
Wer andere überzeugen möchte, merkt schnell das Paradoxe dahinter: Je mehr Druck ich ausübe, desto mehr geht mein Gegenüber in die Defensive oder in einen Gegenangriff über. Was also tun?
Einen Lösungsansatz bietet hier das Resonanz-Konzept von Hartmut Rosa. Der Resonanzbegriff kommt aus der Physik. Gerät ein Körper in Schwingung und kommt in die Nähe eines anderen ebenfalls schwingungsfähigen Körpers, gerät auch dieser in Schwingung. Dabei dürfen sich die schwingenden Teile nicht berühren. Berührt bspw. eine Stimmgabel eine andere Stimmgabel an den Zacken, verstummt sie selbst. Lege ich jedoch eine Stimmgabel mit dem unteren Ende, an dem ich sie ohnehin festhalte, auf ein Klavier, kann auch dieses in Schwingung geraten. Deshalb sind Resonanzen kein einfaches Echo, das von A auf B übertragen wird. B muss mit einer eigenen „Stimme“ sprechen. Diese Stimme wiederum kann den gleichen Klang haben wie bei einer anderen Stimmgabel oder einen anderen wie bei einem Klavier.
Übertragen auf uns Menschen lassen sich auch hier andere Meinungen nicht aufzwingen, indem wir an unserem Gegenüber rütteln oder es festhalten. Wir verlieren sogar unsere Eigenschwingung, wollen wir andere (Meinungen) kontrollieren.
Das Beispiel verdeutlicht auch, dass Resonanz etwas anderes ist als eine Emotion. Die antwortende Schwingung kann in einem gleichen oder anderen Ton erfolgen. Auch bei uns Menschen kann eine Resonanz entsprechend unserer Spiegelneuronen gleich ausfallen, wenn eine Person lacht und damit eine andere Person ansteckt. Sie kann aber auch zu einer anderen Emotion führen. Siehe dazu ergänzend das Konzept der Meta-Emotionen:
- Setzt sich eine Führungskraft wütend für ihr Team ein, kann das einzelne Teammitglieder stolz machen.
- Erlebt jemand, wie eine nahestehende Kollegin bei einem wichtigen Projekt scheitert, geht die eigene Resonanz über das enttäuschte Gefühl von ihr hinaus in Richtung Empathie.
Resonanz ist daher keine einfache Emotion wie Trauer, Wut, Angst oder Freude, sondern beinhaltet immer eine Beziehungsdimension:
- Trauer kann Empathie anregen
- Angst führt evtl. zu Unterstützung
- Freude und Wut fördern im besten Fall eine Aktivierung und Mobilisierung
Tipp für Führungskräfte Wollen Sie als Führungskraft mit Ihren Mitarbeiter*innen in einen resonanten Kontakt treten, müssen Sie nicht jeden Tag gut drauf sein – was ohnehin Blödsinn wäre. Stattdessen können Sie die gesamte Bandbreite ihrer Gefühle ausleben, solange es im Rahmen bleibt. Hilfreich hierzu ist die Beobachtung, welche Emotionen zu welchen Resonanzen bei den Mitarbeiter*innen führt. |
Da das jeweilige Gegenüber jedoch in einer eigenen Stimme sprechen muss, ist dies logischerweise kein Automatismus, sondern funktioniert nur, wenn …
- etwas angeregt wird, das bereits im Kern vorhanden ist, d.h. das Gegenüber muss schwingungsfähig sein. Ein Mensch, der nicht fähig ist, Mitgefühl zu empfinden, wird diesbezüglich nicht in Resonanz gehen. Und …
- eine Beziehung vorhanden ist, wobei eine Beziehung bereits vorhanden sein kann, wenn zuvor ein paar Worte im Smalltalk gewechselt wurden.
Das Resonanzkonzept ist folglich wesentlich komplexer als es in manchen esoterischen Kreisen im Sinne von „habt euch lieb und alles wird gut“ dargestellt wird.
Ein Beispiel: Bahnfahren vs. Auto nutzen
Neulich traf ich auf einer Wanderung ein junges Paar. Da ich mich nicht wirklich an einem touristischen Hotspot befand, fragte mich die Frau erstaunt, was ich hier mache. Ich erzählte den beiden, dass ich in letzter Zeit – dank Deutschlandticket – häufig die Erfahrung machte, dass Nahziele oft unterschätzt werden. Wir kamen ins Plaudern und ich erzählte davon, gerne und viel mit der Bahn unterwegs zu sein. Aktuell eine eher weniger gängige Meinung. Die Mimik des Mannes ließ durchblicken, dass er Bahnfahren nicht leiden kann. Doch anstatt ihn überzeugen zu wollen, wie toll die Bahn ist oder wie verwerflich es doch ist, mit dem Auto unterwegs zu sein, blieb ich ganz egoistisch dabei, von den Vorteilen der Bahn für mich zu schwärmen: Streckenwanderungen, Zeitung lesen im Zug, Entspannung bereits beim Einsteigen, sich bequem chauffieren lassen, dank Deutschlandticket ist sozusagen jede Tour kostenlos, man denkt nicht lange nach, sondern steigt einfach ein und gerade jetzt im Sommer, wo alle Welt gen Süden reist, ist kaum was los in den Zügen. Das Credo lautete:
Ich bin begeistert. Aber du kannst machen, was du willst.
In der Sprache der Resonanz: Ich schwinge in meinem Begeisterungston. Ob du mitschwingst, musst du selbst entscheiden.
Der Effekt: Natürlich schwappte die Begeisterung nicht über. Dennoch zeichneten sich in seinem Gesicht Spuren des Nachdenkens ab: „Vielleicht könnte man es ja mal probieren. Jetzt im Sommer. Für einen Monat lang die D-Ticket-Flatrate nutzen. Und wenn uns das nicht taugt, ist es auch OK.“
Anmerkung: Ich werde nicht von der Bahn gesponsert ;-).
Literatur: Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung