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Die erschöpfte Gesellschaft und der Aufstieg „Sozialer Unternehmen“

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Symptome einer erschöpften Gesellschaft

Die Bevölkerung ist erschöpft, sagt der bekannte Sozialforscher Klaus Hurrelmann (externer Link). Als Grund dafür macht er eine Art gesellschaftliche posttraumatische Belastungsstörung aus. Eine Art deshalb, weil sich die Erkrankung einzelner nicht auf eine ganze Gesellschaft übertragen lässt. Dennoch ist das Bild der PTBS hilfreich, um zu verstehen, warum sich viele Menschen derzeit erschöpft fühlen und ins Private zurückziehen (externer Link).

Die Symptome einer PTBS lauten:

  • Wiedererleben: Nach der Krise ist vor der Krise: Nach Corona kam der Krieg, damit einhergehend erhöhte Heizkosten, dann die Folgen des Klimawandels, usw.
  • Verdrängen: Wie gezeigt fliehen viele Menschen vor aktuellen Krisen ins Private. Familie und Freundschaften werden wieder wichtiger.
  • Ein Gefühl ständiger Bedrohung: Nicht nur die Krisen sind omnipräsent in Funk und Fernsehen, auch die Auswirkungen auf das eigene Leben sind es. Während Corona griff der Staat direkt in das Leben der Bürger*innen ein. Und heute geht der Spuk um den Abstieg Deutschlands um, wodurch auch der eigene Job gefährdet sein könnte, die Digitalisierung könnte uns von unserer Arbeit und unseren Kolleg*innen entfremden (siehe hier), KI-Lösungen bedrohen Arbeitsplätze ebenso, die Lebenshaltungskosten wurden teurer, usw.

Die Erschöpfung ist jedoch nichts spezifisch Deutsches. Auch nach der aktuellen Wahl in Spanien (Juli 2023) hatten die Menschen anscheinend genug von den stetigen Veränderungen und wünschten sich wieder etwas mehr Konservatismus.

Umgang mit einer PTBS in der Gesellschaft

Laut Hurrelmann müssen die Symptome zuerst einmal ernst genommen werden. Die physischen Folgen von Corona (Stichwort: Long-Covid-Plakate) werden angegangen. Auf der psychischen und sozialen Seite scheint es immer noch zu hapern. Während die psychischen Folgen nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen aufgrund der Pandemie und dem Umgang damit in den Hochzeiten von Corona als Unkenrufe von Traumatherapeut*innen abgetan und ungern gehört wurden, werden die psychischen Folgen auch heute noch unterschätzt. Problematisch dabei ist die Messbarkeit psychischer Probleme. Einen einfachen Test wie bei Corona gibt es dafür nicht.

Desweiteren braucht es laut Hurrelmann mehr Kohärenz, d.h. konkret:

  1. Ein Verstehen der Situation: Warum gehen die Preise hoch? Warum sollten wir welche Prozesse bei uns digitalisieren? Usw.
  2. Handlungskompetenz: Was kann ich selbst konkret tun?
  3. Sinnhaftigkeit des Handels: Macht es einen Unterschied, wenn ich so oder so handle? Was bringt mein Handeln am Ende?

Wenn einseitiger Optimismus erschöpft

Oft wird behauptet, dass wir in einem Land leben, in dem es immer mehr Verbote gibt: Du darfst nicht mehr so viel heizen, die Beweggründe des russischen Einmarschs nicht verstehen, sollst nicht mehr so viel Fleisch essen, usw. Wir kennen das alles. Was wäre jedoch, wenn wir stattdessen eher in einer Kultur leben, die das optimistische alternativlose Ja-Sagen propagiert und es damit letztendlich ein wenig übertrieben hat: Ja zu Corona-Maßnahmen. Ja zur Unterstützung der Ukraine. Ja zu den Maßnahmen gegen den Klimawandel. Auch die Sparte von New Work namens Feelgoodmanagement ist ein einziges großes Ja.

