Bei Diversity hört der Spaß auf

… oder fängt erst an, je nach Standpunkt.

Es folgt ein (etwas lang geratenes) Essay als persönliches Fazit zu 2016.

Wenn Pegida das Abendland vor dem Islam retten will, wehrt es sich gegen eine Vielfalt im eigenen Land, die zu stoppen weder möglich, noch sinnvoll ist. Den Witz mit dem Gegenbegriff von Vielfalt schenke ich mir an dieser Stelle. Auch in unseren Kirchen falten wir die Hände, um eins zu werden mit Gott. Danach geht es zum Italiener um die Ecke. Am Montag wird frisches Gemüse beim Türken eingekauft. Zuvor wurden arabische Ziffer auf Einkaufszettel gekritzelt.

Wenn ein modernes Unternehmen auf Diversity setzt, meint es damit natürlich keine Homosexuellen oder Transgender-Menschen, sondern Ältere und Gehandicapte. Spannend daran ist, dass ein Team aus alt und jung, Mann und Frau, vermutlich auch behindert – nichtbehindert (darf man das jetzt wieder sagen?) oder hetero – homo die besten Teamergebnisse erzielt. Das, was sonst mittels teurer Kreativitäts-Trainer (Anfragen unter info@m-huebler.de) erkauft wird, bekommen sie frei Haus.

Wenn ich Sylvester feiere, profitiere ich ebenso von unserer gesellschaftlichen Vielfalt. Ohne Diversity würden wir an Sylvester Schweinebraten mit Klößen und Sauerkraut essen, oder fränkischen Karpfen, kaum jedoch japanisches Sushi, schweizer Raclette oder eine französische Bouillabaisse. Naiv wie ich bin, erstaunt es mich beim Urlauben regelmäßig, wie wenig vielfältig das Ausland oft im Vergleich zu Deutschland ist. In einer mittelgroßen Stadt wie Fürth bekommst du fast alles. Fürth ist wie im Ausland. Es gibt einen südostasiatischen Laden, in dem man nicht mit EC-Karte bezahlen kann, einen türkischen Supermarkt mit original orientalischer Hintergrundmusik und zahllose polnische, russische und italienische Nicht-immer-so-Feinkostläden. Eigentlich bräuchte ich nicht verreisen.

Eine solche Auswahl müsste doch glücklich machen. Dennoch ist Deutschland immer noch die unangefochtene Nummer Eins im Jammern. Während sich zahllose Anreiner-Staaten mit rissigen Atomkraftwerken plagen, brummt bei uns der grüne Wachstums- und Wohlstandsmotor auf Hochtouren. Das hat zwar auch Schattenseiten, Solarzellen produzieren mehr Müll als sie Energie sparen, das ist jedoch eine andere Geschichte.

Die Kaufkraft ist so hoch wie nie. Die Beschäftigungsquote vergleichsweise gut. Die Zufriedenheit liegt laut dem Glücksatlas (http://www.gluecksatlas.de) auf einer Skala von 0-10 bei 7,11 (2015: 7,02). 7,11! Wie konnte das denn passieren? Sind die Deutschen noch bei Trost? Oder doch ein wenig glückstaumelig übergeschnappt? Man darf nur keine politische Diskussions- oder Nachrichtensendung ansehen. Die könnten die Entspannungs-Atmung deregulieren.

Dabei wurde in den letzten Monaten vielfach das Lebensmodell ‘Vielfalt’ dem Lebensmodell ‘Traditionell’ gegenüber gestellt. Vielfalt, so heißt es, ist das Modell der städtischen Globalisierungsgewinner, die Tradition das Modell der ländlichen Globalisierungsverlierer. Vielleicht geht es ja den einen sehr sehr gut, und den anderen sehr sehr schlecht.

Ganz so einfach ist das mit dem Lebensstil jedoch nicht, leider oder zum Glück. Denn in Wirklichkeit tendieren alle Menschen zu einem für sie persönlich konservativen Lebensstil. Ich kenne Lesben, die ein so ‘traditionelles’ Leben führen, würde man die eine als Mann verkleiden, würde deren gleichgeschlechtliche Partnerinnenschaft nicht im mindesten auffallen. Nazis essen Döner und gehen zum Griechen. Ich kenne Linksextreme, deren Konservativismus meine freiheitlich-liberalen Nackenhaare magnetisch zur Decke zieht. Und manch grüne Moral kommt in Gestalt eines spritfressenden Pickup-Trucks daher. Wer hat da wen überholt? Links Rechts? Rechts Links? Oder beide sich selbst? Vermutlich.

