Dabei ist richtig gutes Zuhören auch für mich als professionell geschulter Coach nicht immer einfach. Ich ertappe mich selbst regelmäßig dabei, dass ich zu schnell denke und antworte und dabei ein echtes, empathisches Zuhören bisweilen auf der Strecke bleibt. In diesen Momenten bekommt offensichtlich der Trainer in mir Oberhand, während der Coach ein Mittagsschläfchen hält. Zudem gibt es ja auch so viele Gründe gegen ein offenes und geduldiges Zuhören:

  • Unser Gegenüber ist stur, dominant und egoistisch, will sich ohnehin nichts sagen lassen und sucht auch nicht nach Lösungen, sondern will nur seinen Frust loswerden.
  • Unser Gegenüber hört selbst nicht zu oder hat mal wieder vergessen, was wir vereinbart haben.
  • Unser Gegenüber ist überempfindlich. Das nervt.
  • Unser Gegenüber ist naiv und uninformiert. Wir leben anscheinend auf verschiedenen Planeten.
  • Unser Gegenüber kommt immer wieder mit den gleichen Themen und entwickelt sich keinen Schritt weiter.
  • Und schließlich haben wir oft auch keine Zeit bzw. sind uns andere Dinge wichtiger.
  • Bitte hier gedanklich eigenes Lieblingszuhörhindernis einfügen.

Das mag alles richtig sein. Dennoch gibt es immer wieder Situationen, in denen ein gutes Zuhören zu einer Deeskalation führt und oft auch zu Lösungen. Und vielleicht ist Ihr Gegenüber so stur und egoistisch, weil ihm oder ihr noch nie jemand richtig zuhörte. Dies gilt insbesondere für schwierige Mitarbeiter*innen, die ich geerbte Fälle nenne.

Ein Zuhör-Test

Ob Sie wirklich gut zuhören können, lässt sich leicht testen: Können Sie gut zuhören?

5 Möglichkeiten zu reagieren

Letztlich gibt es in Gesprächen fünf typische Reaktionen (es gibt natürlich mehr, bspw. das Ironisieren, aber diese 5 sind am häufigsten vertreten):

  1. Ein Ratschlag: Probier doch mal …
  2. Kritik: Das musste ja passieren, weil …
  3. Ein Vergleich: Das ist mir neulich auch passiert.
  4. Empathie: Das ist schlimm. Ich verstehe, dass …
  5. Interesse: Wie geht es dir damit?

Sie können sich folglich in der nächsten Zuhör-Situation selbstkritisch die Frage stellen: Höre ich wirklich zu? Habe ich wirklich verstanden, um was es meinem Gegenüber geht? Zeige ich ein echtes Interesse an meinem Gegenüber? Oder gebe ich vorschnell Ratschläge, lenke ab oder bewerte mein Gegenüber?

Führungskräfte zwischen Nähe und Distanz zu ihrem Team

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Die Führungskraft zeigt Stärke

Führung ist ein einsames Geschäft. Als Führungskraft bin ich zugleich Teil einer Gruppe und auch wieder nicht. Als Führungskraft muss ich es aushalten können, mich unbeliebt zu machen. Systemisch bedingt muss ich den Spagat schaffen zwischen …

  • vor meinem Team einen klaren Standpunkt einzunehmen und damit auch mal anzuecken und …
  • dennoch Verständnis für die Sorgen und Nöte meiner Leute haben.

Dies ist wichtig, weil ich mich als Person zeigen muss, die Widerstände aushält. An der Oberfläche brodelt es deshalb. Doch unter der Oberfläche kommt bei den Mitarbeiter*innen das Signal an: „Meine Führungskraft steht zu ihrem Wort. Sie ist auch bei Gegenwind standhaft. Und das nicht nur bei uns, sondern auch wenn sie dort draußen für unsere Belange einsteht.“

Deshalb ist eine zu große Gleichheit Unsinn. Führung bleibt Führung. In diesem Sinne ist Führung immer auch ein Bollwerk gegen die Welt dort draußen, ähnlich der Rolle eines Scrummasters.

Führung ist (verantwortungs-)bewusste Autorität

Diese Ungleichheit zu ignorieren wie es bei einer propagierten Führung auf Augenhöhe teilweise geschieht wäre naiv. Auch wenn jüngere Menschen eine Führung „zum Anfassen“ will, eine Führung, die nahbar ist und authentisch, heißt das noch lange nicht, dass Führung im Team aufgeht. Denn eine Führungskraft weiß immer mehr als ihre Mitarbeiter*innen. Sie sitzt in anderen Gremien als ihre Leute. Sie wird bei Veränderungen früher informiert. Und neben dieser Wissensmacht verfügt sie zudem über Weisungsbefugnisse und damit über eine Macht, mit der sie verantwortungsbewusst umgehen sollte.