Optimismus ist wichtig, gerade im Umgang mit Krisen. Aber es gibt auch Grenzen, wenn der Optimismus als zu viel wahrgenommen wird.

Zudem sind auch vermeintlich “negative” Emotionen wichtig in unserem Leben. In einer Studie von 1997 ließ der Psychologieprofessor James Gross 180 Frauen in zwei Gruppen traurige, emotionale und neutrale Filme anschauen. Die erste Gruppe sollte keine Gefühle zeigen. Die zweite Gruppe durfte ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Gruppe 2 war daraufhin wesentlich begeisterter von den Filmen. Gruppe 1 jedoch war erschöpfter.

Daraus lässt sich lernen, dass es nicht nur darum gehen sollte, Menschen in Veränderungen mitzunehmen. Auch Ärger und Enttäuschungen brauchen einen Raum, um gehört zu werden, damit Veränderungen einen nachhaltigen Erfolg haben.

Vielleicht liegt die Erschöpfung also tatsächlich auch in unserem dauerhaften Ja-Sage-Modus, während die Bedenken und Sorgen oftmals zu wenig ernst genommen werden.

Der Aufstieg „Sozialer Organisationen“

Was bedeutet nun all das für Unternehmen, abgesehen davon dass sich das Thema „Umgang mit Dauerbelastungen“ auch in meinen Seminaren seit über einem Jahr zu einem „Trend“ entwickelte?

Interessanterweise stellte die Deloitte Human Capital Trendstudie (externer Link) bereits 2018 den Aufstieg „Sozialer Organisationen“ fest. Ein soziales Unternehmen verbindet die Ziele Wachstum und Gewinn mit der Notwendigkeit, die Umwelt und ihre Belegschaft ebenso zu fördern. Es geht also nicht mehr um Agilität und Kundenfreundlichkeit über alles, sondern auch um Werte wie Nachhaltigkeit und Mitarbeiter*innenorientierung.

Der Aufstieg „Sozialer Organisationen“ hat drei große Treiber:

  1. Wertewandel: Kund*innen von heute kaufen nicht nur ein Produkt, sondern ein ganzes Wertepaket. Und junge Bewerber*innen achten ebenso mehr als früher auf die sozialen und umweltverträglichen Werte eines Unternehmens.
  2. Unternehmen statt Politik: Das Vertrauen in die Politik ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Was sich bereits 2018 ankündigte, hat sich durch Corona, den Krieg, den Klimawandel, etc. nur noch verschärft. Von Unternehmen wird erwartet, dass sie dieses Führungsvakuum füllen und sich klar zu Fragen der Diversity, Nachhaltigkeit, Gesundheitsversorgung und Cybersicherheit positionieren.
  3. Schnelligkeit als Belastung: Viele Menschen haben das Gefühl, dass „Science Fiction“ bereits „Science Fact“ ist. Der technologische Wandel verläuft rasant und bringt unvorhergesehene Auswirkungen für jede/n Einzelne/n mit sich. Das Menschliche bleibt da bisweilen auf der Strecke.

In Verbindung mit der grassierenden Erschöpfung lässt sich hier der Schluss ziehen, dass Unternehmen auch im Umgang mit einer Art PTBS eine Verantwortung haben oder sich dieser zumindest bewusst werden sollten, um die Lücke zu füllen, die gesellschaftspolitisch offensichtlich nicht gefüllt werden kann. Und damit ist keine Ersatztherapie gemeint, sondern lediglich die Möglichkeit, sich über soziale und psychische Belastungen in seinen Teams auszutauschen.

