Als soziale Wesen orientieren wir uns am Feedback von für uns relevanten Gruppen und deren Werten. Führungskräfte orientieren sich also v.a. an anderen Führungskräften sowie an Mitarbeiter*innen, von denen sie sich jedoch abgrenzen wollen. Welche Werte dies sind, orientiert sich wiederum an den sozialen Regeln dieser Subkultur. Diese lassen sich in vier Dimensionen zusammenfassen:
- Anerkennung: Anerkennung erfolgt in der Subultur der Führung wie in vielen anderen westlichen Subkulturen auch über Leistung.
- Status: Ein hoher Status hat nicht nur mit Leistung zu tun, sondern auch mit der (bisweilen gespielten) Souveränität, sich trotz hoher Leistung nicht anstrengen zu müssen. Daraus entsteht ein Paradoxon: Ich gehe bis an meine Grenzen, darf mir jedoch nichts anmerken lassen, um meinen Status als Führungskraft nicht zu verlieren.
- Verbote: Krankheit, insbesondere aufgrund psychischer Überlastungen, ist verboten. Allenfalls erlaubt sind körperliche Krankheiten, weshalb manche psychische Krankheit sich in den körperlichen Bereich verschiebt.
- Tabus: Eng damit verbunden ist das Tabu, über Belastungen zu sprechen. Eine Führungskraft sollte im Gegensatz zu ihren Mitarbeiter*innen Stress jederzeit im Griff haben. Und während die Mitarbeiter*innen wenigstens jammern dürfen und sich damit gegenseitig als Schicksalsgemeinschaft wahrnehmen, ist dies für Führungskräfte tabu.
Die Rahmenideologie dieser Regeln liefern uns der Kapitalismus und Neoliberalismus. Der Kapitalismus sorgt für den Leistungsdruck. Im Neoliberalismus gehen wir vom “pursuit of happiness” aus: Jeder ist seines Glückes Schmied. Damit ordnen wir unsere Anerkennung und unseren Status unserem Willen unter. Unser Glück ist zwar von den Rückmeldungen anderer abhängig, wir können es jedoch allein durch unseren eigenen Willen schaffen, Erfolg zu haben. Damit sind wir jedoch auch selbst schuld, wenn wir überlastet sind.
Wie könnte nun ein Ausweg aus diesem Dilemma aussehen, nachdem wir diese Zusammenhänge kennen?
Als erstes sollten wir uns von den Meinungen anderer zumindest teilweise entkoppeln. Wer es wirklich ernst meint mit dem Kürzertreten, sollte sich bewusst machen, dass er damit potentiell auf Anerkennung und Status verzichtet. Dies muss nicht automatisch so sein. Wahrscheinlich ist es jedoch. Damit verzichtet er evtl. auf eine Top-Karriere. Dennoch: In der zweiten Reihe lebt es sich auch nicht schlecht. Erfolg zu haben ist eine schöne Sache. Erfolg sollte jedoch kein Ersatz für Sinnhaftigkeit in der Arbeit sein.
Zum zweiten sollte er lernen, Tabus offen anzusprechen: “Ja, ich weiß gerade auch nicht weiter. Ja, ich bin auch überlastet. Und ja, ich könnte an manchen Tagen auch heulen.”
Seitdem in den Medien u.a. von Kurt Krömer und Torsten Sträter offen über Depressionen gesprochen wird, scheint die Zeit reif zu sein für Bekenntnisse der eigenen Überlastung.