Vielfalt ist kein Lebensmodell. Die Vielfalt ist da und man oder frau pickt sich etwas davon heraus, was wie ein Lebensabschnittspartner gerade passt. Viel sinniger erscheint es mir, in Lebensphasen zu denken. Wer jung ist, mag (nicht zwingend) mehr Vielfalt, solange, bis er merkt, dass es das nicht gewesen ist. Glücklich ist, wer abhaken kann. Im Dunkeln in ein Freibad einsteigen macht in jungen Jahren Sinn. Mit 40 nicht mehr. Das Reiheneckenhaus wartet schon. Auf dich und mich und den Punker von nebenan.

Dass dieses Aussuchen aus einem Überangebot an Waren Menschen mit schneller wechselnden Kollegen und Kolleginnen, Beziehungen, Jobs und jahrelanger Restauranterfahrung – Enttäuschungen inklusive – leichter fällt als Menschen, die in den letzten Jahren eher in Richtung “Mehr desselben” lebten, klingt einleuchtend. Auch die Konfrontation mit S- und U-Bahnplänen sind hilfreich zur Erweiterung des Denkvermögens. Bin ich froh, das ich noch jung bin! An dieser Stelle ein Dank an die immer komplizierter werdenden Fahrkartenkonstellationen der städtischen Verkehrswerke und der Deutschen Bahn. Ehre, wem Ehre gebührt. 

Damit sollte keine Wertung verbunden sein, im Sinne von ‘Wir (Städter) sind ja ach so clever und ihr seid die Hinterwäldler’. Beim Schuhkauf gehe ich extra in einen Laden, in dem die Auswahl begrenzt ist. Ich bin ja kein Masochist. Städtische Angebote sind nun mal überfordernd.

Das Modell hinter der Vielfalt ist der Kapitalismus oder meinetwegen die nicht mehr ganz so soziale Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft kann jedoch zaubern. Sobald jemand eine neue Idee in die Welt wirft, testet sie, ob sich für diese Idee genügend Interessenten finden. Wenn ja, macht sie aus der Idee ein Angebot und versammelt es unter ihrer Ägide neben Millionen anderer Angebote. Der Diversity-Gedanke hat seinen Ursprung in der freien Marktwirtschaft.

  • Sie wollen Ihre Kinder in einen Waldorfkindergarten bringen? Kein Problem, sofern dieses (marktwirtschaftliche) Angebot genügend andere Interessenten findet. Aber schimpfen Sie bitte nicht auf die Gobalisierung oder die Marktwirtschaft. Ohne die wäre es gar nicht möglich.
  • Sie werfen an Sylvester China-Böller in die Lüfte? Wo die wohl herkommen? (https://de.wikipedia.org/wiki/Feuerwerk)
  • Sie wollen sich einen neuen Laptop kaufen? Wissen Sie noch, was Sie vor 20 oder gar 30 Jahren für Ihren ersten Computer ausgaben? Mein Amiga 500 wurde damals noch in Frankreich produziert und kostete (wenn ich mich recht erinnere) ohne Festplatte 2000 DM. Was kostet ein Laptop heute?

Die Regierung versucht, quecksilberverseuchte Glühbirnen in die Welt zu setzen und verbietet die alten, normalen Glühbirnen? Ein halbes Jahr später gibt es Heatballs. Der Markt hat für alles einen Platz.

Vor diesem Hintergrund sind 10-15% Anhänger einer Konservativ-Rechten Partei am Rande der Grundgesetzfeindlichkeit eine – wertneutral formuliert – Bereicherung unserer Vielfalt: Menschen, die gerne … ja was eigentlich? Das weiß ich leider auch nicht. Da müsste ich erst das Parteiprogramm der AfD lesen. Ist aber auch egal. Denn was da drin steht, interessiert niemanden. Das meine ich nicht böse. Es ist nur nicht notwendig. Deshalb macht es keinen Sinn, das Wahlprogramm der AfD anzufeinden. Sie brauchen keins. Die AfD könnte ein Wahlprogramm aus sieben Worten “Wir machen alles anders als die Eliten” aufstellen. Es würde reichen, um das marktwirtschaftliche Angebot bei Wahlen zu bereichern.