Arbeitswelt und Führung der Zukunft

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Arbeitswelt der Zukunft

Die Arbeitswelt der Zukunft ist flexibel, virtuell und von Netzwerken geprägt:

  • Flexibilität: Mitarbeiter*innen werden sich auf eine hohe Flexibilität einstellen müssen. Sie werden mal im Homeoffice arbeiten, mal vor Ort. Sie werden mal in dem einen, mal in einem anderen Team arbeiten, je nachdem, welche Kompetenzen gerade gebraucht werden. Dies gilt sicherlich nicht für alle Arbeitsbereiche. Doch je projektlastiger und kreativer eine Tätigkeit ist, desto mehr Flexibilität wird verlangt werden. Damit sollten Mitarbeiter*innen der Zukunft eine Menge Sozialkompetenz, Neugier und Offenheit mitbringen, um sich immer wieder auf neue Aufgaben, Situationen und Teams einzulassen.
  • Virtualität: Hier gilt v.a. die Devise: Die Technik muss bereit gestellt werden und funktionieren.
  • Netzwerke: Aufgrund der hohen Flexibilität wird Leistung wichtiger als Hierarchien.

Organisationskultur der Zukunft

Damit trotz stetiger Wechsel keine Unruhe aufkommt, braucht es einen starken Fokus auf eine offene, vertrauensvolle Organisationskultur:

  • Positive Lern- und Fehlerkultur: Vertrauen wird am besten geschaffen durch die Möglichkeit aus Fehlern zu lernen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Dazu gehört auch eine Kultur des offenen, gegenseitigen Feedbacks.
  • Kultur des offenen Austauschs: Wenn sich Menschen immer wieder aufeinander einlassen müssen, um vertrauensvoll und kreativ zusammen zu arbeiten, braucht es institutionalisierte Möglichkeiten des Austauschs und der Begegnung, bspw. eine Teamküche oder ritualisierte Treffen, in denen nicht über Arbeit gesprochen wird.
  • Kultur der persönlichen Weiterentwicklung: Und schließlich braucht eine mitarbeiterorientierte Kultur, in der die Weiterentwicklung jedes/r Einzelnen hoch aufgehängt ist, bspw. durch ein persönliches zeitliches Weiterbildungskontigent.

Führungsrollen der Zukunft

Während die ersten beiden Aspekte auch eine zentrale Aufgabe der gesamten Organisation sind, haben Führungskräfte insbesondere beim Aspekt der Weiterentwicklung der Mitarbeiter*innen eine zentrale Bedeutung. Folgende Rollen von Führungskräften werden daher in der Zukunft besonders wichtig sein:

  • Vorbild & Mentor*in: Einer Führungskraft, die Mitarbeiter*innen nicht als Vorbild betrachten, folgt niemand. Wenn also Hierarchien in einer netzwerkbasierten Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung verlieren, müssen Führungskräfte mehr als früher mit dem was sie tun und sind überzeugen und bestenfalls eine Art Mentor für Mitarbeiter*innen darstellen.
  • Talent-Scout & Coach: Eine wichtige Aufgabe der Zukunft in Netzwerken für Führungskräfte wird der Fähigkeit zukommen, Talente zu erkennen und/oder diese entsprechend weiterzuentwickeln, um mit den stetigen Veränderungen in einer digitalen Welt mitzukommen. Wobei ein Coach seinen Coachees durchaus liebevoll auf die Füße tritt, wenn es notwendig erscheint.
  • Visionär*in & Optimist*in: Wenn Hierarchien flacher werden, reicht es nicht mehr aus, Aufträge von oben nach unten durchzureichen. Es braucht stattdessen im Rahmen der Gesamtvision eines Unternehmens eigene Visionen und Ansätze, um die Mitarbeiter*innen zu begeistern.
  • Netzwerker*in: Sollen Teams innerhalb eines Unternehmens neu zusammen gestellt werden, müssen Führungskräfte wissen, wer mit wem am besten zu einem neuen Projekt passt. Sie müssen also sowohl die Kompetenzen als auch die sozialen Dynamiken einschätzen können. Dazu braucht es gute Netzwerken.
  • Moderator*in & Mediator*in: Wenn sich Teams immer wieder neu zusammengestellt werden, braucht es Führungskräfte, die die Prozesse in solchen Teams gut moderieren und gegebenenfalls Konflikte schlichten.

