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Krieg oder nicht Krieg?

Stell dir vor es ist Krieg und keiner darf hin. Eine spannende Sache, dieser Krieg, der allerorten propagiert wurde. Emmanuel Macron sprach von einem Krieg gegen das Virus und Angela Merkel von der größten Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg. Kriege waren für Politiker schon immer eine feine Sache. Kriege vereinen. Kriege verbinden. Von der Opposition über die Medien bis zum Bürger. Wenn es einen gemeinsamen Feind gibt, hat alles andere zu warten.

Wilhelm der II. sprach 1914 von einem Burgfrieden, um die Reihen zu schließen. Er sagte: Ab heute kenne ich keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Weitergesponnen können wir heute sagen: Seit dem Virus gibt es keine Gegner mehr. Nur noch vergrabene Kriegsbeile. Google, Apple, Twitter, Facebook, Youtube und bekannte Influencer auf Youtube und Instagram, alle vereint unter einer epischen Aufgabe. Gemeinsam das Virus bekämpfen. Zumindest galt das noch in Phase I der Bedrohung unseres deutschen Landes, laut einem Strategiepapier der Bundesregierung der Hammer-Phase.

Etwas ähnliches spielte sich in dem Comic Watchmen von Alan Moore und Dave Gibbons ab. Weil sich die Menschheit in den 80ern beinahe in eine atomare Katastrophe manövrierte, fingierte ein genialer Tüftler eine Alieninvasion, damit die ehemaligen Streithähne auf der ganzen Welt ihre Kräfte bündelten, um gemeinsam gegen den imaginären Feind vorzugehen. Wie nahe Realität und Fiktion doch in diesen Tagen beieinander liegen.

Genau genommen könnten wir jedes Jahr mehrere Kriege führen. Gegen die Luftverschmutzung. Daran sterben jährlich 37.000 Menschen in Deutschland. Oder gegen Krankenhauskeime. Daran sterben in Deutschland jährlich 20.000 Menschen. Der Beispiele gäbe es genug. Nur offensichtlich mangelte es diesen Bedrohungen an Überzeugungskraft. Das große C arbeitet anders:

  1. Es weckt persönliche Betroffenheit bis hin zum eigenen Tod oder dem Tod eines geliebten Menschen.
  2. Es verteilt sich nicht über das gesamte Jahr, sondern ist ein wenig zackiger unterwegs, was im Menschen grundsätzlich die Angst vor der Komplettauslöschung der eigenen Sippe auslöst. Ähnliches gilt für Flugzeugabstürze, die ebenso als bedrohlicher gelten als das eigene Fahrzeug, auch wenn die Todeszahlen dieser gefühlten Bedrohlichkeit eine lange Nase ziehen.

Würden wir alle Haushalts-, Verkehrs-, Krankenhaus- und Luftverschmutzungstoten zusammenrechnen, würde das große C auf einmal ganz klein aussehen.

Aber zurück zum Krieg oder besser noch zu unserem versuchten Blitzkrieg. Die vielen Todeszahlen aus den anderen Unfallursachen lassen sich in Ruhe zusammenrechnen, während uns das C als unkalkulierbar und unberechenbar erscheint.

Und dennoch: Wir sind nicht im Krieg. Wir hocken zuhause und scharren mit den Hufen, die wir fein säuberlich in imaginierten Fußfesseln wetzen. Wären wir im Krieg, würden unsere Regierungen – wie Lisa Eckhart sagt – die Todeszahlen verschweigen, anstatt jeden Einzelnen zu zählen, was schon beinahe einem nekrophilen Fetisch gleicht, wenn man es genauer betrachtet.

Wären wir im Krieg würden wir uns dort draußen gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wir würden den propagierten Zusammenhalt, in dem sich zwangsläufig Aggressionen aufstauen – wir wollen schließlich etwas tun gegen dieses böse C – dazu nutzen, um in den Kampf zu ziehen gegen … nun ja … wen oder was eigentlich?

Wir sind aber nicht im Krieg.

Doch! Wir sind im Krieg. Nur dieses mal im Krieg gegen uns selbst. Während sich ein Krieg im Außen in einem aggressiven Schlachtgetümmel niederschlägt, findet der Krieg gegen das C in unserem Inneren statt. In unseren eigenen vier Wänden und vor allem in unserer Psyche. Die Aggression wird nach innen verdammt. Und dort soll sie auch bleiben. Viele Menschen haben Angst. Was passiert, wenn meine Kinder wieder in die Schule gehen? Manche Eltern lassen ihre Kinder aktuell nicht einmal für ein paar Minuten – ohne einen wirklich triftigen Grund wie Einkaufen – an die frische Luft. Ich vermute nach dem Lockdown eine Invasion von Draculas.

Andere werden depressiv, bis zur Suizidalität. Es heißt, ein Oxytocinmangel durch zu wenig Körperkontakt führt zu tiefen Verstimmungen.

Wieder andere flüchten sich in den Alkohol. Auch eine Lösung, zumindest eine hochprozentige. Zur Anleitung einer strukturierten Alkoholisierung bietet sich das kurze Youtube-Filmchen von Josef Hader “Struktur in der Quarantäne” an.

Andere bleiben zwar in ihren vier Wänden, verwandeln jedoch die Angst und Autoaggression in Gewalt gegen Partner/in und Kind. Oder gehen tatsächlich auf die Straße und bombardieren die Telefonleitungen eines Instituts, das an Impfstoffen arbeitet, wie es kürzlich in Berlin geschah.

Wer nicht gleich zu revolutionären Maßnahmen greifen will, sucht “aggressive” Fluchtwege zum Beispiel über Demonstrationen, Petitionen oder Diskussionsforen, in denen heftig darüber gestritten wird, wie rechtens und sinnvoll die Maßnahmen der Regierung sind und ob diese bald abnehmen sollten, um negative Folgen an anderer Stelle zu verhindern. Wir befinden uns mittlerweile in Phase II der Krise, laut Überschrift des angesprochenen Regierungsstrategiepapiers mit “Tanz” betitelt.

Tanz ist eine Form der Kommunikation. Das Thema ist komplex. Und am Ende wird immer jemand leiden. Am Ende wird immer jemand sterben. Um das Leiden und Sterben werden wir nicht herum kommen. Es stellt sich nur die Frage wer es sein wird und wer das bestimmt. Zu den Kategorien “an” oder “mit Corona” sollte vielleicht noch die Kategorie “durch die Maßnahmen” hinzu genommen werden. All das ist unkalkulierbar. Und genau über dieses Unkalkulierbare wird gestritten, auch wenn es laut Frau Merkel und ihrem Wort von Diskussionsorgien offensichtlich von oberster Stelle aus nicht gerne gehört oder gelesen wird. Das mag aus ihrer Sicht nachvollziehbar sein. Für die Psyche vieler Bürger ist es dennoch gesund. Und für die Demokratie sowieso.

In diesem Sinne erscheint mir der Begriff des Tanzes durchaus passend, auch wenn es hier nicht darum geht, dass die Kommunikation verhindert, anderen auf die Füße zu treten, sondern einen guten gemeinsamen Weg zu finden.