Während früher freie Marktwirtschaft auf der einen und Politik auf der anderen Seite existierten und Politiker die extremsten Auswüchse eindämmten, indem sie beispielsweise dem Manchester-Liberalismus Ketten anlegten (keine Kinderarbeit, Begrenzung der Arbeitszeit), wurde die Politik schleichend zu einem exekutiven Teil der Wirtschaft. Bewegte die Bankenkrise Banker zum Umdenken? Warum auch? Was denkt ein Kind, das ein anderes Kind mit einem Hammer schlug und daraufhin von der Kindergärtnerin ermahnt wird, den Hammer aber behalten darf? Zehn Minuten später schaukelt der Hammer immer noch in seiner Hand. Und der Groll auf den Anderen (in anderen Situationen die Gier, die Sucht, die Lust) ist immer noch da. Offensichtlich ist es OK, den Hammer zu haben. Also kann ich damit nicht allzu viel Schaden anrichten, oder?

Auf der anderen Seite sind Wahlen nicht mehr die Wahlen, mit denen ich aufgewachsen bin. Es gibt sie noch, die Wähler, die mit einer oder zwei Parteien identifiziert sind. Eine große Anzahl an Wählern ist dies nicht mehr. Die Wahlforscher versuchen am Wahlabend krampfhaft zu erklären, wer von wo zu wem warum wechselte. Blödsinn! Niemand von denen wechselte, weil sie zu keiner Partei mehr gehören. Sie wählen nicht mehr, sie gehen einkaufen. Mit dem Unterschied, dass auf dem Wahlzettel kein schlichter analoger Wecker, batteriebetrieben oder mit Stromkabel, digital oder hightec ausgewählt wird, sondern schwarz-rot-grün-blau-geld-braun. Diese ‘Wähler’ wählen keine Parteien oder gar langfristige Parteiprogramme. Sie entscheiden sich für kurzfristige Marktschreier, die einfache Parolen verkaufen. Sie entscheiden sich für ein IKEA-Regal, das in vier Jahren auf dem Sperrmüll landet.

Sollten diese Marktschreier-Parteien, und damit meine ich nicht nur die AfD, eines Tages die Mehrheit auf Landes- oder Bundesebene übernehmen, wird sich zeigen, inwieweit Parolen dazu dienen, langfristige Politik zu gestalten.

Wer in der Dusche heißes Wasser will, sollte jedenfalls den Hebel nicht bis zum Anschlag nach links drehen, um sich Sekunden später zu verbrühen, worauf er den Hebel stark nach rechts dreht, weshalb das Wasser zu kalt wird, usw. usf. Vielleicht heißen die Duschhebel des modernen Menschen Twitter und Facebook. Empfehlenswerter wären diplomatische Stupser mit einem einzelnen Finger nach links oder rechts, solange, bis die gewünschte Temperatur erreicht ist.

Vielleicht würde es gar nichts ausmachen, wenn Parolen an der Macht wären. Manchmal habe ich das Gefühl, unsere Politiker erfüllen mehr repräsentative Zwecke. Wirklich gelenkt werden wir von Exxon Mobile, JP Morgan, General Electric, BP, Apple, Gazprom, Microsoft, Nestle, usw.

Oder wir werden nicht einmal von diesen Firmen gelenkt, sondern der Markt oder das Kapital tut alles, um sich entsprechend der Mem-Theorie (https://de.wikipedia.org/wiki/Mem) selbst zu vermehren. Der Markt als Hobbscher Leviathan, der sich solange selbst füttert, bis er explodiert, weil die Ressourcen aufgebraucht sind. Nicht “der Mensch ist des Menschen Wolf”, sondern der Wolf hat sich als unkontrollierbares Monster verselbständigt. Als Zeichen der Verselbständigung können wir den Overshoot-Day betrachten (http://www.overshootday.org/newsroom/press-release-german). Der fiel 2016 auf den 08. August. An diesem Tag wurden die jährlichen Ressourcen den Erde aufgebraucht. 2011 waren wir noch im September. Könnte die Politik dem Leviathan Ketten anlegen? Oder wir alle? Mit bürgerschaftlichem Engagement? Demonstrationen?

Bleiben die Marktschreier unter 20%, sollte das für eine funktionierende vielgestaltige Demokratie keine Problem sein. Deutschland verkraftete auch Möllemanns und Westerwelles rechtpopulistisch angehauchtes Projekt 18.

2016 war das Jahr der Panik. Aber was soll man von einem Mars-Jahr auch anderes erwarten? Am 21. März 2017 beginnt das Sonnen-Jahr. Haltet aus, liebe Leser und Leserinnen.

Für 2017 wünsche ich mir eine konservativere CDU, eine mutigere SPD, besonnene Grüne und auf jeden Fall die FDP zurück. Die hatte ich 2016 definitiv vermisst.

Ansonsten empfehle ich ein gelassenes “Willkommen liebe Protestwähler, Populisten und Demagogen in unserem glücklichen Deutschland!” Auch ihr seid ein Teil der gesellschaftlichen Vielfalt!