Auf dem Weg zu einer humanen Digitalisierung

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In vielen Unternehmen ist die Digitalisierung weit vorangeschritten, in anderen wird immer noch gefremdelt. Dies liegt insbesondere an branchenspezifischen Einstellungen der Menschen. Eine Studie von Sebastian Wörwag gibt Aufschluss darüber, was unterschiedliche Branchen erwarten und befürchten.

Stimmungs-Status-Quo in verschiedenen Branchen

Grob zusammengefasst erwartet die IT-Branche mehrheitlich Positives von der Digitalisierung:

  • weniger Routineaufgaben
  • mehr (kreative) Freiräume, erst recht durch KI
  • und damit auch die Zunahme spannender Arbeit

In der Finanzbranche sieht es schon anders aus. Hier wird erwartet, dass …

  • zwar einerseits Routineaufgaben abgenommen werden, bspw. durch Chatbots,
  • andererseits jedoch Standardisierungen zunehmen und damit auch persönliche Entscheidungsfreiräume wegfallen.

Die Sozialen und Gesundheits-Berufe stehen der Digitalisierung besonders skeptisch gegenüber. Hier wird erwartet, dass digitalisierte Prozesse in diesen Berufen wenig bis gar nichts bringen. Ehrlicherweise muss man auch festhalten, dass eine Tätigkeit wie die Pflege an sich kaum digitalisiert werden kann. In ferner Zukunft könnten evtl. Pflegeroboter zum Einsatz kommen. Bis dahin bezieht sich die Digitalisierung von Prozessen v.a. auf Verwaltungstätigkeiten im Hintergrund.

Die Bildungsbranche wiederum erwartet v.a. mehr Freiräume für die Lehre und Forschung durch die standardisierte Digitalisierung von Prozessen, bspw. bei Laboruntersuchungen, die 1000 mal durchgeführt werden müssen.

Und in der Öffentlichen Verwaltung schließlich scheint eine Art Gleichmut vorzuherrschen: Während auf der einen Seite mehr Routineaufgaben erwartet werden, werden auf der anderen Seite digitale Hintergrund-Prozesse eingeführt, um die eigene Arbeit zu erleichtern. Damit halten sich Befürchtungen und Begeisterung die Waage.

Kreativität versus Digitalisierung

Ein Schlüssel zur Akzeptanz digitaler Prozesse ist definitiv die Einschätzung der Notwendigkeit von Kreativität in der eigenen Arbeit. Hier ergab die Untersuchung von Wörwag Erstaunliches:

  • Während die Notwendigkeit von Kreativität im Sozialen Bereich (18%) und Gesundheitsbereich (27%) am höchsten von allen untersuchten Branchen eingeschätzt wird (Durchschnitt aller Branchen 14%),
  • liegt sie im Bereich Bildung und Forschung bei überraschenden 10%. Um es noch einmal klar zu verdeutlichen: Die befragten Angestellten gaben lediglich zu 10% an, dass Kreativität in Lehre und Forschung wichtig ist.
  • Selbst die Öffentliche Verwaltung (15%) und das Finanzwesen (13%) liegen hier höher.
  • Noch extremer ist es in der IT. Hier gaben 0% an, dass Kreativität in ihrer Arbeit erforderlich ist. Daraus lässt sich auch erklären, warum KI in der IT so wichtig erscheint, was mich als Nicht-IT-ler erstaunt: Es scheint oftmals weniger um neue Ideen zu gehen, sondern mehr um die Umsetzung von Routine-Programmierungen oder die Wartung vorhandener Systeme.

Da jedoch digitale Prozesse, insbesondere KI und die Arbeit mit Algorithmen, bereits vorhandene Daten nutzen oder analoge Prozesse digital standardisieren, werden sie nicht damit verbunden, etwas Neues in die Welt zu bringen. Es geht also nicht darum, mit einer neuen Situation kreativ umzugehen.