Teil des Teams sein

Schauen wir uns nach diesen Grenzen der Gleichheit noch die Aspekte an, mit denen moderne Führungskräfte nahbarer und damit ein authentischer Teil eines Teams werden:

  1. Mitarbeiten mit Metasicht: Die einfachste Möglichkeit Teil des Teams zu sein ist die direkte Mitarbeit. Führungskräfte zeigen damit, dass sie sich nicht für etwas Besseres halten und bspw. in Krisenzeiten mit anpacken, anstatt sich vor der Front zu drücken. Die Kriegsmetapher zeigt deutlich voraus es ankommt: An der Front wird gekämpft, während die Generäle sich aus sicherer Entfernung um Strategien kümmern, für die sie selbst jedoch nicht mit ihrem Leben einstehen müssen. Dennoch darf das Mitmachen nicht dauerhaft auf Kosten der eigentlichen Führungsaufgaben gehen. Als Führungskraft kann ich jedoch auch beim Mitarbeiten ein Auge auf Anleitungen, Verbesserungen oder die Kommunikation haben. Selbst beim Mitarbeiten bleibe ich Führungskraft.
  2. Optimistische Anteilnahme: Für die Anteilnahme gilt: Mitfühlen ja – Mitleiden nein. Ich muss nicht für jedes Jammern und Nörgeln Verständnis haben. Zumal Jammern und Nörgeln ab und an zum Handwerk gehört. Wer jammert und nörgelt bekommt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern vermindert evtl. die eigene Arbeitslast. Aber ich sollte als Führungskraft zumindest versuchen, die Belange, Sorgen und das Leiden meiner Leute zu verstehen. In diesem Sinne gibt es immer zwei Schichten der Kommunikation: Auf das oberflächliche Jammern und Nörgeln muss ich nicht unbedingt eingehen. Ich sollte jedoch hinter die Fassade blicken, um zu erkennen, worum es wirklich geht. Und vielleicht geht es um eine berechtigte Kritik, der ich mich annehmen sollte. Gleichzeitig verlangt es die Rolle einer Führungskraft, immer ein wenig optimistischer zu sein als das Team oder einzelne Teammitglieder.
  3. Involviertheit und Betroffenheit: Die Steigerung der Anteilnahme ist Involviertheit. Während Anteilnahme aus einer Position der Distanzierung erfolgen kann, bin ich als Führungskraft in den meisten Situationen auch selbst betroffen, selbst wenn ich eine andere Perspektive einnehme. Veränderungsprozesse haben auch auf mich Auswirkungen. Auch ich ärgere mich über die hohe Fluktuation oder Dauerbelastungen. Auch mich frustrieren manche Kundenwünsche. Auch ich bin von den Entscheidungen der oberen Führungsetagen abhängig. Auch ich komme mit meinen Wünschen (für das Team) nicht immer durch. Auch mein Job ist evtl. unsicher. Ich könnte also gar nicht so tun, als würde mich das alles nichts angehen. Dennoch gilt hier umso mehr: Als Führungskraft kann ich es mir nicht leisten, zu involviert zu sein, weil ich ansonsten meine Vermittlungsposition zwischen Team und höheren Hierarchieebenen verlieren würde.
  4. Bewusste Selbstoffenbarung: Eine Führungskraft, die sich komplett selbstoffenbart ist keine gute Führungskraft. Kein*e Mitarbeiter*in will hören, wie schlecht es ihrer Führungskraft geht oder dass sie neulich ein Kind verloren hat (Originalgeschichte aus einem meiner Seminare). Ich sollte deshalb als Führungskraft meine Selbstoffenbarungen im Sinne einer bewussten Vorbildfunktion einsetzen. Ich kann bspw. offen mit eigenen Fehlern umgehen. Oder ich kann meine Mitarbeiter*innen dazu einladen, mir ein offenes Feedback zu geben. Ich kann humorvoll sein oder auch mal zugeben, dass ich an einem bestimmten Punkt nicht weiter weiß. Führung in diesem Sinne hat immer auch mit Demut zu tun: Als Führungskraft bin ich – so wie wir alle – auf andere Menschen angewiesen, um gemeinsam mehr zu leisten als ich es alleine könnte.

Literatur:

Mina Schneider-Landolf u.a.: Handbuch Themenzentrierte Interaktion

Das Balance-Konzept in der Teamentwicklung

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Jedes Gruppensetting lässt sich in Gegenpolen beschreiben. Eine Gruppe kann sich bspw. durch eine hohe Nähe und Verbundenheit definieren oder auf der anderen Seite durch eine hohe Distanzierung der Mitglieder voneinander. Eine hohe Verbundenheit stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Dennoch hat auch der Gegenpol der Distanz seinen Sinn und Zweck, da eine Distanzierung einzelne Teammitglieder dazu bringt, über sich selbst, ihre Rolle(n) und Aufgaben im Team nachzudenken.

Als Teamleitung ist es daher sinnvoll, regelmäßig auf eine gute Balance zwischen verschiedenen Polen zu achten. D.h. konkret im Fall einer dauerhaft zu hohen Verbundenheit Elemente der Distanz einzubauen. In Seminaren achte ich daher auf ein stetiges Wechselspiel zwischen Plenumsituationen, Kleingruppen- und Einzelreflexionen.

Nähe und Distanz sind jedoch nur ein Gegensatzpaar, auf das Teamleitungen achten können. Weitere Gegensatzpaare sind insbesondere:

  • Sicherheit versus Risiko
  • Neues versus Bekanntes (ähnlich: Wachstum versus Konsolidierung)
  • Aktivität versus Ruhe (ähnlich: Arbeit versus Freiheit)
  • Struktur versus Chaos
  • Schnell versus Reflexiv (ähnlich: Handeln versus Denken)
  • Optimismus versus (gesunde) Skepsis
  • Harmonie versus (konstruktiver) Streit
  • Fühlen versus Denken
  • Zuhören versus Sprechen

Die Balancen müssen nicht 50 zu 50 ausgeglichen sein. Jedes Team ist anders. Dennoch wäre ich als Teamleitung skeptisch, wenn mein Team immer harmonisch ist. Und ein Team im Dauer-Turbo-Modus ist sicherlich auch nicht gesund. Es braucht daher eine für das Team und die zu erfüllenden Aufgaben passende Balance, die auch in einem 90 zu 10-Verhältnis bestehen kann.

1. Analyse-Phase

Suchen Sie sich für eine Analyse Ihres Teams die Gegenpole aus, die für Sie und Ihr Team relevant sind und bewerten Ihr Team, bspw.

„Uns ist Sicherheit wichtig“ versus „Wir halten Risiken aus“

100%80%60%40%20%20%40%60%80%100%

Die Summe ergibt 100%. Sie könnten also sagen: Mein Team ist zu 80% Sicherheit wichtig und hält zu 20% Risiken aus.

Was kann es bedeuten, sicherheitsorientiert zu sein:

  • Das Team orientiert sich gerne an klaren Regeln.
  • Das Team befolgt vorgegebene Strukturen, ohne neue Wege auszuprobieren.
  • Die Teammitglieder brauchen klare Anweisungen.

Risikoorientiert kann bedeuten:

  • Das Team stellt Regeln regelmäßig infrage.
  • Das Team weicht ab und an von vorgegebenen Strukturen ab.
  • Die Teammitglieder treffen eigene Entscheidungen.

2. Bewertungsphase

Nun geht es darum, zu bewerten, ob Sie mit diesem Verhältnis zufrieden sind. Passt in unserem Beispiel das Verhältnis von 80% zu 20%? Oder wünschen Sie sich mehr Risikofreude?

3. Handlungsphase

Schließlich gilt es, zu reflektieren was Sie tun können, um Ihr Team in unserem Beispiel zu mehr Risikofreude zu bewegen? Vielleicht hilft es, als Teamleitung Regeln und Strukturen zu hinterfragen oder Verbesserungen für Prozesse auszuprobieren. Oder Sie leiten einzelne Teammitglieder durch Delegieren bewusst zu eigenen Entscheidungen an.

Bei all dem ist es essentiell, begründen zu können, warum es Ihnen wichtig ist, dass Ihr Team risikofreudiger wird, lernt Chaos auszuhalten, ordentlicher, schneller, reflexiver, optimistischer wird oder eine gesunde Skepsis aushält, harmonischer wird oder lernt, sich konstruktiv zu streiten, ab und an ins Fühlen kommt oder von zu viel Gefühl weg kommt, mehr spricht oder zuhört oder sich eine Reflexionspause gönnt bzw. Neues hinzu nimmt, um sich weiter zu entwickeln.

Und jetzt viel Spaß beim Reflektieren: Reflexionsbogen

Mehr zum Thema Teambildung gibt es hier.