Je wichtiger folglich für ein/e Mitarbeiter*in – unabhängig von der Branche – Kreativität ist, desto mehr wird er oder sie die Digitalisierung ablehnen, weil mit der Digitalisierung eher eine Standardisierung verbunden ist, in der Freiräume mehr beschnitten als gefördert werden.

Eine Faustformel zur Digitalisierung von Prozessen

Der Vergleich der Branchen zeigt deutlich, dass jede Branche anders bei der Digitalisierung tickt. Umso wichtiger ist es, nicht in einen Machbarkeitswahn zu verfallen, sondern sich genau zu überlegen, wann die Digitalisierung von Prozessen sinnvoll ist.

Im Sinne einer humanen Arbeit kann eine Faustformel (mit fünf Fingern) dazu lauten:

  1. Sinnvoller Zweck und Nutzen: Worin besteht der Nutzen des digitalisierten Prozesses? Soll er die Menschen entlasten? Schneller, agiler oder kundenfreundlicher („Ihre Nachricht kam an und wir kümmern uns darum …“) machen?
  2. Weiterentwicklung statt Entfremdung: Werden Prozesse digitalisiert, die den Menschen bislang Spaß machten? Werden sie also von ihrer Arbeit entfremdet? Verstehen die Mitarbeiter*innen noch, was bei digitalen Prozessen im Hintergrund passiert, auch um es Kund*innen verständlich zu machen? Oder nimmt die Digitalisierung dem Menschen ungeliebte Tätigkeiten ab und hilft ihm sich weiterzuentwickeln?
  3. Freiräume für persönliche Entwicklungen: Schaffen digitale Prozesse Freiräume zur Entwicklung der Mitarbeiter*innen an einer anderen Stelle? Oder gilt es nur noch, im Hintergrund digitale Prozesse zu beobachten und bei Fehlern einzugreifen? Kurzum: Macht die Digitalisierung die Arbeit spannender oder langweiliger?
  4. Bindung: Fördert die Digitalisierung die Bindung zueinander, bspw. weil digitalisierte Routineaufgaben Freiräume schaffen, die für kreative Prozesse im Team genutzt werden? Oder schafft die Digitalisierung (Stichwort: Onlinemeetings) mehr Distanz zwischen den Mitarbeiter*innen? Es ist erstaunlich, wie viele Teams sich online verabreden, nur weil es einfacher ist, obwohl alle am gleichen Ort sind.
  5. Teilhabe, Integration und Inklusion: Fördert die Digitalisierung die Teilhabe möglichst vieler Mitarbeiter*innen an der Arbeit oder auch Diskussionen und Abstimmungen? Schaffen bspw. Onlinemeetings bessere Zugänge für Gehandicapte? Denken wir dabei auch an Apps für Sehbehinderte, die ihnen helfen, Einkaufswaren zu scannen oder die Möglichkeit von Übersetzungsprogrammen im interkulturellen Austausch. Und auch zur Partizipation möglichst vieler Mitarbeiter*innen an Unternehmensprozessen lassen sich digitale Hilfsmittel (Onlinemeetings, Abstimmungsplattformen) gut einsetzen. Die Frage ist nur: Ist das auch gewünscht?

Zusammenfassen lassen sich diese 5 Aspekte auch in die 3 Bereiche des Organisatorischen, Persönlichen und Sozialen:

Literatur

Sebastian Wörwag, Andrea Cloots (Hrsg.) – Human Digital Work – Eine Utopie? Springer—Gabler, 2020, S. 127ff

Warum über Generationen zu sprechen heikel ist

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Das Bedürfnis, über Generationen zu sprechen erscheint größer denn je. Während nicht nur in meinen Seminaren regelmäßig auf die Generation Z geschimpft wird, weil diese (anscheinend) nicht mehr so viel arbeiten will wie ihre Vorgänger-Generationen und damit den Industriestandort Deutschland zu gefährden scheint, wird auf der anderen Seite den „Boomern“ vorgeworfen, die Umwelt zerstört zu haben. Immerhin hat dann jede Seite ein klares Ziel für den eigenen Frust. Ist es nicht super, wenn ich weiß, dass jemand schuld ist – wahlweise an der Unterbesetzung in meinem Team oder an der Umweltverschmutzung?

Tatsächlich ist es nichts neues, dass jüngere Generationen Dinge anders sehen und machen. Das galt bereits bei den alten Griechen. Neu ist der Austausch über die digitalen Medien, auf denen sich Ältere und Jüngere treffen. Hinzu kommt nach einer langen Phase der Sorglosigkeit eine krisengebeutelte Zeit. Der Druck im Kessel ist hoch und gleichzeitig wird lautstark über die jeweilige Gegenseite lamentiert.

Nur: Bringt uns das weiter? Und: Stimmt die Generationenfrage überhaupt?

Strömungen statt Generationen

Streng genommen müssten wir nicht von Generationen sprechen, sondern von einflussreichen Strömungen innerhalb einer Generation. Ja, junge Generationen sehen vieles anders. Das gilt jedoch nur für einen kleinen Teil einer Generation. Meine Eltern waren keine Hippies, obwohl es zeitlich gepasst hätte. Sie hörten nicht Jimi Hendrix, sondern tanzten auf James Last. Und meine eigenen Kinder waren auf keiner einzigen Fridays-for-Future-Demo. Wir leben hier zwar seit Jahr und Tag ökologisch verträglich, fliegen nicht, waren noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff, sind passionierte Camper, Papa fährt am liebsten mit der Bahn, wir ernähren uns flexi-bio und trennen unseren Müll nach bestem Wissen und Gewissen. Wir sind jedoch keine Öko-Aktivisten. Und: Meine Kinder gingen auf eine Realschule. Fridays-for-Future ist Thema für Gymnasiast*innen.

Und haben die Vorgängergenerationen tatsächlich den Klimawandel befeuert? Die Industrie mit Sicherheit. Aber was war mit den Umwelt-Bewegungen seit den 70-er Jahren, aus denen die Grünen hervor gingen?

Ähnlich wie in jedem Konflikt, überschätzen sich die Parteien auch in diesem hochstilisierten Generationen-Konflikt: „Ich gut – Du schlecht“ lautet die Devise. Auf Generationen übertragen heißt das:

  • Wir halten den Laden am Laufen und ihr seid faul.
  • Oder: Wir retten die Welt, die ihr zerstört habt.

Dabei wird leider der eigene positive Anteil überschätzt und der eigene negative Anteil unterschätzt:

  • Teile älterer Generationen gingen oft zu sorglos mit sich und der Umwelt um. Manche beuteten sich über Jahrzehnte hinweg in der Arbeit selbst aus, um sich und der Familie ein Eigenheim zu leisten. Hier machen viele jüngere Menschen nicht mehr mit. Warum auch, wenn sie in Großstädten leben, es Carsharing gibt und sie sich ein Haus ohnehin nicht mehr leisten können oder wollen.
  • Gleichzeitig nutzen jüngere Generationen digitale Möglichkeiten sorgloser als Generationen zuvor. Wer sich jedoch den Strom- und Wasserverbrauch bspw. von ChatGPT ansieht, könnte sein anti-grünes Wunder erleben. Und sind Klimaaktivist*innen wirklich so radikal wie sie dargestellt werden? Nur ein Beispiel: Erinnert sich noch jemand an die Republik Freies Wendland als Protest gegen die Tiefenbohrung zur Erstellung eines Atommüll-Endlagers in Gorleben? Mit eigenem Piratensender und solidarischen Botschaften u.a. in Hamburg, Hildesheim und Krefeld. Die Politik sprach von Hochverrat. Es gab sogar einen Pass, in dem stand: „Dieser Pass ist gültig, solange der Inhaber noch lachen kann“. Mir scheint, der Protest war damals radikaler als heutzutage, weil sowohl Gesellschaft als auch Medien und Politik heute insgesamt wohlwollender auf solche Protestaktionen reagieren. Damals war das absolutes Neuland. Laut Berichten wurden die Besetzer*innen mit zum Teil brutaler Härte von der Polizei davon geschleppt, geschleift und gestoßen, während Klimaaktivist*innen heute beinahe schon sanft von der Straße entfernt werden. Wenn nicht ist der Aufschrei in den digitalen Medien gegen Polizeigewalt groß.

Jede Generation hat ihre Aktivist*innen und einflussreiche Strömungen. Diese sind heute vermutlich einflussreicher als früher, da gesellschaftliche Macht heutzutage nicht nur auf finanziellen Gütern oder einflussreiche Positionen beruht, sondern auch und insbesondere über digitale Medien. Wer also als junger Mensch auf Youtube, Twitter oder Instagram viele Follower*innen um sich schart, kann Macht ausüben, wenn er will und bspw. „die CDU zerstören“. Solche Einflusssphären wirken jedoch größer als sie sind, weil viele Vertreter*innen auch der jüngeren Generation gar nicht bei Twitter sind.

Ein Fazit zur Generationen-Versöhnung

  1. Entspannt euch. Das kann nie schaden.
  2. An besagte Strömungen aus der jüngeren Generation: Überschätzt euch nicht. Es gab bei den Boomern Strömungen, die radikaler waren als ihr es seid. Und wer weiß: Vielleicht war mein Chef in den 80ern selber eine rebellische Seele? Letztlich gilt der Wahlspruch „Wir stehen alle auf den Schultern von Giganten“. Und das gilt nicht nur für die Klimabewegung, sondern für jede gesellschaftspolitische Strömung. Die Ursprünge von New Work und einer Positiven Führung gehen (mindestens) bis in die 60er Jahre zurück. Holokratie wäre nichts ohne die Ursprünge der Soziokratie. Was heute Mainstream ist, war damals Avantgarde. Ein dicker Respekt für solche Pionierleistungen ist niemals falsch.
  3. An die noch mächtigen Teile älterer Generationen: Hört zu. Vieles, was sich Teile der jüngeren Generation wünschen, sind vermutlich geheime eigene Wünsche: Was ist so schlimm daran, weniger zu arbeiten und mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen? Was ist falsch daran, Spaß an und in der Arbeit zu haben? Was ist verwerflich daran, überkommene Prozesse auf deren Sinnhaftigkeit zu hinterfragen?

Ein nachhaltiger Wandel, sowohl gesellschaftlich als auch in Unternehmen, funktioniert nur gemeinsam.

Wie sich das Konzept der Meta-Emotion in der Führung nutzen lässt

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Meta-Emotionen sind Emotionen über Emotionen. Macht es mich bspw. wütend, dass ich Angst habe? Oder macht es mich noch ängstlicher? Wenn wir also zu oberflächlich auf Emotionen blicken, die bspw. im Rahmen einer Veränderung bei Mitarbeiter*innen ausgelöst werden, ist das zu kurz gedacht.

Untersucht wurde das Phänomen der Meta-Emotionen u.a. anhand der Frage, warum Menschen Filme anschauen und was sie daraus ziehen. Dazu führten Anne Bartsch u.a. einige Studien durch. Zusammenfassend stellten sie folgendes fest:

  • Manche wollen Spaß haben, andere suchen Nervenkitzel oder Rührung.
  • Negative Emotionen wie Angst, Horror, Trauer oder Spannung werden als positiv erlebt. Dies weist auf die bereits erwähnten Meta-Emotionen hin.
  • Gleichzeitig regen vermeintlich negative Emotionen zum Nachdenken an und verändern die Sichtweise auf die Welt, insbesondere bei Dramen oder intelligenten Krimis. Es wird oft also nicht nur der bloße Konsum gesucht.
  • Viele Studienteilnehmer*innen gaben ebenso an, sich gerne über das Erlebte auszutauschen, wobei dies noch mehr für Serien gilt.
  • Frauen tendieren mehr dazu, traurige Filme positiv zu bewerten, während Männer eher spannende Filme positiv betrachten.
  • Die Nachdenklichkeit über Filme nimmt mit dem Alter zu.

Meta-Emotionen in Veränderungen

Wenn wir diese Erkenntnisse auf Veränderungen in Unternehmen übertragen, geht es zum einen nicht nur darum, ob Mitarbeiter*innen im Zuge einer geplanten Veränderung Angst haben, wütend oder enttäuscht sind, sondern auch darum, wie sie diese Angst, Enttäuschung oder Wut bewerten. Prinzipiell sind daher viele Zusammenspiele zwischen Emotionen und Meta-Emotionen möglich:

EmotionenMeta-Emotionen
Wut über die VeränderungAngst davor, in der Wut die Beherrschung zu verlieren,
Wut über die eigene Wut, sofern es unangenehm ist wütend zu sein.
Enttäuschung darüber, die eigene Beherrschung zu verlieren.
Angst vor der VeränderungAngst vor der eigenen Angst.
Wut über die eigene Angst, weil Angst als Zeichen von Schwäche gelten kann.
Enttäuschung über sich selbst, ängstlich zu sein.
Enttäuschung über den Ablauf der VeränderungAngst davor, enttäuscht zu werden und daher Leugnung der Realität.
Wut über die Enttäuschung, weil Enttäuschung schmerzhafter ist als Wut.
Enttäuschung über sich selbst, anscheinend zu blauäugig gewesen zu sein bzw. zu viel Vertrauen gehabt zu haben.

Wenn also Mitarbeiter*innen an der Oberfläche wütend sind, kann es sich um eine Wut auf die Veränderungsmaßnahme handeln, um eine Wut auf die eigene Unsicherheit oder sogar um eine Verdrängung der eigenen Enttäuschung. Oder aber Mitarbeiter*innen befürchten nicht nur die einschneidenden Veränderungen an sich, sondern fürchten sich gleichzeitig vor der eigenen Angst. Schließlich können Mitarbeiter*innen enttäuscht darüber sein, wie sich Prozesse entwickeln oder auch wütend darüber, dass sie der Geschäftsleitung vermeintlich zu viel Vertrauen entgegen brachten.

Während Emotionen sichtbar sind, müssen Meta-Emotionen erschlossen werden, können jedoch einen entscheidenden Schlüssel für erfolgreiche Veränderungsprozesse liefern, indem Führungskräfte Hypothesen aufstellen und deren Richtigkeit in ihren Teams abklären:

„Ich sehe, wie aufgebracht und wütend ihr seid. Seid ihr wütend, weil ihr glaubt, das geht in eine vollkommen falsche Richtung (Emotion)? Oder seid ihr wütend, weil euch das alles eiskalt erwischt und ihr erst einmal nicht wisst, wie es weitergehen soll (Meta-Emotion 1)? Oder seid ihr vielleicht sogar enttäuscht von der Geschäftsleitung, weil das auf einmal ganz schnell gehen muss (Meta-Emotion 2)?“

Die positive Bewertung negativer Emotionen

Zum anderen wissen wir aus den Film-Studien von Bartsch u.a., dass negative Emotionen wie Trauer und Spannung auch positiv bewertet werden können. Der große Unterschied zu Filmen ist jedoch die reale Situation. Filme lassen sich mit Abstand ansehen. Veränderungen in Unternehmen haben sofort einen direkten Einfluss auf das eigene Leben. Dennoch lässt sich auch hier mit dem Prinzip der Meta-Emotion arbeiten:

„Es klingt erst einmal seltsam, aber Ängste, Sorgen, Ärger oder Enttäuschung müssen nicht nur negativ sein, sondern können auch positive Effekte haben. Ich würde euren Ängsten, … gerne einen guten Rahmen geben, damit wir sie positiv nutzen können und uns in unseren Prozessen weiterbringen.“